LINDNER-Rede auf dem Dreikönigstreffen 2024
Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner hielt auf dem diesjährigen Dreikönigstreffen der Freien Demokraten in Stuttgart folgende Rede:
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wieder liegt ein neues Jahr vor uns. Die einen schauen auf dieses Jahr 2024 mit Hoffnungen, die anderen mit Bedenken. Aber wir haben es selbst in der Hand, etwas aus den nächsten zwölf Monaten zu machen. Und deshalb wünsche ich Ihren Familien und Ihnen Glück und Gesundheit und dass Sie all die Ziele erreichen mögen, die Sie sich vorgenommen haben.
Wir kommen hier zu dieser wunderbaren Kundgebung zusammen. Und zugleich gibt es viele Menschen, die in Not sind, in der Ukraine, im Nahen Osten und anderswo, aber auch in Deutschland selbst. Ich denke an die Menschen, die betroffen sind vom schrecklichen Hochwasser. Was für eine grauenhafte Vorstellung, dass dort das Wasser unbarmherzig eindringt, wo private Erinnerungsstücke oder Wertvolles liegen oder wo man sich eine berufliche Existenz aufgebaut hat. Mit Dank und Respekt sehen wir die Helferinnen und Helfer. Aber die Betroffenen können sich auch über diesen Tag hinaus darauf verlassen, dass wir solidarisch sind. Wir Freie Demokraten, wir wollen den Staat nicht für alles zuständig machen. Er kann auch nicht für alles zuständig sein. Wer aber unverschuldet in Not gerät, der kann sich auf die Solidarität unserer Gesellschaft verlassen.
Ich stehe hier heute mit etwas Fieber – machen Sie sich keine Sorgen – und habe festgestellt, das ist der Unterschied zwischen Marie-Agnes Strack-Zimmermann und mir: Sie braucht keinen Infekt, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Liebe Marie-Agnes, Du gibst uns nicht nur Zugkraft für die Europawahl, sondern Du gibst uns Power für alle Wahlen, denen wir uns in diesem Jahr stellen: in Berlin, die Kommunalwahlen und die drei Landtagswahlen. Manche werden nach Europa geschickt, damit sie von der Bildfläche verschwinden. Marie-Agnes Strack-Zimmermann geht nach Brüssel, damit die Stimme der Freiheit unüberhörbar wird. Sie ist die doppelte Kampfansage der FDP: Die Kampfansage an Ursula von der Leyen, die aus dem faszinierenden europäischen Gemeinschaftswerk ein Bürokratieprojekt machen will, und die Kampfansage an all die Rechts- und Linkspopulisten, die das europäische Einigungsprojekt geschichtsvergessen zerstören wollen.
Die letzten Jahre lasten schwer auf Deutschland. Die Pandemie mit ihren gesundheitlichen Gefahren, den Freiheitseinschränkungen und den sozialen und wirtschaftlichen Schäden. Der Angriff Russlands auf die Ukraine, der die Friedensordnung auf unserem Kontinent insgesamt in Frage gestellt hat. Die darauffolgende Fluchtbewegung zeigt uns unsere Grenzen. Die Russlandsanktionen, die auch in deren Folge gestiegenen Energiepreise, die Situation in den USA und China, die Inflation und der gestiegene Zins belasten unsere exportorientierte deutsche Wirtschaft. Die Bundesregierung handelt. Sie ist nicht fehlerfrei. Wer wäre das? Aber wir entscheiden mehr richtig als falsch. Denn sonst würde die FDP dieser Regierung nicht angehören. Was die Stimmung in unserem Land auf einen Tiefpunkt drückt, das sind die Epochenumbrüche. Diesen Epochenumbrüchen müsste sich jeder stellen. Jede Regierung müsste sie bewältigen, egal, wer regiert. Komme, wer wolle. Diesen Realitäten kann man nicht entfliehen. Wir müssen uns diesen Realitäten stellen. Bisweilen habe ich den Eindruck, dass diese Epochenumbrüche aber zu einer regelrechten Lust am Untergang geführt haben. So titelt eine Zeitung: „Deutschland im Niedergang“. Alle gehen mit. Vom kranken Mann Europas ist die Rede. Mir wird zugeraunt, Familienunternehmer bereiteten im großen Stil den Wegzug aus Deutschland vor. Von Deindustrialisierung ist die Rede. Neulich hatte ich eine Veranstaltung, da hat ein Dax-Vorstand den Absturz Deutschlands beschworen, paradoxerweise ausgerechnet an dem Tag, als ein Rekordergebnis seines Inlandsgeschäfts öffentlich geworden ist. Ich bin offen: Ich kann es kaum mehr ertragen. Friedrich Nietzsche hat einmal geschrieben: „Wer zu lange in den Abgrund hineinschaut, in den schaut auch der Abgrund zurück.“ Anders gesagt: Eine Gesellschaft, die nicht mehr an ihre eigene Zukunft glaubt, die verspielt diese Zukunft selbst.
[Störrufe im Saal] Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Deutschland bei den CO2-Emissionen im vergangenen Jahr einen historischen Tiefstand erreicht hat. Aber Eines überrascht und freut mich besonders: Wenn Attac jetzt für das Klimageld wirbt, dann ist das das erste Mal, dass Linksautonome für das Wahlprogramm der FDP werben.
Meine Damen und Herren, täuschen wir uns nicht. Es gibt Interessen von außen, Deutschland zu destabilisieren. Irgendwo sitzen doch die Trollarmeen, die die Sozialen Medien in Deutschland fluten. Und auch in unserem Land selbst gibt es doch politische Kräfte, die destabilisieren wollen und die aus Krisen Kapital schlagen wollen. Denen geht es doch in Wahrheit nicht um eine andere Politik. Den Rechtspopulisten geht es um eine andere Gesellschaft. Sie wollen ein autoritäres Deutschland, und dem stellen Liberale sich entgegen. Die politische Kultur in Deutschland hat sich verändert. Auch in unserem Land gibt es eine starke Polarisierung. Manche sind darauf aus, den demokratischen Rechtsstaat selbst zu delegitimieren. Und deshalb muss sich jede und jeder fragen, wenn man mit Regierungsvorhaben unzufrieden ist: Will ich eine andere Politik oder möchte ich ein anderes System? Wer hetzerische WhatsApp-Kacheln im Freundeskreis verschickt, wer Ressentiments toleriert, wer die Verächtlichmachung demokratischer Politikerinnen und Politiker belacht und wer sich für Fakten nicht mehr interessiert, der schwächt nicht nur die liberale Demokratie, sondern gefährdet am Ende auch die eigene Freiheit.
Ich sehe deshalb mit Sorge die aktuellen Proteste der Landwirtinnen und Landwirte. Es ist eine Branche eines nachhaltigen Unternehmertums. Oft genug mittelständische Familienbetriebe, für die wir Sympathie haben. Es gab viele Versuche, ideologisch in den betrieblichen Alltag hinein zu regieren, auch jenseits wissenschaftlich fundierter Politik. Dem haben wir uns entgegengestellt. Zum Beispiel durch die Schaffung eines umsetzbaren Tierhaltungskennzeichens und indem Pflanzenschutz und Düngung ebenfalls praxistauglich möglich sind. Wir sehen auch die Potenziale der Digitalisierung und der hochpräzisen Landwirtschaft und sind offen für neue Züchtungsmethoden. Aber wir haben es bei der Landwirtschaft auch mit einem europäisch und national hochsubventionierten Sektor zu tun. Wir haben verstanden, dass bei der Kraftfahrzeugsteuer und dem Wegfall des grünen Kennzeichens viel Bürokratie entstanden wäre und auch, dass der Verzicht auf den Agrardiesel, um Überforderungen zu vermeiden, schrittweise erfolgen sollte. Dagegen kann man immer noch sein. Aber gerade eine europäisch und national so hochsubventionierte Branche wird sich nicht jedes Konsolidierungsbeitrags erwehren können. Man kann nicht auf der einen Seite von der gesenkten Stromsteuer profitieren wollen und zusätzliche Fördermittel für den Stallumbau fordern und auf der anderen Seite an alten Subventionen festhalten. Wer neue Subventionen will, muss auch auf alte verzichten. Die gefährliche Situation, in die mein Kollege Robert Habeck gekommen ist, war völlig inakzeptabel. Die Sachbeschädigungen, auch die angekündigten Blockaden sind unverhältnismäßig. Wie sonst auch kann es hier nur eine Konsequenz geben: Landfriedensbruch, Nötigung und Sachbeschädigung — das sind Fälle für den Staatsanwalt. Ich wende mich an die Landwirtinnen und Landwirte. Das ist eine Branche, nicht wie jede andere. Denn sie hat etwas mit unserer Grundversorgung zu tun. Diese Gesellschaft hat eine Verantwortung für die Landwirtschaft. Aber die Landwirtschaft hat umgekehrt auch eine Verantwortung für diese Gesellschaft. Deshalb muss der Protest, wenn es ihn gibt, verhältnismäßig im Rahmen unserer demokratischen Ordnung erfolgen. Lassen Sie sich nicht unterwandern und instrumentalisieren. Sie haben sich verrannt. Bitte kehren Sie um.
Die Lage ist ernst und wir haben viel Arbeit. Ich bin überzeugt: Durchwursteln, eine Form von „Wir schaffen das“, Unterhaken oder das unkritische Bauen darauf, dass der Staat es schon richtet, wird die Lage nicht wenden. Umgekehrt aber droht Deutschland auch nicht der Absturz ins Bodenlose. Wir sind ein starkes Land. Unsere Wirtschaft hat viel Substanz. Wir haben es mehr als einmal geschafft, Wenden in unserem Land zu erreichen. Es gibt einen dritten Weg zwischen Gesundbeten und Schwarzmalerei: sich den Realitäten stellen und etwas unternehmen. Wir sind Freie Demokraten, weil wir von der Zukunft nichts befürchten, sondern etwas erwarten. Ich bin mir sicher, in unserem Land gibt es viele Menschen, die einen Aufbruch wollen, die den Missmut satt sind und die nur auf den ersten Achtungserfolg des Optimismus warten. Jetzt ist es an uns. Es ist unsere Aufgabe, dieses Land wieder mit unserem liberalen Tatendurst anzustecken. Das ist nichts, was man delegieren kann, wie auch die bürgerliche Mitte es in Deutschland gelegentlich tut, sondern es ist die Aufgabe für jede Einzelne und jeden Einzelnen von uns: Aufbruch, Veränderung und Stimmungsumschwung zu erreichen. Jede und jeder kann jeden Tag den Unterschied machen. Jede und jeder kann jeden Tag sich die Frage stellen: Stehe ich auf oder bleibe ich liegen? Gehe ich voran oder lasse ich mich mitziehen? Schaue ich hin oder schaue ich weg? Schenke ich anderen ein Lächeln oder bringe ich jemanden zur Wut? Der Stimmungsumschwung in unserem Land ist in unser aller Interesse, aber auch in unserer gemeinsamen Verantwortung. Deshalb fangen wir jetzt an!
Stellen wir uns der neuen geopolitischen Realität. Es gibt Gesellschaften und Staaten, die wollen die tatsächliche oder angebliche Vormachtstellung des liberalen Westens durchbrechen. Damit meinen sie oft genug nichts anderes als die regelbasierte, multilaterale internationale Ordnung. Insbesondere Putin will nicht nur die Ukraine unterwerfen, sondern gleich unsere gesamte Lebensweise zerstören, mit all den weltoffenen, liberalen Werten, die wir haben. Auch manch ein Handwerksmeister aus Sachsen zum Beispiel, wo ich neulich im Gespräch war, beklagt die Bürokratie in Deutschland. Der gleiche Mann in Russland würde aber die Bürokratie beklagen und danach wäre er im Gefängnis. Und dennoch gibt es in Deutschland Kräfte, die wollen aus wirtschaftlichen Gründen Konzessionen an Putin machen. Weidel und Wagenknecht, die sind für einen vielleicht kurzfristig sich tatsächlich ergebenden wirtschaftlichen Vorteil für unser Land offen dafür, über die Köpfe der Ukraine hinweg mit Russland zu verhandeln. Sie sind also bereit, wieder hinzunehmen, dass ein Staat einen anderen Staat zum Satelliten macht oder dass mit Gewalt Grenzen in Europa verschoben werden. Um es ein für alle Mal in aller Klarheit zu sagen: Wer die Freiheit der Ukraine opfert, der wird im Ernstfall auch nicht bereit sein, für unsere eigene Freiheit zu kämpfen. Deshalb unterstützen wir die Ukraine weiter finanziell und auch militärisch. Wir werden fortwährend weiter darüber sprechen müssen, was nötig ist an zusätzlicher wirtschaftlicher Unterstützung oder auch an Waffensystemen. Deutschland ist in Europa in einer führenden Rolle. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr. 50 Prozent der gesamten europäischen Unterstützung für die Ukraine werden von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aus Deutschland geleistet. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr, weil wir wissen, was auf dem Spiel steht. Wenn mehr nötig ist, wird allerdings nicht nur Deutschland alleine dies leisten müssen. Die Bedrohung besteht für Europa insgesamt. Also müssen auch andere sich an der Lastenteilung beteiligen. Es kann nicht darauf hinauslaufen, dass Deutschland mehr für die Ukraine tut, damit andere starke europäische Staaten weniger tun müssen. Jetzt muss sich zeigen, dass die Europäische Union eine Wertegemeinschaft ist, die in diesen Zeiten zusammensteht.
Auch unsere eigene Sicherheitslage steht ja wieder auf dem Prüfstand. Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat darauf hingewiesen, dass wir die Bundeswehr jetzt ertüchtigen. Diesen Weg werden wir weitergehen müssen. Gleichzeitig kommen auch alte Ideen wieder. Die Wiedereinführung oder Reaktivierung der allgemeinen Wehrpflicht in unserem Land wurde von Markus Söder aufgeworfen, garniert mit einem Foto aus Rekrutentagen. Das hat nichts mit Realpolitik zu tun. Das ist Romantik. Denn in dieser Lage, in der wir sind, über die allgemeine Wehrpflicht nachzudenken, trägt nicht zur Sicherheit bei. Wir schwächen uns nur in Zeiten von Arbeits- und Fachkräftemangel. Denn wir halten eine Generation davon ab, einen qualifizierten Beruf zu erlernen und auszuüben, um einige Monate als angelernte Kraft tätig zu sein. Wir greifen tief in individuelle Freiheiten ein, obwohl der Bezug zur Sicherheit nicht da ist. Denn im 21. Jahrhundert besteht Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr darin, wieder Kreiswehrersatzämter einzurichten, sondern darin, dass wir hoch hochqualifizierte Soldatinnen und Soldaten für eine Technologie-Armee finden. Deshalb halten wir daran fest, die Bundeswehr auch über das aktuelle Sonderprogramm des Grundgesetzes mit gut zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung zu ertüchtigen. Gegenwärtig gelingt das noch durch die Mittel, die wir vor die Klammer gezogen haben. Aber in kurzer Zeit, in wenigen Jahren, werden diese Mittel eingesetzt sein, und wir werden aus den laufenden Etats die Bundeswehr stärken müssen. Ich prognostiziere, dass dann neue politische Richtungsfragen aufgeworfen werden. Weil diese Form der Prioritätensetzung ja von uns verlangt, dass Anderes zurückgestellt wird. Es wird nicht möglich sein, alles gleichzeitig zu tun, sondern wir werden Entscheidungen treffen müssen, uns auf wirklich Wesentliches zu konzentrieren. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieses Land diese Richtungsentscheidung und diese Prioritäten setzen muss. Aus einem guten, nein, aus dem besten Grund, nämlich Frieden in Freiheit. Ohne Frieden in Freiheit ist alles andere nichts.
Stellen wir uns den wirtschaftspolitischen Realitäten. Der deutsche Staatshaushalt war nicht gesund. Wir sind auf dem Wege der Besserung, aber einiges ist noch zu tun. Schon vor der Pandemie hat der niedrige Zins dazu verleitet, dass soziale Ausgaben und Standardleistungen – ich denke an die Rente mit 63 – schneller eingeführt worden sind als die eigentliche wirtschaftliche Tragfähigkeit es zulässt. Es hat sich dadurch ein strukturelles Defizit ergeben, das nur durch den außergewöhnlich niedrigen Zins und die Rücklagen, die sich daraus ergeben haben, überdeckt worden ist. Dann kam die Zeit der Pandemie. Mit einer expansiven Fiskalpolitik, wo Geld scheinbar keine Rolle gespielt hat, wo wir fast zehn Prozentpunkte an Staatsverschuldung zugelegt haben. Wir müssen uns neu mit der Tatsache vertraut machen, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Gebot der Ökologie ist. Nachhaltigkeit ist auch eine Anforderung an die Ökonomie. Und deshalb müssen wir zurückkehren zu dem Grundsatz, dass der Staat dauerhaft nicht mehr Geld einsetzen kann, als die Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, ihm zur Verfügung zu stellen. Dies ist aber ein Weg, den wir da gehen. Auch mit teilweise unbequemen und kontroversen Entscheidungen.
Beispielsweise gab es jetzt ja um den Jahreswechsel eine Diskussion über die Frage, wer denn eigentlich die Menschen in Deutschland im Jahr 2024 be- oder entlastet. Da gab es eine Beispielrechnung, bei der zwei Dinge zusammengebracht wurden: Auf der einen Seite die reduzierten Mehrwertsteuersätze, die ausgelaufen sind, und auf der anderen Seite die Veränderungen bei der Lohn- und Einkommensteuer. Diese beiden Dinge sind aber differenziert zu betrachten. Die reduzierten Mehrwertsteuersätze, die verschobene Erhöhung des ursprünglich geplanten CO2-Preises, die Preisbremsen, all das waren notwendige, aber befristete Krisenmaßnahmen. Die eine oder der andere mag Sympathie haben, sie auf Dauer einzuführen. Aber dies geht nur dann, wenn man auf anderes verzichtet und Gegenfinanzierungen findet. Krisenmaßnahmen wie diese reduzieren den Preisdruck, der von den Weltmärkten über die Inflation kommt. Zur Realität gehört aber, sich einzugestehen: Der Staat kann nicht auf Dauer gestiegene Preise oder höhere Importkosten von den Weltmärkten ausgleichen. Der Staat kann ruinöse Preisspitzen dämpfen. Den Lebensstandard der Menschen in Deutschland sichern, das allerdings kann der Staat nicht. Das kann nur eine prosperierende Wirtschaft leisten. Auf der anderen Seite haben wir auch bei der Lohn- und Einkommensteuer das Notwendige getan. Das war auch eine intensive Diskussion innerhalb der Bundesregierung und Koalition: Die kalte Progression im Jahr 2023 und jetzt im Jahr 2024 zu beseitigen. Übrigens erstmals auch durch eine Rechtsverschiebung des Solidaritätszuschlags, sodass auch dort qualifizierte Fachkräfte, Selbstständige und Freiberufler nicht belastet werden. 15 Milliarden Euro an Entlastung alleine für dieses Jahr. Das macht für manche Familie mehrere 100 Euro Entlastung aus. So muss es auch weitergehen. Durch den deutlich gestiegenen Regelsatz für die Grundsicherung wird es noch einen Nachschlag beim steuerfreien Grundfreibetrag für die arbeitende Mitte geben müssen. Und wir werden in diesem Jahr auch nach vorne schauen müssen, wie sich die kalte Progression in den nächsten Jahren entwickeln wird. Ich sage voraus: Das wird für die nächsten Jahre 2025 und 2026 wieder eine intensive Diskussion in der Koalition geben, ob es möglich ist, auf die automatischen Steuererhöhungen der kalten Progression zu verzichten. Für uns aber ist dies eine Frage der Gerechtigkeit. Denn es dürfen nicht nur die Leistungen für diejenigen, die nicht arbeiten, an die Preisentwicklung angepasst werden. Genauso muss auch die Einkommensteuer an die Inflation angepasst werden für diejenigen, die den Sozialstaat mit ihrer Arbeit tragen.
Liebe Gäste, wir haben eine fiskalische Trendwende inzwischen erreicht. Michael Theurer hat die Zahl von 69 Prozent Schuldenquote im Jahr 2021 schon genannt. 64 Prozent sind es in diesem Jahr. Von 3,6 Prozent jährlichem Defizit jetzt auf 1,5 Prozent in diesem Jahr. Das ist freilich kein Selbstläufer, sondern muss immer wieder neu begründet und erarbeitet werden. Davon wurden wir alle in diesen Tagen wieder Zeuge, als sogar der Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion neu die Frage aufgeworfen hat, ob nicht die Konsolidierung ersetzt werden könnte durch eine neuerliche Ausnahme von der Schuldenbremse, durch einen neuerlichen Notlagenbeschluss. Diese fiskalische Trendwende fortzusetzen, kostet also Überzeugungskraft und Arbeit. Allerdings haben wir zwei starke Verbündete, nämlich die ökonomische Vernunft und das Grundgesetz. Wir brauchen wirksame Fiskalregeln, weil sich das wirtschaftliche Umfeld verändert hat. In den Zeiten, als der Zins für den Staat niedriger war als das Wachstum, da konnte er sich stark verschulden. Er hat seine Probleme gewissermaßen über die Zeit selbst und automatisch gelöst. Diejenigen, die das vertreten, benötigen für ihre Position allerdings ein Update, denn inzwischen ist der Zins höher als das Wachstum. Wir halten also die Schuldenbremse ein nicht aus Daffke, sondern um die Glaubwürdigkeit an den Kapitalmärkten zu erhalten, damit Deutschland Stabilitätsanker in Europa bleiben kann, damit wir neue Sicherheitspuffer aufbauen und damit nicht irgendwann dieses Land durch Zinsen und Tilgung stranguliert wird. Nicht aus Daffke, sondern als Gebot ökonomischer Vernunft halten wir an der Schuldenbremse fest.
Und der zweite Verbündete, das ist das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ja erstmals umfassend mit einer Auslegung der Schuldenbremse des Grundgesetzes beschäftigt. Dieses Grundsatzurteil war veranlasst durch eine Entscheidung der Bundesregierung und des Haushaltsgesetzgebers. Betroffen hat sie allerdings die Staatspraxis insgesamt. Es ist ein für uns und für mich peinliches Urteil, das uns aber in besonderer Weise jetzt in die Verantwortung nimmt, die neu gewonnene Rechtsklarheit zu befolgen. Es kann natürlich Notlagen geben. Unvorhergesehene Ereignisse, auf die kann der Staat reagieren. Dafür gibt es die überplanmäßigen oder außerplanmäßigen Ausgaben. Das ist nicht automatisch ein Grund für eine Notlage, für eine Ausnahme von der Schuldenregel des Grundgesetzes. Wenn es einen neuen Finanzierungsbedarf gibt, dann ist doch zuerst zu schauen: Kann man ihn im regulären Etat decken? Ist er so erheblich, dass er nicht durch Umschichtung geleistet werden kann? Und Umschichtung mag unbequem sein, aber manchmal ist sie eben möglich und nötig. Die Ausnahme von der Schuldenbremse ist nicht die politisch bequemste und deshalb erste Option für die Politik, sondern die letzte, gewissermaßen die Ultima Ratio. Deshalb muss Herr Mützenich wissen, dass ich einen Amtseid geschworen habe, das Grundgesetz zu verteidigen. Dieser Finanzminister wird keine Entscheidung unterstützen, die neue verfassungsrechtliche Risiken bringt. Das gebietet allein der Respekt vor unserer Verfassung. Es ist auch nicht so, dass es eine Wahl wäre, die Schuldenbremse einzuhalten oder in Infrastruktur, in Zukunft zu investieren. Wir haben Investitionen auf Rekordniveau für dieses Jahr eingeplant. Auch die Investitionsquote im Bundeshaushalt steigt im Vergleich zum Vorkrisenniveau vor Corona. Die Aufgabe ist es, Prioritäten zu setzen. Denn dieser Staat hat kein Einnahmeproblem. Unser Problem ist die Prioritätensetzung, weil alles immer gleichzeitig gehen soll, und oft genug sind in der Vergangenheit dann die Zukunftsinvestitionen der Prioritätensetzung zum Opfer gefallen. Und genau diesen Mechanismus müssen wir umkehren. Nicht was in der Gegenwart bequem ist, darf Vorfahrt haben, sondern was für die Zukunft unabweisbar ist, muss Priorität gewinnen.
Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land kann uns nicht zufriedenstellen. Wir haben schlicht zu wenig wirtschaftliches Wachstum. Ich bin aber überzeugt, dass die deutsche Wirtschaft ein erhebliches Turn-around-Potenzial hat. Es wird regelmäßig gesagt: Naja, wegen der ganzen Subventionen in den USA gerät die deutsche Wirtschaft ins Hintertreffen. Wer daran glaubt, dass die deutsche Wirtschaft für einen Aufschwung staatliche Subventionen benötigt, der verkennt, worin die wahre Stärke von Mittelstand, Startups, Handwerk und Industrie in unserem Land besteht. Nicht der Appetit nach Subventionen, sondern Weitsicht, Innovationskraft und Risikobereitschaft begründen den Wohlstand unseres Landes. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir nach dem ersten Konsolidierungspaket für den Bundeshaushalt jetzt ein Dynamisierungspaket für unsere deutsche Wirtschaft brauchen.
Erstens müssen die Meseberg-Bürokratiebeschlüsse, die Justizminister Marco Buschmann vorbereitet hat, umgesetzt werden. Drei Milliarden Euro geringerer Erfüllungsaufwand für die deutsche Wirtschaft stecken dahinter. Der Bürokratiekostenindex in unserem Land wird danach auf ein Allzeittief sinken. Und wir sollten noch darüber hinausgehen. Das von der CDU eingeführte Lieferkettengesetz bringt in der Praxis nichts außer lästiger Bürokratie. Es kann entschlackt werden. Die öffentliche Auftragsvergabe, die öffentliche Beauftragung von Unternehmen kann entbürokratisiert werden. Und mit diesen Maßnahmen ist nicht nur verbunden, dass wir mehr Flexibilität und Tempo bekommen. Es ist auch ein Vertrauensbeweis der deutschen Wirtschaft gegenüber. Denn Bürokratie ist nicht nur lästig, sondern sie ist auch ein Misstrauensvotum, dass die ehrlichen Kaufleute nicht gut wirtschaften und sich nicht ethisch verhalten.
Zweitens müssen wir unseren Arbeitsmarktmarkt mobilisieren und flexibilisieren. Bei den älteren Arbeitnehmern, aber auch bei denen, die gegenwärtig nicht arbeiten. Wir machen Schritte jetzt mit dem Jobmotor, um die Geflüchteten aus der Ukraine zum Beispiel durch eine intensivere Kontaktdichte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir setzen jetzt das Instrument der Sanktionen bei den Verweigerern ein. Nicht nur, um damit Geld zu sparen, sondern auch, um zu erreichen, dass diese Menschen sich bewegen. Ehrlich gesagt kann ich nicht verstehen, dass Arbeitsminister Hubertus Heil für diesen Vorschlag aus der eigenen Partei und von Sozialverbänden kritisiert wird. Totalverweigerer zu sanktionieren, ist doch nicht das Problem. Das Problem wäre es, das nicht zu tun, weil Solidarität in dieser Gesellschaft keine Einbahnstraße ist.
Drittens gehört in dieses Dynamisierungspaket ein marktwirtschaftliches Klimaschutzgesetz. Ich habe es gerade schon angesprochen, wir haben im vergangenen Jahr niedrigere CO2-Emissionen gehabt, aber eben nicht in jedem Sektor. Das planwirtschaftliche, von der CDU geerbte Klimaschutzgesetz betrachtet aber jeden Sektor jährlich planwirtschaftlich gleich. Wenn also die einen mehr tun können, dann hilft das den anderen, die mehr Trägheit haben, wie zum Beispiel dem Mobilitätsbereich, nicht. Die Konsequenz ist, dass, wenn wir nichts ändern würden, dann irgendwann, obwohl wir unsere nationalen Ziele erreichen, im Verkehrssektor vielleicht als Ultima Ratio gar über Fahrverbote nachgedacht werden müsste. Deshalb brauchen wir jetzt ein marktwirtschaftliches Klimaschutzgesetz, wo der eine Sektor dem anderen hilft. Nicht um weniger Klimaschutz zu erreichen, sondern um dafür zu sorgen, dass in dem Sektor, wo schneller und günstiger CO2 eingespart wird, die Effekte erzielt werden. Denn nicht am grünen Tisch sollte über den Weg in die Treibhausgasneutralität entschieden werden, sondern im marktwirtschaftlichen Ideenwettbewerb.
Viertens gehört zu einem Dynamisierungspaket, dass wir das Kapital, das wir in Deutschland haben, mobilisieren. Banken, Versicherungen, Kapitalsammelstellen anderer Art haben Milliarden Euro unter Verwaltung und investieren es aber nicht in Deutschland, sondern sie investieren dieses Kapital oft genug andernorts. Sie investieren es nicht in Startups oder in Infrastrukturprojekte in unserem Land. In Frankreich aber passiert das. Das ist ausnahmsweise mal dann nicht europäische Regulierung, sondern deutsche. Wenn die Franzosen es mit ihrer Initiative schaffen, dass deren Versicherungen und Kapitalsammelstellen hochinnovative Unternehmen mit Milliarden Euro finanzieren, dann muss das in Deutschland auch gelingen. Von mancher liebgewonnenen Idee der Risikofreiheit der Kapitalanlage, manch gut gemeinter Idee des Verbraucherschutzes sollten wir uns verabschieden und etwas mehr Unternehmergeist wagen. Wir können alle nur davon profitieren.
Meine Damen und Herren, das Wachstumschancengesetz muss kommen. Es beinhaltet steuerliche Anreize für Investitionen und für Forschungsvorhaben. Es reduziert den bürokratischen Erfüllungsaufwand und weiteres mehr. Es gibt Anreize für die Baukonjunktur. Gegenwärtig wartet aber die deutsche Wirtschaft auf diesen Baustein zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Ich will gar nicht sagen, dass das schon jetzt eine große Unternehmenssteuerreform wäre. Die gibt es schon seit vielen Jahren. Noch keine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Aber immerhin etwas, was gelungen ist, zu verabreden mit Sozialdemokraten und Grünen. Und nun wird dieses Vorhaben ausgerechnet blockiert von der CDU/CSU, die sich nicht dafür öffnet, über dieses Gesetzgebungsvorhaben im Kontext des Vermittlungsausschusses zu sprechen. Die einen aus der CDU/CSU sagen, es sei zu wenig, es sei mickrig. Die anderen sagen, es sei zu viel, die Länder könnten es sich nicht leisten. Und im Ergebnis passiert nichts. Ich bin bereit, die Bundesregierung ist bereit, mit der CDU/CSU zu sprechen: Was sie genau will, was sie vorschlägt, wo das Gesetz kleiner werden soll oder wie es größer werden kann. Die Aufgabe ist aber, dass die Union sich für seriöse Verhandlungen öffnet. Wenn Friedrich Merz einen Führungsanspruch hat für das Land insgesamt, dann soll er ihn jetzt erst einmal in seiner eigenen Fraktion und gegenüber den eigenen Ländern beweisen und dafür sorgen, dass über dieses Vorhaben entschieden werden kann.
Meine Damen und Herren, mir scheint, SPD und Grünen schwant, dass die ganzen sozialpolitischen und ökologischen Vorhaben, die diese Parteien haben, im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld nur sehr schwer unter großen Anstrengungen zu realisieren sind. Manche träumen da noch von Steuererhöhungen oder eben von der Umgehung der Schuldenbremse. Das wird es nicht geben. Aber ich habe ein Gegenangebot an unsere Koalitionspartner. Wenn wir die vielen sozialen und ökologischen Vorhaben und die weitere Ertüchtigung der Bundeswehr nicht durch Steuererhöhungen oder Schuldenerhöhungen finanzieren, dann gehen wir doch einen anderen Weg. Mein Vorschlag ist: Sorgen wir doch dafür, dass eine wieder starke und wachsende Wirtschaft uns die Mittel zur Verfügung stellt, die wir brauchen für Soziales, Ökologisches und die Sicherheitspolitik. Es ist kein Widerspruch, wirtschaftsfreundliche, wachstumsfördernde Politik zu machen oder sozial-ökologische. Im Gegenteil. Wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik ist die Voraussetzung dafür, überhaupt sozial-ökologische Politik machen zu können. Und deshalb brauchen wir in diesem Jahr nun die Wirtschaftswende.
Stellen wir uns auch den gesellschaftspolitischen Realitäten. Dieses Land muss seinen Zusammenhalt teilweise neu begründen. Nicht wenige haben das Gefühl, es gehe nicht gerecht in Deutschland zu. Oft genug sind die Antworten dann aber uralt und gerichtet auf Umverteilung, teilweise wieder in einer geradezu klassenkämpferischen Diktion. Und manche neue Idee ist auch nicht gut. Ende des vergangenen Jahres haben ja die Jungsozialisten beschlossen, dass jeder junge Mensch am 18. Geburtstag ein Grunderbe vom Staat erhält in Höhe von 60.000 Euro. Jeder bekommt zum 18. Geburtstag 60.000 Euro vom Staat. Eine faszinierende Idee. 60.000 Euro sind eine Stange Geld für eine 18-Jährige oder einen 18-Jährigen. Auf Sicht der Lebensarbeitszeit relativieren sich aber 60.000 Euro. Deshalb bin ich überzeugt: Statt am 18. Geburtstag ein Grunderbe von 20.000 Euro oder 60.000 Euro auszuzahlen, sollte man in den 18 Jahren zuvor lieber in die Schul- und sonstige Ausbildung von Kindern und Jugendlichen investieren.
Insbesondere ist das nötig nach den jüngsten Ergebnissen der PISA-Studie, die ja noch dramatisch schlechter waren als die zuvor. Wir können angesichts der Ergebnisse des deutschen Bildungssystems und seiner Schülerinnen und Schüler nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, denn hier stehen nicht nur individuelle Lebenschancen auf dem Spiel, sondern der Wohlstand unserer Gesellschaft insgesamt. Eine erste Konsequenz zieht ja Bettina Stark-Watzinger mit dem Startchancen-Programm: In den nächsten zehn Jahren 20 Milliarden Euro von Bund und Ländern gezielt für die Schulen, die besondere soziale Aufgaben haben bei der individuellen Förderung und bei der Integration. Ein wichtiger Baustein, um die fatale Verbindung von beruflichem Weg und Herkunft aus dem Elternhaus zu überwinden. Die Bildungsmilliarde, von der ich im letzten Jahr hier gesprochen habe, kommt trotz aller Haushaltskonsolidierung. Denn überall mag man sparen — töricht aber wäre es, bei der Zukunft von Kindern und Jugendlichen zu sparen.
Auch die Frage der inländischen Identität beschäftigt uns, beschäftigt viele gerade angesichts der Bilder der antisemitischen Demonstrationen in Deutschland. Viele stellen sich die Frage: Was hält unser Land zusammen? Die CDU hat dieses Thema auch gerade wieder aufgerufen, unter der erneuerten Überschrift der Leitkultur — noch garniert mit Einordnungen zum Weihnachtsbaum. Meine Damen und Herren, daran zeigt sich Eines: Die FDP ist nicht der wirtschaftspolitische Arbeitskreis der CDU, sondern eine eigenständige liberale Partei. Denn wir wissen: Eine im besten Wortsinne individualistische und vielfältige Gesellschaft kann man nicht zusammenbinden mit einem kollektivistischen Gesellschaftsverständnis. Wir brauchen individuelle Leitideen, die unabhängig von unserem eigenen Hintergrund akzeptabel sind. Und wir haben sie. Wir müssen sie nicht erfinden. Diese Leitideen sind die objektive Wertordnung des Grundgesetzes mit der Würde und Freiheit des Einzelnen und der Gleichberechtigung der Geschlechter. Zu unseren Leitideen gehört, dass unser Land sich seiner historischen Verantwortung stellt, sich deshalb bekennt zum Existenzrecht des Staates Israel – übrigens in friedlicher Koexistenz mit einem eigenen Palästinenserstaat – und dass wir uns jedem Antisemitismus entgegenstellen.
Zu unseren Leitideen gehört das Aufstiegsethos des Wirtschaftswunders, dass sich nämlich eigene Arbeit lohnt und dass man sich etwas aufbauen kann. Wir müssen nichts Abstraktes erfinden und dabei vielleicht andere ausgrenzen oder kollektivistische Schablonen über eine vielfältige Gesellschaft wölben. Wir haben diese Leitideen, aber wir müssen nicht über sie reden, sondern wir müssen sie jetzt tatsächlich durchsetzen. Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass wir das Staatsangehörigkeitsrecht ändern. Denn mit dem Alten von der CDU mitgetragenen Staatsangehörigkeitsrecht konnten Antisemiten einen deutschen Pass bekommen. Es konnte eingebürgert werden, wer noch niemals durch eigene Hände Arbeit für seinen Lebensunterhalt geradegestanden ist. Genau das ändern wir. Das neue Staatsangehörigkeitsrechts sorgt dafür, dass antisemitische Neigungen den deutschen Pass verwirken. Und die Voraussetzung dafür, Deutsche oder Deutscher zu werden, ist, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu bestreiten.
Meine Damen und Herren, ich nenne das fordernde Integrationspolitik. Das gehört zum neuen Realismus: eine fordernde Integrationspolitik. Denn Integration, das ist nicht zuerst die Leistung der aufnehmenden Gesellschaft. Integration ist vor allen Dingen die Erwartung der aufnehmenden Gesellschaft an jene, die kommen. Dafür muss das Angebot aber für alle zugänglich sein. Deshalb: Kein Kollektivismus, sondern jede und jeder darf diesen German Dream von Freiheit und Weltoffenheit und sozialem Aufstieg mit uns träumen. Wir fragen nicht nach der ethnischen Herkunft, nach den kulturellen Vorlieben oder nach dem Schmuck des Weihnachtsbaums, sondern nur danach, welchen Beitrag jemand für unser Land leisten will.
Meine Damen und Herren, wir tragen Regierungsverantwortung nicht um unserer selbst willen, sondern weil wir dieses Land gestalten wollen. Wir sind auch als liberale Partei kein Debattierclub, der sich nur mit Lehrbuchweisheiten beschäftigen will, die nicht dem Realitätscheck standhalten müssen. Wir wollen das Land gestalten. Der Preis dafür ist aber immer Kontroverse. Wir werden hart kritisiert und das ist auch das Recht und die Aufgabe zum Beispiel der parlamentarischen Opposition. Dennoch wundert mich bisweilen, wie und in welchem Stil die größte Oppositionspartei im Bundestag dieses Recht und diese Aufgabe ausfüllt. Vor der Weihnachtspause hat im Deutschen Bundestag zum Beispiel der Generalsekretär der CDU gesagt, es sei „Wahnsinn“, was die Regierung mit diesem Land anstelle. Es ist nur ein Beispiel dafür, dass bisweilen die Kritik etwas übersteuert ist. „Wahnsinn“ sei das, was wir mit dem Land anstellten. Ich weiß nicht, ob man das so fortsetzen sollte, aber wir könnten es auch. War es nicht zum Beispiel Wahnsinn, dass Deutschland über Jahre keine geordnete Migrationspolitik hatte und eine Linie der nahezu grenzenlosen Aufnahmebereitschaft in der Ära Merkel vertreten hat? Und es sind doch jetzt wir, die europäische Außengrenzen schützen, Asylverfahren von außerhalb Europas einführen, die wir in Deutschland unsere Grenze kontrollieren, die wir einen Abschiebegewahrsam einrichten, sichere Herkunftsländer beschließen und beim Asylbewerberleistungsgesetz das Niveau reduzieren, um die Magnetwirkung nach Deutschland einzuschränken. Das sind doch wir, die diese Realpolitik in der Migrationspolitik umgesetzt haben. Und das waren doch nicht die. Und war es nicht Wahnsinn – wenn man dieses Wort verwenden will – dass die CSU-Verkehrsminister Brücken und die Bahn haben verkommen lassen, weil sie sich nur beschäftigt haben mit dem Neidprojekt einer Ausländermaut, für die der deutsche Staat jetzt mehrere 100 Millionen Euro Schaden hatte. Und es ist doch Volker Wissing, der das digitale, unbürokratische Deutschlandticket erfunden und eingeführt hat und der jetzt die Bahn modernisiert und der sogar erreicht hat, dass Autobahnen teilweise im überragenden öffentlichen Interesse ertüchtigt werden. Das waren doch nicht die, die die Verkehrsinfrastruktur auf Vordermann bringen, sondern das sind doch wir, die das jetzt machen. Und wenn man das so machen will mit dem Wahnsinn: War nicht die Energiepolitik der Vorgängerregierung Wahnsinn, die gegen unseren Rat einseitig auf russisches Pipelinegas gesetzt hat und keine Flüssiggasterminals bauen wollte, die Fracking und die CCS-Technologie in Deutschland gesetzlich verboten hat, die gleichzeitig aus Kohle und Kernkraft ausgestiegen ist? Das war doch Wahnsinn. Und wir sind es doch jetzt, die Flüssiggasterminals bauen, die die Netze ausbauen, die durch Planungsbeschleunigung dafür sorgen, dass die Energie, die abgeschaltet wird, ersetzt wird, die wir jetzt über CCS nachdenken und Wasserstoff in Deutschland zu einem Energieträger machen. Es sind doch nicht die gewesen, die die Energiepolitik in Deutschland wieder praxistauglich machen. Es ist doch jetzt die Aufgabe, der wir uns stellen. Und deshalb, meine Damen und Herren, ja: Ich nehme jede Kritik von Unterstützerinnen und Mitgliedern der FDP an, dass wir nicht alles und nicht alles sofort umsetzen können. Ich nehme auch an, dass wir manchen Kompromiss schließen, denn das gehört zur demokratischen Realität. Aber von der CDU nehme ich keine Belehrungen entgegen, dass wir nicht schnell genug dabei sind, den hinterlassenen Scherbenhaufen zusammenzukehren.
Wir werden kritisiert für das, was wir machen. Wir werden kritisiert für das, was wir nicht machen. Wir werden kritisiert für das, was wir verhindern. Das ist das Los der Liberalen. Das war nie anders. Die große Publizistin Marion Gräfin Dönhoff sagte einmal: „Der Platz der Liberalen ist zwischen allen Stühlen“. Und als Liberaler fühlt man sich dort wohl, weil wir wissen, warum wir es tun. Für Frieden in Freiheit, für Stabilität und Wachstum. Für faire Chancen in einer vielfältigen Gesellschaft. Seit mehr als 75 Jahren setzen wir uns ein für den Gedanken von Liberalität und individueller Freiheit. Seit 75 Jahren setzen wir uns dafür ein, dass die und der Einzelne den Weg zum individuellen Glück geht, den sie oder er wünscht. Seit 75 Jahren setzen wir uns dafür ein, den Einzelnen zu schützen vor Bevormundung, vor Bürokratisierung, vor dem mundtot machen oder vor finanzieller Überforderung. Wir wollen alle stark machen, die eigenen Chancen zu ertüchtigen. Seit 75 Jahren setzen wir uns ein für den Wert der Freiheit, der nichts an Aktualität verloren hat.
Und deshalb machen wir morgen damit weiter. Auf ein Neues.