LINDNER-Rede auf dem a.o. Bundesparteitag der Freien Demokraten
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner hielt auf dem außerordentlichen Bundesparteitag der Freien Demokraten in Berlin folgende Rede:
Liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde, meine Damen und Herren! Wie schön ist es, Sie und Euch alle hier persönlich zu sehen! Hinter uns liegt eine Zeit großer Freiheitseinschränkungen. Unseren letzten Bundesparteitag konnten wir deshalb nur digital durchführen. Schulen waren geschlossen, Geschäfte waren geschlossen. Wir haben vielleicht alle den Wert der Freiheit dadurch neu schätzen gelernt, als wir erlebt haben, was uns fehlt, wenn sie so deutlich eingeschränkt werden muss. Und deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, dass es in Deutschland nicht wieder, auch nicht in diesem Herbst zu pauschalen Freiheitseinschränkungen und einem Lockdown kommt.
Die Schäden, die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schäden, sind bereits groß genug. Dazu, meine Damen und Herren, dazu — und das sage ich auch den vielen Menschen, die uns jetzt zusehen — dazu kann jeder einen Beitrag leisten. Wir sind die Partei der Freiheit. Aber unser Verständnis von Freiheit ist untrennbar verbunden mit dem Gedanken der Verantwortung. Wer in Freiheit leben will, muss dafür auch selbst Verantwortung übernehmen. Und deshalb ist unser Appell an die Menschen im Land: Bitte lassen Sie sich impfen! Schützen Sie sich und andere durch eine Impfung.
Lieber Wolfgang, du hast ja eben ein beeindruckendes Grußwort an diesen Parteitag gerichtet. Mit Wolfgang Reitzle hat hier eine Persönlichkeit gesprochen, die in vielfältiger Weise Führungsverantwortung in großen Unternehmen getragen hat und trägt. Aber mehr als das: Es ist nicht der wirtschaftliche Erfolg, aufgrund dessen wir dich eingeladen haben. Wolfgang Reitzle hat hier gezeigt, dass es auch ordnungspolitische, dass es auch Argumente der Verantwortungsethik dafür gibt, einen anderen Weg in der Klimapolitik einzuschlagen als er uns oft nahegelegt wird. Wolfgang Reitzle hat hier aus der Perspektive von Technologie und Praxis gesprochen. Mit ihm hat ein Ingenieur gesprochen, der über naturwissenschaftlich-technische Fragestellungen gesprochen hat — für mich eine Wohltat angesichts der Politologen, Soziologen, Pädagogen und Theologen, die sonst über technische Fragen in der Politik sprechen. Eine Wohltat.
Ich glaube, wir tun gut daran, demokratische Entscheidungen zu treffen über Regeln, über Grenzen und Ziele bei der Frage der Zielerreichung. Da sollten wir in Deutschland aber wieder öfter denjenigen vertrauen, die wirklich etwas davon verstehen. Beeindruckende Vorhaben gibt es ja, meine Damen und Herren, beeindruckende Vorhaben gibt es ja. Beispielsweise denke ich dieser Tage oft an die Idee der BASF, die ihren Chemiepark in Ludwigshafen – übrigens der größte singuläre Emittent von CO2 in unserem Land – dekarbonisieren und elektrifizieren wollen. Die Idee ist: Vor der Küste, wo es viel Wind gibt, auf Flößen ein Windkraftwerk im industriellen Maßstab zu bauen, das dort direkt vor der Küste grünen Wasserstoff produziert. Ein faszinierendes Vorhaben.
In Dresden habe ich vor einiger Zeit ein Unternehmen besucht, das mit erneuerbarer Energie das CO2 der Atmosphäre umsetzen wollen in einen Flüssigtreibstoff, der dann klimaneutral ist. Bei uns aufgrund der Kosten für erneuerbare Energien gegenwärtig noch nicht wirtschaftlich. Aber Chile beispielsweise möchte ein Energie-Exportland werden und dann mit günstiger erneuerbarer Energie solche synthetischen Kraftstoffe produzieren. Es gibt große Fortschritte im Bereich der Speicherung von CO2, im Humus-Boden, in der Landwirtschaft oder etwa im Forst. Es gibt neues Material, wissenschaftliche Erkenntnisse, was man alles mit Pflanzen machen kann, statt auf Plastik zu setzen. Solarkraftwerke können in großem Maßstab dort entstehen, wo wir ungenutzte Flächen haben — etwa die Wasseroberfläche von Talsperren oder Stauseen, die auch gar nicht für den Wassersport geeignet sind.
Ich war unlängst in Berlin hier auf einem Green-Tech-Festival, wo zahlreiche solcher Startups sich präsentiert haben, mit ihren innovativen und oft marktgängigen Ideen. Aber bezeichnenderweise bei diesem Green Tech Festival, da war ich der einzige Spitzenpolitiker. Beim Green-Tech-Festival war z.B. nicht ein einziger führender Politiker der Grünen. Was sagt das aus? Das sagt aus, wenn die Grünen Berlin zu einem Bullerbü machen wollen, dass das ihr Leitbild für unsere Gesellschaft insgesamt ist. Klimaschutz aus Bullerbü wird niemals ein Exportschlager für die Welt sein. German engineered Klimaschutz hingegen kann bei uns Jobs schaffen und woanders die Erderwärmung bekämpfen — das ist unser Unterschied.
Man darf, meine Damen und Herren, man darf uns deshalb nicht missverstehen. Wenn wir spötteln über die Idee, eine Milliarde Euro für die Subventionierung von einer Million neuer Lastenräder einzusetzen, dann nicht deshalb, weil wir etwas gegen Lastenräder hätten. Wenn jemand ein Lasten-Fahrrad haben will, da wo es Sinn macht, selbstverständlich. Wir sind die Partei der Freiheit — auch hinsichtlich der Mobilitätswünsche. Wir bespötteln es deshalb, weil wir nicht glauben, dass wir damit global ein Vorbild sind. Die Chinesen haben doch über Jahrzehnte daran gearbeitet, das Fahrrad und die Rikscha aus dem Straßenbild zu verbannen. Und nun kommen wir und behaupten, dass das Lastenrad die Mobilitätsbedürfnisse der Zukunft befriedigen kann. Das ist der Unterschied.
Es geht nicht darum, durch die Predigt von Verbot und Verzicht, es geht doch nicht darum, durch eine Frontstellung gegen wirtschaftliche Perspektiven und Wachstum das Klima zu schützen. Damit können wir vielleicht der Moralweltmeister werden und andere werden uns rühmen, für unser moralisches Verhalten. Aber niemand wird uns folgen. Wenn wir global einen Unterschied machen wollen, dann darf unser Ehrgeiz nicht sein, der Moralweltmeister zu sein. Dann muss unser Anspruch wieder sein, dass die Nation der Ingenieurinnen und Techniker wieder der Technologieweltmeister wird. Das ist der Unterschied. Und da haben wir bereits viel. Ich habe das Beispiel der BASF angesprochen. Auf dem Green Tech Festival, wie viel habe ich da gesehen.
Interessant ist nun aber, was uns fehlt. Wenn man mit denjenigen, die hier Pionierarbeit leisten wollen, darüber spricht, was sie brauchen, dann erhält man nicht zur Antwort, was vielleicht naheliegend wäre: Geld. Für diesen angesprochenen Wasserstoff-Windpark bitten die beteiligten Unternehmen nicht um das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die bitten nicht um Subventionen: Wir würden es ja gerne machen, aber uns fehlen noch einige Milliarden. Die Antworten: Nein, wir brauchen keine Subventionen, wir haben privates Kapital. Wir glauben an die Investition. Wir wollen das Kapital einsetzen.
Nun gibt es Vorhaben, die hören sich beeindruckend an. Aber im weiteren Verlauf stellt man fest: Das ist gar nicht für die Gegenwart geplant. Da versuchen sich Unternehmen einen grünen Anstrich zu geben, indem sie über Future Technologies sprechen, die aber in der Gegenwart gar nicht zur Verfügung stehen: Ja, wir beabsichtigen das in den 30er, 40er Jahren, aber gegenwärtig geht es noch nicht. Deshalb müssen wir unser fossiles Geschäftsmodell noch fortsetzen und damit Geld verdienen.
Aber auch hier: Beispiel Wasserstoff-Windpark. Die bitten nicht um Geduld. Wissen Sie, worum die gebeten haben? Ich glaube, das ist ein Beispiel für unser Land insgesamt. Sie haben nicht um Subventionen gebeten, nicht um Geduld. Das einzige, worum sie gebeten haben, ist: Bitte gebt uns schnell grünes Licht. Wir brauchen schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren. Bitte die Fläche auf der See nicht erst nach 2030 zur Verfügung stellen. Herr Altmaier, wir möchten jetzt gerne damit beginnen. Und das ist ein Beispiel für die Situation unseres Landes. Ersetzen Sie Wasserstoff-Windpark durch bezahlbares Wohnen. Da will jemand bezahlbaren Wohnraum schaffen. Es dauert aber länger, auf die Baugenehmigung zu warten, als es beansprucht, das Gebäude fertig zu stellen. Viel private Initiative haben wir, viel privates Kapital haben wir, Know how haben wir. Was diesem Land aber fehlt, das ist ein Staat, der es möglich macht.
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, unser Gemeinwesen ist doch inzwischen ein Labyrinth geworden. Arbeitsrecht, Baurecht, Datenschutz, Planungsrecht: Wohin man schaut, es ist ein Labyrinth geworden, von großen und kleinsten Regelungen und Bestimmungen. Ein Labyrinth, in dem sich noch nicht einmal mehr diejenigen auskennen, die es gebaut haben. Und deshalb, weil die Bürokratie heute die größte Bedrohung der Freiheit nach der Pandemie ist, brauchen wir einen neuen Ansatz.
Dies hier ist die Kampfansage der liberalen Partei an den grassierenden Bürokratismus.
Wir wollen einen Staat, der es einfach macht. Wir wollen einen unkomplizierten Staat. Wir wollen die digitalisierte Verwaltung. Unser Versprechen an die Menschen ist: Wir wollen die bürokratischen Hürden senken, damit sie ihre Ziele leichter erreichen können. Das ist unser Ziel in einem umfassenden Sinn. Es ist doch so, dass der Staat mit seinen Systemen inzwischen tief in unser Leben eingreift und dass staatliche Vorgaben die Biografien strukturieren.
Nehmen wir das Beispiel der Rente, eine der wichtigsten Säulen sozialer Absicherung in unserem Land. Und die Frage des Eintritts in den Ruhestand und des Ausscheidens aus dem aktiven Berufsleben ist für viele in der Biografie eine der prägenden. Dennoch geht der Staat hier seit Bismarcks Zeiten mit einer pauschalen Regelung für alle vor: Feste Renteneintrittsalter. Von den Arbeitgebern hörte man gerade, es müsse noch weiter erhöht werden. Dabei unterscheiden sich aber doch die Wünsche an die eigene Biografie und die eigene Lebenssituation. Für den einen ist früherer Ruhestand keine Verheißung, und jemand anders möchte gerne aufgrund seiner Familiensituation früher in den Ruhestand eintreten. Dritte wollen vielleicht gerne schon Rente beziehen, aber haben dann noch plötzlich Freude daran, sich in Teilzeit oder vielleicht in einer geringfügigen Beschäftigung einzubringen. Stattdessen diskutieren wir über feste Renteneintrittsalter.
Angesichts der größeren Vielfalt in unserer Gesellschaft, angesichts unseren Wunsches, den Menschen eine größere Souveränität über ihren Lebenslauf zu geben, sollten wir uns im Jahr 2021 endlich von solchen Schablonen für das private Leben verabschieden. Jeder sollte selbst entscheiden, individuell, wann sie oder er in den Ruhestand geht. Mit der jeweils individuell versicherungsmathematisch errechneten Rente, danach aber mit allen Freiheiten, auch neben der Rente in Teilzeit oder in geringfügiger Beschäftigung zu arbeiten. Nicht mehr der Staat sollte das Leben bestimmen, sondern die Lebensentscheidungen der Menschen sollten die staatliche Organisation beeinflussen.
Und damit das gelingen kann, meine Damen und Herren, damit das für alle gelingen kann, müssen wir fraglos unser Rentensystem insgesamt stabilisieren. Die Babyboomer-Generation geht jetzt bald in das Ruhestandsalter. Hier lachen einige, fühlen sich angesprochen. Das ist allen gegönnt! Ich habe in diesem Wahlkampf öfter darauf hingewiesen: Meine Oma Waltraud, die jetzt vermutlich zuschaut — viele Grüße nach Leichlingen — die ist 96 Jahre alt. Die plant den nächsten Urlaub und das ist großartig. Die Alterung der Gesellschaft, wie es oft heißt, ist kein Problem. Die Alterung der Gesellschaft ist kein Problem. Wenn wir es nämlich übersetzen, bedeutet das ja auch, dass mehr Menschen länger leben und gesund sind. Dass meine Oma unter uns ist und so vital ist, ist ja kein Problem, sondern ein Segen. Und deshalb ist die Alterung der Gesellschaft ein Menschheitstraum.
Das Problem ist doch nicht, dass mehr Menschen länger leben und dabei gesund sind. Das Problem sind die sogenannten Volksparteien, die über Jahrzehnte und vorsätzlich unser Sozial- und Rentensystem an diesen Menschheitstraum nicht angepasst haben — und das muss jetzt geändert werden. Bei dem zweiten Triell tauchte das Thema Rente ja gottlob einmal auf. Olaf Scholz sprach es an und sagte: In den 90er Jahren habe es ja Prognosen gegeben zum Rentenbeitrag und wie sich das Rentenniveau entwickeln würde. Und jetzt würde man im Jahr 2021 sehen, alle Prognosen der 90er Jahre seien falsch gewesen. Rentenbeitrag, Rentenniveau seien stabil. Ich habe das im Fernsehen gesehen und habe gedacht: Er ist wieder da! Norbert Blüm ist wieder da. Die Rente ist sicher. Was macht der Olaf Scholz eigentlich beruflich? Als Bundesfinanzminister sollte er wissen, dass in jedem Jahr gut 100 Milliarden Euro in die Rentenkasse überwiesen werden müssen, damit Beiträge und Rentenniveau stabil bleiben. Angesichts einer alternden Gesellschaft wird dieses Prinzip der umlagefinanzierten Rente mit Steuerzuschuss nicht fortzusetzen sein. Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Gebot der Ökologie. Nachhaltigkeit ist auch ein Gebot von Staatsfinanzen und Ökonomie. Und deshalb brauchen wir in der Rentenpolitik einen neuen Anfang.
Dazu haben wir einen Vorschlag gemacht. Dazu haben wir den Vorschlag gemacht, innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung eine zusätzliche Stütze einzuziehen, indem nämlich unter staatlicher Verantwortung und Organisation ein Kapitalstock angespart wird. Und wenn wir darüber sprechen, wie oft wird eingewandt: Das ist gefährliche Spekulation. Die FDP will mit dem Altersvorsorge-Vermögen der Menschen spekulieren. Wie gefährlich. Welch schlimmes neoliberales Modell! Liebe Freundinnen und Freunde, Schweden ist der — man darf wohl sagen — sozialdemokratische Vorzeigewohlfahrtsstaat. Die machen das nun seit Jahrzehnten mit großem Erfolg für ihre Menschen. Wenn Schweden als ein sozialdemokratischer Vorsorgestaat die Leistungsfähigkeit der internationalen Kapitalmärkte erkennt, dann sollte es im Mutterland der Sozialen Marktwirtschaft auch endlich möglich werden.
Brauchen wir ein neues Denken? Es gibt viele Themen, über die im Wahlkampf gesprochen wird. Als ich an diesen Ort gefahren bin, sind viele Plakate aufgetaucht. Zwölf Euro Mindestlohn, schreibt die SPD. Ob es eine gute Idee ist, die Lohnfindung in den Wahlkampf zu überführen, das will ich mal gar nicht diskutieren. Ich halte es nicht für ratsam, aber bitteschön, andere tun es. Ich habe mich nur gefragt: 12 Euro Mindestlohn und Herr Scholz spricht ja auch oft von Respekt. Trägt denn eigentlich diese Forderung nach 12 Euro Mindestlohn tatsächlich dazu bei, dass Menschen in unserem Land sich wirklich weiterentwickeln können? Da habe ich mich gefragt: Was ist beispielsweise mit Studierenden, die neben dem Studium einen Minijob haben? Wenn da jetzt 12 Euro gezahlt werden, ändert sich für die nichts. Sie müssen nur ihre Stundenzahl einschränken, weil sie nämlich schneller die 450 Euro erreichen. Was ist eigentlich mit der alleinerziehenden Mutter in Hartz-IV, die neben Hartz-IV noch einen Minijob hat, weil sie etwas Gutes tun will für ihre Kinder? Oder, weil sie die Leiter des sozialen Aufstiegs Sprosse für Sprosse nehmen will — beginnend damit, dass sie während der Zeit, in der ihre Kinder in der Grundschule sind, in einem Geschäft aushilft, an der Kasse einer Tankstelle steht. Zwölf Euro Mindestlohn helfen der in Wahrheit gar nicht. Denn neben Hartz-IV im Minijob darf sie 100 Euro verdienen und behalten. Danach aber muss sie 80 Prozent ihres Einkommens abgeben.
Wenn Herr Scholz von Respekt spricht, dann will ich sagen: Im rot-grünen Hartz-IV-System gibt die alleinerziehende Mutter, die sich nicht nur auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen will, sondern die sich aus eigener Leistung mit Fleiß aus der Bedürftigkeit befreien will, die gibt 80 Prozent ab. Mehr als die Fußballbundesliga-Millionäre gibt diese Mutter ab. Das ist die größte Respektlosigkeit! Wenn nämlich Menschen, die fleißig sind, von unserem Sozialstaat daran gehindert werden, sich von ihm zu befreien.
Da wünsche ich mir Initiative, liebe Freundinnen und Freunde. Es ist so leicht, so wie die Grünen zu sagen, wir müssen die Hartz-IV-Regelsätze erhöhen. Und das Herz will vielleicht sagen “Ja”, aber der Verstand sagt: Wir müssen doch dafür sorgen, dass es einen Anreiz gibt, sich um Arbeit und Bildung zu bemühen. Das Versprechen unseres Sozialstaats darf doch nicht sein, Menschen in der Bedürftigkeit besser zu versorgen. Das Versprechen unseres Sozialstaats muss doch sein, Menschen aus der Bedürftigkeit zu befreien, um dafür zu sorgen, dass kein Schicksalsschlag zu einer Sackgasse wird, aus der man sich nicht durch eine neue Chance selbst befreien kann. Das ist doch das soziale Versprechen.
Und aus diesem Grund wundere ich mich, dass in diesem Wahlkampf so viel gesprochen wird, z.B. über höhere Transferleistungen. Aber dass so wenig gesprochen wird über das, was wirklich Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft schafft: nämlich Bildung. Es ist gut, über Lohnuntergrenzen zu sprechen, einen sozialen Arbeitsmarkt, einen treffsicheren Sozialstaat, fraglos. Aber der Anspruch unserer Gesellschaft muss doch sein, jeden Menschen so auszurüsten, dass er selbstbestimmt sein Leben führen kann. Das Ideal muss doch ein Sozialstaat sein, der so investiv, der so präventiv ist, dass durch seine Tätigkeit immer weniger Menschen in der Zwangslage sind, überhaupt auf ihn zurückgreifen zu müssen. Deshalb ist die sozialste Aufgabe, der wir uns stellen könnenn, nicht die Umverteilungsmaschine in unserer Gesellschaft zu verstärken. Sie ist schon sehr groß. Sondern die wichtigste soziale, die wichtigste gesellschaftspolitische Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass nicht mehr der Zufall der Geburt entscheidet über den Platz, den du im Leben einnimmst, sondern dass Fleiß, Talent, Risikobereitschaft, dass freie Lebensentscheidungen darüber bestimmen, welchen Platz im Leben du einnimmst.
Und deshalb ist Bildung für uns die wichtigste Aufgabe. Und für sie muss sich auch der Bund stärker engagieren. Es ist keine Aufgabe alleine nur für Länder und Gemeinden als den finanziell schwächeren Gliedern des Gemeinwesens, sondern es ist auch eine Aufgabe für den Gesamtstaat. Für mehr Vergleichbarkeit zu sorgen, für gute Qualitätsstandards, für mehr Mobilität zwischen den Ländern. Aber auch dafür zu sorgen, dass wir überall auf Höhe der Zeit sind. Ich nenne nur eine einzige Forderung, ein einziges Beispiel für das, was der Bund tun kann. Regelmäßig gibt es Exzellenzinitiative für die universitäre Forschung und Lehre. Dagegen ist nichts zu sagen. Im Gegenteil: Wenn wir Weltspitze sein wollen, dann müssen wir auch bei Forschung und Lehre Exzellenz erreichen. Auf der anderen Seite aber, wenn jemand Elektrotechniker werden will, eine gewerbliche Ausbildung im dualen System macht, im Betrieb. Da hat man es zu tun mit Smart Grid und Smart Home, Photovoltaik auf dem Dach und Wärmepumpe usw. Aber in welchem Zustand sind eigentlich die öffentlichen Bildungseinrichtungen? In welchem Zustand sind gerade in solchen technischen Fächern an vielen Stellen in unserem Land eigentlich noch die Fachräume, wo zukünftige Techniker und Handwerkerinnen ausgebildet werden? Und deshalb: So gut es ist, Exzellenz in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre herzustellen — die nächste Exzellenzinitiative des Bundes sollte eine sein, die die berufliche Bildung mit umfasst. Da gibt es Exzellenz. Da brauchen wir Exzellenz. Man kann nicht immer nur von der Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung sprechen, man muss sie auch praktisch herstellen. Ein Beispiel, wo der Bund in der Bildung tätig sein kann.
Diese Umverteilungs-Diskussion, die wir in diesem Wahlkampf wieder führen, hat ja nicht nur die eine Seite, dass mehr Geld verteilt werden soll, sondern auch die andere Seite, dass es breitflächig Forderungen danach gibt, mehr Geld einzunehmen. Armin Laschet hebt sich wohltuend davon ab, dass seine beiden anderen Kontrahenten in den TV-Duellen fortwährend, wenn es um Finanzierung geht, nur über höhere Steuern sprechen: Vermögensteuer, Erbschaftsteuer. Höherer Spitzensteuersatz. Immer diese Argumente.
Und richtig ist ja auch, das sehen wir als Freie Demokraten genauso: Die Vermögensschere in unserem Land geht auseinander. Vielleicht nicht ganz so stark, wie andere sagen, weil bei den Beschäftigten oft die Rentenversicherungsansprüche nicht mit eingerechnet werden, aber die Vermögensschere geht auseinander. Weil nämlich jene, die über Vermögensgegenstände verfügen, z.B. eine Wohnung oder ein Haus oder ein Aktienpaket — ich glaube, auch bestimmte hochwertige Damen-Handtaschen gelten inzwischen als Asset-Klasse — wer darüber verfügt, profitiert auch aufgrund des niedrigen Zinses. Wer all das nicht hat, profitiert nicht. Tritt auf der Stelle. Ist vielleicht durch den seit Jahren niedrigen Zins auch in einer Situation, dass man eher verliert. Gerade wenn es jetzt noch Inflationsrisiken gibt.
Jetzt führen wir zur Schließung der Vermögensschere eine Debatte darüber, wie wir die großen Vermögen kleiner machen können: Durch Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Spitzensteuersatz? Wie machen wir die großen Vermögen kleiner, damit das Geld dann zum Staat kommt, um in seinen klebrigen Fingern zu verbleiben? Ich mache einen anderen Vorschlag: Statt darüber nachzudenken, wie wir die großen Vermögen kleiner machen, die ja oft betriebliches Vermögen, Fuhrpark, Maschinenpark, Gebäude sind. Wo es darum geht, dass aus dem Vermögen Arbeitsplätze gesichert werden, aus dem Vermögen in saubere Technologie und Digitalisierung investiert werden soll. Wie wäre es, wir würden es andersherum machen, statt darüber nachzudenken, wie wir große Vermögen klein machen? Wie wäre es, dafür zu sorgen, dass kleine Vermögen größer werden? Oder dass mehr Menschen überhaupt eines bekommen können? Das ist unser Ansatz.
Das heißt ganz konkret handeln. Liebe Freunde, das heißt doch ganz konkret handeln, wenn man sieht: Die qualifizierten Leute mit Abschluss, Angestellte, Techniker in einem Industrieunternehmen, die verdienen ordentlich, aber die zahlen auch ordentlich. Von der EEG-Umlage für den Strom, vielleicht gar Kindergartenbeitrag bis dann zu hohen Steuern und Sozialabgaben. Mit jeder Gehaltserhöhung oder Überstunde mehr. Wenn sie nicht erben, kommen sie gar nicht in die Situation irgendwann in ihren Dreißigern, so viel Geld gespart zu haben, dass sie dann in der Lage wären, eine Eigentumswohnung oder ein eigenes Haus zu kaufen. In der Regel, wenn die etwas gespart haben, müssten sie ihr ganzes Eigenkapital beim Staat abgeben. Bei der Grunderwerbsteuer. Ein Staat, der so stark zugreift in der Mitte der Gesellschaft, der darf sich danach nicht beklagen, wenn Menschen sich nicht in wirtschaftliche Unabhängigkeit arbeiten können.
Wir müssen es den Menschen erleichtern, sich in der breiten Mitte der Gesellschaft eine eigene Unabhängigkeit jenseits des Staates zu erarbeiten. Es darf nicht dabei bleiben, dass die Menschen, die mit Fleiß und Sparsamkeit vielleicht überhaupt das erste Mal in der Geschichte ihrer Familie Eigentum erwerben wollen, dass denen etwa mit der Grunderwerbsteuer noch durch den Staat Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Da brauchen wir eine Erleichterung. Das trägt auch zur Gerechtigkeit bei. Angesichts unserer wirtschaftlichen Situation sind Steuererhöhungen ohnehin eine Gefahr. Wir sind ja bereits ein Höchststeuerland. Weshalb man sich nur wundern kann, warum es so populär bei uns ist, über weitere Belastungen nachzudenken. Inzwischen sehen wir ja auch im internationalen Vergleich, in welche Situation wir damit geraten sind. China, die USA wachsen mit sieben, acht Prozent aus der pandemiebedingten Wirtschaftskrise heraus, Italien über vier. Und wir müssen froh sein, wenn bei uns beim Wachstum eine Drei vor dem Komma steht. Übersetzt bedeutet das eine geringere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und damit weniger Dynamik am Arbeitsmarkt und damit weniger Attraktivität für neue Unternehmensgründungen und damit weniger Attraktivität für private Investitionen in der Zukunft und damit insgesamt weniger prosperierende Staatseinnahmen, weniger Möglichkeiten, Sinnvolles zu finanzieren. Daraus müssen wir uns irgendwann einmal befreien. Das gelingt aber nicht mit immer höheren Steuern. Auf eine Wirtschaftskrise darf man nicht mit der Ankündigung höherer Belastungen antworten. Wenn man mehr private Vorsorge, wenn man mehr private Investitionen und übrigens auch mehr private Lebensträume möchte, dann darf man nicht mit Belastung auf eine Wirtschaftskrise antworten. Dann muss die Arbeit an Entlastung die Antwort sein. Deutschland muss wechseln von einem Jahrzehnt der Belastung bei Steuern, Abgaben und Bürokratie, in ein Jahrzehnt der Entlastung bei Steuern, Abgaben und Bürokratie. Das ist unsere Antwort auf eine Wirtschaftskrise.
Wir haben jetzt Vorschläge gemacht: Unmittelbar nach der Bundestagswahl brauchen wir ein Superabschreibungs-Programm. Großbritannien schreibt 130 Prozent einer Investition in einem Jahr ab. Soweit wollen wir nicht gehen. Aber beispielsweise Anlageinvestitionen, die dem Klimaschutz und die der Digitalisierung dienen, sollte man vielleicht innerhalb von zwei Jahren abschreiben können, in Verbindung mit gezielten Steuerentlastungen. Möglicherweise wird das Bundesverfassungsgericht den Solidaritätszuschlag als verfassungswidrig verwerfen. Wäre das ein echtes Programm für zusätzliche Investitionen? Jobs, durch die am Ende auch dem Staat neue Einnahmen zuwachsen können. Wenn wir das kombinieren mit einer Initiative für die erleichterte Einwanderung von klugen Köpfen und fleißigen Händen, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, mit der Reduzierung der europaweit höchsten Kosten bei der Energie, dann haben wir eine echte Chance, Deutschland auf einen neuen Wachstumspfad zu bringen.
Manche sagen ja, Wachstum sei etwas Gestriges und sei in Wahrheit nicht wichtig. Machen wir uns bitte gemeinsam noch einmal klar: In einer stagnierenden Gesellschaft ohne wirtschaftliches Wachstum fällt es den Schwächsten besonders schwer, die eigene Lebenssituation zu verbessern. Wer nämlich in einer stagnierenden Gesellschaft lebt und sein Leben verbessern will, der muss ja zwangsläufig jemand anderem etwas wegnehmen, damit es ihr oder ihm besser geht. Viel leichter machen wir es aber, wenn der Kuchen größer wird und man an einem wachsenden Kuchen seinen Anteil beanspruchen kann. Aus diesem Grund ist die Orientierung auf stärkeres wirtschaftliches Wachstum geradezu ein Gebot einer Politik für soziale Gerechtigkeit, weil die Aufstiegschancen in einer prosperierenden Gesellschaft erleichtert werden. Deshalb brauchen wir solche Programme. Das könnte der Auftakt für ein Jahrzehnt der Entlastung sein.
Auf der anderen Seite sehen wir, dass der Staatshaushalt tief in den roten Zahlen steckt. Europa ist höchst verschuldet. Wir haben Zukunftslasten, die gar nicht in den Haushalten ausgewiesen sind, aufgrund der Nichtanpassung der Sozialversicherungssysteme an den demografischen Wandel. Inzwischen beobachten wir auch Inflationsrisiken. Ich habe es gerade schon erwähnt: Wir wissen, diese haben viel zu tun mit der Pandemie, Einmaleffekten, Mehrwertsteuer, CO2-Preis, unterbrochenen Lieferketten — das sehen und wissen wir. Allerdings gibt es diese Inflationsrisiken auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo die Notenbank bereits mit einer Anpassung ihrer Zins- bzw. Anleiheneinkaufspolitik reagiert. In gleicher Weise stünde uns ein solches Instrumentarium für den Fall einer größeren Inflation gar nicht zur Verfügung, weil wir viele Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben, die bei einer fundamental veränderten Zins- und Notenbankpolitik, ich sage einmal vorsichtig, in Schwierigkeiten gerieten. Angesichts der roten Zahlen in unserem Haushalt, angesichts der enormen Verschuldung in Europa und auch angesichts drohender Inflationsrisiken muss es eine Priorität deutscher Politik sein, schnellstmöglich wieder zu soliden Staatsfinanzen zurückzukehren. Es muss eine Priorität sein — und zwar gerade auch vor dem europäischen Hintergrund. Jetzt sagen manche, von Markus Söder bis Robert Habeck: ja, wir bräuchten doch Investitionen und die Schuldenbremse, das sei ja eine Investitionsbremse, und deshalb müsste man die Schuldenbremse aufweichen, damit endlich investiert werden kann. Zur Erinnerung: In den Jahrzehnten, als wir die Schuldenbremse nicht hatten, stiegen zwar die Schulden, aber die Investitionen gingen trotzdem nicht durch die Decke. Oft genug besteht ja das Problem, dass Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, aber aufgrund komplizierter Verwaltungsverfahren gar nicht abgerufen werden. Der Digitalpakt für die Schulen ist dafür nur ein Beispiel. Und dennoch gibt es diese Diskussion um die Schuldenbremse, von der ich glaube, dass in Wahrheit andere Motive dahinter stecken, nämlich zusätzlichen Spielraum für Staatskonsum zu gewinnen. Davon raten wir ab, gerade auch mit Blick auf die Situation in Europa.
Wenn Deutschland jetzt beginnt, die gute Erkenntnis, dass der Staat nicht auf Dauer mehr Geld ausgeben darf, als er einnimmt, wenn wir diese kluge Einsicht verraten, wäre das dann ein gutes Signal für Europa? Im Gegenteil, wir müssen Anwalt von Stabilität in Europa sein und bleiben und dafür sorgen, dass auch Europa durch Wettbewerbsfähigkeit, durch strukturelle Reformen wieder auf einen Wachstumspfad kommt. Das ist keine Argumentation, die wir pflegen, weil wir eine Skepsis gegenüber Europa hätten. Ganz im Gegenteil: Am 75. Jahrestag der Züricher Rede von Winston Churchill muss man unterstreichen, dass unser Bild das vereinte Europa ist. Dieses Europa braucht Initiativen, um beispielsweise in der Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähig zu werden. Wie schmerzhaft haben wir das gerade in Afghanistan vermisst! Dieses Europa braucht weitere Initiativen zur Vertiefung des Binnenmarktes für digitale Dienstleistungen, damit Start-ups besser wachsen können und wettbewerbsfähig sind. Wir brauchen auch eine Zusammenführung eines Banken- und Finanzplatzes Europa, damit wir auch dort gegenüber den Wettbewerbern auf der globalen Ebene wettbewerbsfähig sind. Wir brauchen eine gemeinsame Migrationspolitik, gerade jetzt vor dem Anlass der Krise in Afghanistan ist das dringlich. Wir brauchen gemeinsame Initiativen für den weltweiten Freihandel und den Multilateralismus.
Es ist tatsächlich der Zeitpunkt gekommen, auch eines neuen europäischen Aufbruchs. Wenn wir aber auf solide Finanzen bestehen, dann nicht, weil wir skeptisch gegenüber Europa sind. Bremen haftet nicht für Bayern. Wolfgang Kubicki haftet nicht für mich. Finanzpolitische Eigenverantwortung ist ein Gebot der Solidität und die natürliche Bremse gegenüber unverantwortlichen Risiken. Weil wir Europa lieben, braucht es eine wirtschaftlich stabile Grundlage. Das ist der Grund.
Und es beginnt mit der Schuldenbremse bei uns, die hinreichend viel Flexibilität erlaubt. Gerade beim Reinkommen hat mich aus einer Gruppe von Journalisten jemand auf eine Anekdote angesprochen, die ich unlängst bei einer Veranstaltung erzählt habe, und ich nehme den Hinweis auf, Ihnen und Euch hier nochmal zu berichten. Es handelt sich um einen Spaziergang, den eine Tageszeitung mit dem potenziellen Finanzminister Robert Habeck unternommen hat. Und während dieses Spaziergangs mit dem potenziellen Finanzminister Robert Habeck kommt die Autorin mit ihm auf die Schuldenbremse zu sprechen. Und kurz leuchtet die Argumentation mit den Investitionen auf. Und dann kommt eine besondere Passage, denn der geschätzte Kollege Habeck führt dann seine Gedanken zur Schuldenbremse aus. Es sei nämlich das Problem der Schuldenbremse, dass im Wort Schulden das Wort Schuld stecke. Wer in Deutschland Schulden mache, fühle sich schuldig, moralisch schlecht. Also kommt der Vorschlag des potenziellen Finanzministers Robert Habeck: Lasst uns nicht mehr von Schulden sprechen, sondern von Krediten. Denn im Wort Kredit steckt die lateinische Wurzel credere — glauben. Wer einen Kredit erhalte, habe einen Gläubiger, also jemanden, der ihm Glauben schenkt, der ihm Vertrauen entgegenbringt. Und Vertrauen sei doch besser als Schuld.
Ich will sagen, ich war beeindruckt, als ich das gelesen habe. Habe mir aber auch gedacht: Das kann ja heiter werden in der nächsten Zeit. Und tatsächlich. Tatsächlich hat dieser Tage der SPD-Kanzlerkandidat ebenfalls darauf Bezug genommen. In einem Interview mit dem Handelsblatt sagte Herr Scholz, die Schuldenbremse müsse erhalten bleiben. Und dann führte er weiter aus: Die Aufweichung der Schuldenbremse, wie z.B. die Grünen sie wollten, das gäbe es mit ihm nicht, sei ausgeschlossen, und das Wahlprogramm der Grünen würde — ich glaube so ungefähr wörtlich hat er das gesagt — das Wahlprogramm der Grünen würde dann wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Das war eine harte Ansage, bei aller Sympathie für das Festhalten an der Schuldenbremse. Der Tonfall von Olaf Scholz war ein kleines bisschen so wie früher Koch und Kellner unter Gerhard Schröder. Da haben sich die Zeiten aber doch durchaus verändert — und die Wahlergebnisse der SPD auch.
Man muss an der Schuldenbremse festhalten, aber es muss trotzdem nicht jedes Vorhaben scheitern, auch z.B. die Grünen haben ja für Kinder durchaus sinnvolles in ihrem Programm. Da muss man nicht so eine Koch-Kellner-Ansage machen wie Herr Scholz. Man kann ja den Grünen ein bisschen assistieren und sagen, wie sie ihre sinnvollen Vorhaben solider finanzieren können, ohne die Steuern zu erhöhen und ohne die Schuldenbremse aufzuweichen. Man könnte ja auf die Idee kommen, einmal zu fragen, ob es im Staatshaushalt vielleicht Aufgaben oder Ausgaben gibt, die gar nicht mehr nötig, sinnvoll und wirksam sind. Das wäre ja auch eine Idee!
Es wäre doch eine Idee, liebe Freundinnen und Freunde, statt immer nur über mehr Schulden oder höhere Steuern zu philosophieren, einfach mal den Staat auf den Prüfstand zu stellen: Wo gibt es Dinge, die wir nicht brauchen? Beispiel: Wolfgang Reitzle hat eben gesprochen über Technologien, Offenheit im Bereich der Mobilität und beim Auto, die wir brauchen. Eine Frage europäischer Flottengrenzwerte, die synthetische Kraftstoffe verhindern, aber eben auch eine Frage unserer Förderpolitik in Deutschland. Ist es wirklich ein Problem, dass die Elektroautos so teuer sind? Ist nicht eher ein Problem, dass Ladesäuleninfrastruktur fehlt? Wird die Elektromobilität eigentlich dadurch erleichtert, dass die Politik beschlossen hat, dass jede Ladesäule auch mit einem Kreditkarten-Lesegerät ausgestattet sein muss? Im Jahr 2021, wo wir über Zahlen per App sprechen, gibt es die bürokratische Regel, dass alle Ladesäulen Kredikarten-Anschluss haben sollen. Ist das sinnvoll? Bringt uns das weiter? Auf der anderen Seite hohe Subventionen für ein Elektroauto. Selbst der Gutverdiener, der seinen Elektrodienstwagen kauft, wird über die Nutzungsdauer des Autos vom Staat, also von uns allen, bis zu 20.000 Euro Subvention über die unterschiedlichen Formen erhalten. 20.000 Euro bei einer Industrie, die hoch wettbewerbsfähig ist. Die Selbstheilungskräfte der Automobilwirtschaft konnte man ja bei der IAA beobachten: Großartige Produkte. Wir haben immer daran geglaubt, auch zu einem Zeitpunkt, als andere nur Verwünschungen über die Autobranche ausgesprochen haben. Die sind voll wieder da, mit großartigen Produkten, mit Milliardengewinnen. Für was brauchen die auch noch Milliardensubventionen vom Steuerzahler? Wir können die doch besser einsetzen
Und deshalb, liebe Freundinnen und Freunde: Man kann auch Sinnvolles finanzieren, indem man nicht Sinnvolles streicht und umwidmet. Nur mal zum Vergleich, wenn ich es richtig vor Augen habe: Der Staat zahlt für die Bildung einer Schülerin im Jahr 8.000 Euro und für ein Elektroauto für den Gutverdiener 20.000 Euro. Hier stimmt die Relation nicht. Und dazu gibt es noch mehr Beispiele, die man bringen kann. Nächste Woche Sonntag wird gewählt. Und man muss sagen, der Wahlkampf der Sozialdemokratie ist beeindruckend. Handwerklich außerordentlich geschickt. Olaf Scholz hat es jetzt bereits über Wochen virtuos vermocht, Saskia Esken und Kevin Kühnert weitgehend vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Die sind aber noch da. Olaf Scholz tritt anders auf, als sein Programm ist. SPD und Grüne sind offen für die Kooperation mit der Linkspartei, plädieren hier in Berlin für die Enteignungen und gefährden damit einen Eckpfeiler unserer Wirtschaftsordnung, nämlich die Garantie und den Schutz des privaten Eigentums. Flirten mit einer Linkspartei, die lumpige 75 Prozent Spitzensteuersatz will. Ganz zu schweigen vom Unvermögen der Linkspartei, die DDR einen Unrechtsstaat zu nennen. Und meine Damen und Herren, SPD und Grüne halten sich die Option Linkspartei offen. Dabei hat die Linkspartei vor kurzem im Deutschen Bundestag noch einmal ihren Charakter gezeigt. Als nämlich der Deutsche Bundestag unseren Soldatinnen und Soldaten im heldenhaften Einsatz in Afghanistan durch ein nachträgliches Parlamentsmandat Rechtssicherheit geben wollte, als das Parlament den Soldatinnen und Soldaten den Rücken stärken wollte im lebensgefährlichen Einsatz, hat die Linkspartei sich dem verweigert. Eine Partei aber, die bei einem gefährlichen Auslandseinsatz unserer Soldatinnen und Soldaten diese Bundeswehr im Stich lässt, eine solche Partei darf keine Macht über diesen Staat haben.
Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde, auf der anderen Seite die Union. Mit Armin Laschet arbeiten wir fair, partnerschaftlich und erfolgreich in Nordrhein-Westfalen zusammen, kennen ihn. In vielen Grundüberzeugungen steht uns die Union näher als Rot-Grün. Dennoch ist die Schwäche der Union gegenwärtig überraschend. Es gab auch manche inhaltliche Wende, die offensichtlich nicht nur uns irritiert, sondern auch die Öffentlichkeit irritiert hat. Mal Steuersenkung, dann Absage von Steuersenkung, dann Offenheit für Steuererhöhung, gar dann doch wieder Entlastung. Kein klarer Kurs. Man hat das Gefühl, die Union ist mit sich nicht im Reinen. Wenn man die Interviews von Führungskräften der Union liest, muss zwischen den Zeilen der Eindruck entstehen, sie wäre sich in der Sache und auch personell nicht vollständig einig.
Und deshalb sind wir in einer paradoxen Situation: Die SPD ist stark, weil sie zeigt, wie sie in Wahrheit gar nicht ist. Und die CDU ist schwach, weil sie nach der Ära Merkel zeigt, wie sie wirklich ist. Die einen zeigen etwas, was sie nicht sind und werden stark und die anderen offenbaren, wie uneinig und inhaltlich entkernt sie doch sind, und sind deshalb geschwächt. In dieser Situation wächst uns Freien Demokraten eine besondere Verantwortung zu. SPD und Grüne sind offen nach ganz links, und die Union gegenwärtig hat alleine nicht die Durchsetzungskraft, um einen weiteren Links-Drift in unserem Land zu verhindern. Da wächst der Freien Demokratischen Partei die besondere Verantwortung zu, Garant für die Mitte in unserem Land zu sein. Das ist unsere Verantwortung jetzt, das ist unsere Verantwortung. Und deshalb ist gar nicht einmal alleine entscheidend, wer gewinnt Platz eins? Wie ist das Rennen zwischen Union und SPD? Aus dem Status einer stärksten Partei ergab sich noch nie der automatische Führungsanspruch. Ich habe im Deutschen Bundestag daran erinnert. Das ist nur ein Beispiel, viele weitere könnte man hinzufügen. 1976 betrug der Abstand zwischen Union und SPD sechs Prozent. Dennoch blieb Helmut Schmidt Bundeskanzler. In diesem Jahr wird die Situation sein, dass voraussichtlich weit über 70 Prozent der Menschen, welche es auch immer sein wird, die Partei des Kanzlers nicht gewählt haben werden. Aus dem Status, stärkste Fraktion zu sein, leitet sich deshalb weniger denn je ab, wer die Regierung führt. Ich höre jetzt immer auch von unseren geschätzten Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU, die FDP müsse dieses und jenes ausschließen. Wir haben in der Vergangenheit schon gezeigt, vor 4 Jahren, dass uns unsere Überzeugungen wichtiger sind als Karrieren. Ausgerechnet die Union verlangt von uns, dass wir etwas ausschließen sollen. Dabei war die Union es doch, die 2017 bereit war, in der Energie-, in der Flüchtlings- und in der Wirtschaftspolitik nahezu die Richtlinienkompetenz an die Grünen abzugeben. Nicht wir waren das. Ausgerechnet die Union verlangt von uns, wir sollten irgendetwas ausschließen, nachdem die Union ja seit Jahr und Tag ihr eigenes politisches Koordinatensystem regelmäßig opportunistisch nach links und grün ausgerichtet hat. Ausgerechnet die Union.
Liebe Freundinnen und Freunde, ausgerechnet die Union verlangt von uns, dass wir irgendetwas ausschließen, nachdem sie gerade in Baden-Württemberg eine grün-schwarze Regierung gebildet haben. Alle Inhalte über Bord geworfen haben, nur weil sie weiterregieren, Minister- und Staatssekretärsposten behalten wollten. Ausgerechnet die Union empfiehlt uns, irgendetwas auszuschließen. Wir schließen Steuererhöhungen aus, wir schließen die Aufweichung der Schuldenbremse aus. Wir schließen aus, beizutragen zu einem Linksruck in Deutschland. Aber von dieser Union nehmen wir keine Anweisungen entgegen. Wo kommen wir denn da hin?
Wir gehen, liebe Freundinnen und Freunde, wie vor vier Jahren auch dieses Mal als eigenständige Kraft in diese Wahl. Wir haben eigene inhaltliche Überzeugungen, wir haben eigene Projekte und unsere Kandidatinnen und Kandidaten. Die sind mindestens genauso gut wie die unserer Mitbewerber. Wir gehen als eigenständige Kraft in in diese Wahl, als Garant für die politische Mitte. Entscheidenden Einfluss haben wir dann, wenn wir den Abstand zu den Grünen verkürzen, wenn es uns gelingt, näher an die Grünen heranzukommen. In der Umfrage von heute sind es noch drei Prozentpunkte. Wenn wir diesen Abstand verkürzen, dann haben wir die Chance, Einfluss zu nehmen auf die Koalitionsbildung und auf die Inhalte, die dann in einer neuen Regierung zum Tragen kommen. Und deshalb ist unser Ehrgeiz, als der Garant der Mitte in Deutschland in dieser Woche für unsere Werte zu werben. Wir wollen nicht taktisch überzeugen. Wir wollen für unsere Überzeugungen werben und um ihrer willen gewählt werden. Freiheit vor Bürokratismus, Erwirtschaften vor Verteilen, Erfinden vor Verbieten. Wer das so sieht wie wir, der sollte mit allen Stimmen die Freiheit wählen.