LINDNER-Rede auf dem 74. Ord. Bundesparteitag der Freien Demokraten
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner hielt auf dem 74. Ord. Bundesparteitag der Freien Demokraten in Berlin die folgende Rede:
Liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde, im vergangenen Jahr habe ich nach der Pandemie hervorgehoben, wie wichtig es ist, dass man im demokratischen Leben zusammenkommt, dass man von Angesicht zu Angesicht Argumente austauscht, und dass man auch abseits der Tagesordnung miteinander Gespräche führt. Leider traf das alles auf mich letztes Jahr nicht zu. Ich habe den Parteitag im vergangenen Jahr so genau und so präzise verfolgt wie kaum jemals eine Parteiveranstaltung zuvor. Jedes Detail der Antragsberatung habe ich genau verfolgt, weil mir ja auch nichts anderes übrig blieb, denn ich durfte mein Hotelzimmer in Washington während der Corona-Isolation nicht verlassen. Ich verspreche, dieses Jahr bleibe ich freiwillig und mit besonderer Freude bei diesem Parteitag auf der Bühne.
Immerhin konnte ich mit Erleichterung feststellen, dass sich Geschichte nicht wiederholt. In der vergangenen Woche war ich wiederum in Washington bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds. Aber ich habe es geschafft, nach Berlin zu kommen, und deshalb gibt es jetzt nach vier Jahren auch für mich wieder einen Bundesparteitag in Präsenz. Ich kann nur sagen: Es ist schön, mit Ihnen und Euch hier in der Station zusammenzukommen. Das will ich mir nicht nehmen lassen.
Liebe Freundinnen und Freunde, mit diesem Blick von außen, den ich nicht nur im vergangenen Jahr reichlich hatte, sondern auch sonst dienstlich begründet ja öfter, damit verbunden ist eine gewisse beobachtende Distanz zu unserem Land. Der Blick von außen ist ja manchmal hilfreich, um Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen. Manche unserer innenpolitischen Debatten werden anderswo auf der Welt gar nicht verstanden. Und manche unserer Leistungen, die werden im Ausland stärker gewürdigt als bei uns. Beispielsweise wie es gelungen ist, in einer Phase der Energieknappheit im vergangenen Jahr und bis in die Gegenwart dennoch die Funktionsfähigkeit von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft aufrechtzuerhalten.
Auch die Verantwortung, die wir international wahrnehmen, wird im Ausland stärker gewürdigt als bei uns selbst. Vielleicht ist es so, wie Friedrich Wilhelm Voigt in „Der Hauptmann von Köpenick“ gesagt hat: „Det glaubst du ja nicht, wie schön Deutschland ist, wenn man weit weg ist und immer nur dran denkt.“ Bei aller berechtigten Kritik nämlich, liebe Freundinnen und Freunde, bei aller berechtigten Kritik und bei allem, was wir besser machen wollen. Wir leben in einem wahnsinnig tollen Land mit großartigen Menschen, die jeden Tag im Großen und im Kleinen ihren Beitrag für unser gutes Zusammenleben leisten. Darauf dürfen wir stolz sein und das dürfen wir auch nicht vergessen.
Völlig klar ist: Wir wollen weiter dafür sorgen, dass Deutschland immer stärker und immer freier und immer moderner wird. Dass die Zukunft besser wird, als die Gegenwart ist und die Vergangenheit war. Das ist unsere Grundüberzeugung. Zukunft ist nichts, wovor wir uns fürchten müssen, sondern im Gegenteil, wovon wir als Freie Demokraten uns etwas erwarten.
Liebe Freundinnen und Freunde, im vergangenen Jahr wie auch jetzt in der vergangenen Woche habe ich in Washington und bei anderen Gelegenheiten über internationale Fragen gesprochen, und insbesondere haben wir gemeinsam die Situation vor dem Hintergrund des schrecklichen Angriffs Russlands gegen die Ukraine bewertet. Das haben viele von uns, auch ich selbst, vor dem Februar des vergangenen Jahres nicht für möglich gehalten, dass es in Europa noch einmal einen Angriffskrieg eines Staates auf einen anderen geben könnte. Und dennoch ist das eine schreckliche Realität, mit der wir seit über einem Jahr umgehen müssen. Wir haben seitdem wesentliche und auch weitgehende Maßnahmen eingeleitet, die an Gültigkeit nichts verloren haben.
Zum einen die Isolation des Aggressors Russland, das politisch, rechtlich und wirtschaftlich vollständig isoliert werden muss, weil es kein business as usual mit denen geben kann, die das Völkerrecht brechen. Und genauso bleibt auch nach über einem Jahr gültig, dass wir der Ukraine Solidarität schulden. Sie kämpft eben nicht nur heldenhaft für sich, sondern die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen auch für all das, was uns heilig ist: das Recht auf Selbstbestimmung in Frieden und Freiheit.
Kein Staat darf unter dem Diktat eines anderen stehen. Deshalb verdient die Ukraine Solidarität nicht nur aus Mitmenschlichkeit, sondern auch in unserem wohlverstandenen eigenen Interesse. Die Ukraine kann sich darauf verlassen, dass wir an ihrer Seite bleiben. Und all jenen, die Putins Aggression verharmlosen oder irgendwie erklären wollen, die Waffenlieferungen und sonstige Hilfen für die Ukraine ablehnen, denen will ich sagen: Wer in dieser Phase der Geschichte nicht an der Seite der Ukraine steht, der steht auf der falschen Seite der Geschichte.
Deutschland, die Bundesregierung tut ihr Möglichstes, um die Ukraine in ihrer Durchhaltefähigkeit zu stärken. Dazu gehört die zivile Zusammenarbeit, die finanzielle Unterstützung, aber auch die Ausrüstung mit militärischen Gütern und die Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten. Wir haben dann abgestimmt mit unseren Partnern gehandelt, entschlossen in der Haltung, und auch in einer solchen Situation muss man mit verantwortungsethischen Abwägungen, mit kühlem Kopf die eigenen Entscheidungen formen. Das Ziel, unsere innere Einstellung ist aber klar und muss klar bleiben: Wir leisten unseren Beitrag dazu, dass die Durchhaltefähigkeit der Ukraine in diesem Krieg dauerhaft größer bleibt als die Bösartigkeit, die von Putin ausgeht.
Liebe Freundinnen und Freunde, wir sind im Jahr 2023. Vor 75 Jahren wurde diese stolze Freie Demokratische Partei gegründet. In diesem Jahr ist das 75. Gründungsjubiläum unserer Partei. In der Gründungsproklamation – in Hessen seinerzeit verabschiedet – da wurde notiert, Freiheit sei für uns Richtschnur für alle Entscheidungen. Auch 75 Jahre nach unserer Gründung hat sich an dieser Richtschnur und ihrer Bedeutung nichts verändert.
In unserem Land wird gelegentlich der Wert der Freiheit gering geschätzt, weil sie als eine Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Corona und die damit verbundenen Schutzmaßnahmen haben jeder und jedem gezeigt, dass Freiheit alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Es mag heute wie Vergangenheit erscheinen, aber trotzdem war es eine Charakterfrage, die politische Entscheidungsträger und auch Parteien haben bestehen müssen oder nicht. Ich erinnere mich noch an das sogenannte „Team Vorsicht“, das in Wahrheit ein „Team Vorschrift“ war. Der große Baumumarmer Markus Söder hat es anderen selbst draußen untersagt, Bäume zu umarmen, weil er präventiv in Bürgerrechte eingegriffen hat. Es fehlte nicht nur das Vertrauen auf den Einzelnen und seine Möglichkeit, Verantwortung für das eigene Leben und die Gesundheit zu übernehmen, sondern zum Teil harte, bisweilen auch an die Grenze und über die Grenze der Verhältnismäßigkeit hinausgehende Maßnahmen wurden in unserem Land beschlossen.
Es ist das Verdienst insbesondere unseres liberalen Justizministers Marco Buschmann, dass wir danach eine andere, liberalere Politik eingeleitet haben. Und das war alles andere als unumstritten. Ich erinnere mich noch an den Jahreswechsel 2021, als wir klar gemacht haben: Schulschließungen und andere pauschale Schließungen, Ausgangssperren wird es mit uns nicht mehr geben. Was sind da für Szenarien, auch öffentlich, bemüht worden?
Da gab es den Twittertrend „Buschmann Tote“. Das war ja alles andere als unumstritten, diese Veränderung hin zu einer liberaleren Pandemie-Politik umzusetzen. Und am Ende haben uns die Ergebnisse Recht gegeben. Oder anders gesagt: Die Bürgerinnen und Bürger haben uns Recht gegeben, denn sie sind verantwortungsbewusst mit ihren Freiheiten umgegangen. Und aus diesem Grund will ich 75 Jahre nach Gründung einer Freien Demokratischen Partei in Deutschland erneut feststellen: Es sind nicht die Bürgerinnen und Bürger, die ihre Freiheit begründen müssen. Es ist immer der Staat, der begründen muss, wenn er in die Freiheit der Menschen eingreift.
Liebe Freundinnen und Freunde, Freiheit als Richtschnur, das gilt nicht nur für unsere eigene Gesellschaft. Das ist unser Anspruch auch international. Die Volksrepublik China ist inzwischen ein systemischer Rivale mit einem globalen Dominanzanspruch. Wir treiben Handel mit China. Und China ist ein wichtiges Gegenüber dem Welthandel, von einer kaum zu überschätzenden Bedeutung auch für die deutsche Wirtschaft.
Wir müssen realistisch sein. Das wird nicht über Nacht zu verändern sein. Vielleicht sollte es über Nacht auch gar nicht verändert werden. Vielleicht sollten eher andere Weltregionen schrittweise an Bedeutung gewinnen, sodass man sich nicht einseitig aus China und aus den Handelsbeziehungen zurückziehen muss. Sie bleibt also ein wichtiger Partner in wirtschaftlichen Fragen, diese Volksrepublik China.
Aber bei jeder Gelegenheit sollten wir als Liberale und als Deutschland insgesamt die Frage von Menschenrechten und Völkerrecht thematisieren. Die Samtpfötigkeit, die es teilweise in der Vergangenheit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber China gab, sie war ein Fehler. Es darf niemals der Eindruck entstehen, dass wir uns für gute Geschäfte unsere liberalen Werte abkaufen lassen.
Das kann man von der FDP nicht sagen, dass uns wirtschaftlich Entwicklungschancen unwichtig wären. Im Gegenteil wollen wir, dass wir über weltweiten Handel auch hierzulande unseren Wohlstand stärken. Aber auch wir machen selbst deutlich, wo für uns die Prioritäten liegen. Es war Bettina Stark-Watzinger, die nach 25 Jahren, das erste Mitglied eines Bundeskabinetts war, das Taiwan besucht hat. Denn für uns ist Freiheit unteilbar.
Die Unteilbarkeit der Freiheit ist für uns Orientierung in unserer Gesellschaftspolitik. Marco Buschmann setzt dort fort, nur beispielhaft, das Namensrecht und andere wichtige Vorhaben. Von konservativer Seite wird ja mitunter beklagt, dass eine liberale Gesellschaftspolitik, dass unsere moderne, progressive Gesellschaft gesellschaftlichen Zusammenhalt einbüßen würde. Dass traditionelle Werte wie Nation, die dörfliche Gemeinschaft und die Familie relativiert werden würden dadurch, dass Menschen Emanzipation leben und Selbstbestimmung.
Richtig ist: Für uns als Liberale ist es wichtig, Zusammenhalt zu stiften, aber keinen, der sich allein aus Tradition ergibt, sondern aus freier Selbstbestimmung. Wir zerstören also nicht traditionellen Zusammenhalt, sondern im Gegenteil wir ermöglichen neuen, wenn zum Beispiel mit der Verantwortungsgemeinschaft eine neue Institution geschaffen wird, wo Menschen in freier Selbstbestimmung füreinander Verantwortung übernehmen können. Das ist unsere gesellschaftspolitische Vision.
Und wir grenzen uns ab von jenen von links, die gewissermaßen Verhaltensanweisungen geben wollen, aber auch gegenüber jenen von rechts wie Markus Söder, der giftet gegen „Woke-Wahnsinn“. Wir urteilen nicht, liebe Freundinnen und Freunde, über Lebensstile. Für uns gilt nicht als fortschrittlich, wer in Berlin Mitte mit Lastenfahrrad lebt, aber eben auch nicht als rückständig, wer den Lebensstil der Mehrheitsgesellschaft prägt. Das Leben mit Verbrennungsmotor im Thüringer Wald ist nicht besser oder schlechter als das Leben mit Lastenrad im Prenzlauer Berg. Es sind schlicht freie Lebensentscheidungen, die beiderseits Respekt verdienen.
Das friedliche und freie Zusammenleben unserer Gesellschaft wird bedroht von wirklichen Gegnern dieser Gesellschaft und ihres Staates, wie etwa den Reichsbürgern, die sich sogar Zugang zu Waffen verschafft haben und Umsturzfantasien geprägt haben. Klar ist: Das Gewaltmonopol liegt beim demokratischen Rechtsstaat.
Aber auch jenseits dieser extremistischen Bedrohungen wird unser gesellschaftlicher Konsens in Frage gestellt. Man sieht das ja dieser Tage auch bei mancher Beschränkung unserer Bewegungsfreiheit. Ich sehe mit Sorge eine gewisse Sympathie in der öffentlichen Diskussion für die sogenannten Klimakleber. Da wird dann gesagt, nun ja, das seien Belastungen im Alltag und Einschränkungen der Mobilität. Aber die Motive, die seien ja edel. Was sollten denn auch Menschen tun, die den Eindruck hätten, es würde zu wenig in der Klimapolitik getan, was sollen sie denn anderes tun, als Autobahnen blockieren? Ich habe eine Antwort darauf: Wer eine andere Politik will, der kann in die Politik gehen, eine Partei gründen und Mehrheiten für seine Positionen erwerben. Kein noch so edles und nachvollziehbares Motiv kann darüber hinwegtäuschen, dass das Blockieren von Autobahnen, Straßen oder andere Maßnahmen nichts anderes sind als physische Gewalt. Und physische Gewalt darf niemals ein Mittel demokratischer Auseinandersetzung sein.
Zumal die konkreten Forderungen nun wirklich außerordentlich bescheiden sind: 9-Euro-Ticket und Tempolimit. Volker Wissing als Verkehrsminister – ich komme später an anderer Stelle noch einmal darauf zurück – mit seinem Einsatz beispielsweise für die Modernisierung des öffentlichen Personennahverkehrs, mit dem Deutschland-Ticket, endlich einem digitalen Nahverkehrstarif, der das Leben leichter macht und den ganzen Bürokratismus im Bereich des Nahverkehrs reduziert, Volker Wissing macht konkret mehr für den Klimaschutz als die Forderungen der letzten Generation und der Klimakleber. Liebe Freundinnen und Freunde, Tempolimit und 9-Euro-Ticket – das sind ganz kleine Ideen. Kleine Ideen, großer Ärger. Umgekehrt wäre es besser: Große Ideen, kleiner Ärger. Darüber könnte man sprechen.
In diesen Tagen, liebe Freundinnen und Freunde, beschäftigen wir uns alle sehr viel mit Zahlen – ich zumal. Es gibt ja diesen berühmten deutschen Schlager: „Ach, das bisschen Haushalt“. Das hat noch nie gestimmt. Aber ich darf sagen mit Blick auf die öffentlichen Budgets stimmt es mindestens auch nicht. Die Zahlen zeigen ganz nüchtern, liebe Freundinnen und Freunde, wir haben in Deutschland ein Ungleichgewicht zwischen Vergangenheit und Zukunft. Das zeigt sich ganz konkret in unseren öffentlichen Haushalten.
In diesem Jahr werde ich als Finanzminister im Bundeshaushalt allein 40 Milliarden Euro an Kapitaldienst, also an Zins, für Schulden der Vergangenheit aufwenden. Im Jahr 2021 waren es 4 Milliarden Euro. 36 Milliarden Euro mehr also an Last innerhalb weniger Monate. 36 Milliarden Euro, die nicht zur Verfügung stehen, um investiert zu werden in Bildung oder Digitalisierung, in die Modernisierung der Infrastruktur, den Ausbau sozialer Sicherung oder die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. 36 Milliarden Euro mehr als 2021, einfach nur, um Verpflichtungen gegenüber der Vergangenheit zu bedienen. Aus diesem Grund, liebe Freundinnen und Freunde ist das Festhalten an der Schuldenbremse nicht irgendein Fetisch. Es ist noch nicht einmal nur ein Befehl der Verfassung. Es ist ein Gebot der ökonomischen Klugheit, dass wir nicht weiter auf Kosten der Zukunft wirtschaften.
Mitnichten hat diese Haushaltssituation im Übrigen etwas zu tun mit den aktuellen Krisen. Selbstverständlich ist der Schuldenstand Deutschlands durch die Bekämpfung der Corona-Pandemie gestiegen. Und ja, auch jetzt haben die Strom- und Gaspreisbremse etwa die Verschuldung unseres Staates erhöht. Aber viel entscheidender ist etwas anderes: Wir haben im nächsten Jahr zum ersten Mal voraussichtlich mehr als 1 Billion Euro Steuereinnahmen. Auch der Bundeshaushalt wird über Rekordeinnahmen verfügen. Aber dennoch reicht das Geld, das die Bürgerinnen und Bürger der Politik zur Verfügung stellen, nicht aus, um bestehende gesetzliche Verpflichtungen zu finanzieren.
In der Vergangenheit nämlich, während der vergangenen zehn Jahre, wurden immer neue Leistungen von der Politik beschlossen, namentlich von der Großen Koalition. Ich nenne als ein Beispiel von vielen den Beschluss, eine Rente mit 63 einzuführen, die natürlich eine Auswirkung auf den Bundeszuschuss in die Rentenkasse hat. Über ein Jahrzehnt, übrigens unter Führung der CDU, wurde der künstlich niedrige Zins, den wir hatten, der Negativzins, den wir hatten, die Situation, dass der Staat am Schuldenmachen noch verdient hat, das wurde nicht genutzt, um wirklich das Fundament unserer öffentlichen Finanzen zu erneuern, sondern es wurden immer neue Leistungen geschaffen, die nicht nachhaltig finanziert sind. Jetzt kommt der Bumerang der unsoliden CDU-Finanzpolitik zurück.
Deshalb müssen wir jetzt neu lernen, die Politik muss neu lernen, mit dem Geld auszukommen, das die Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stellen. Das ist ein Gebot auch der Bekämpfung der Inflation. Ich hatte mehrfach darauf hingewiesen: Ich war vergangene Woche beim Internationalen Währungsfonds und dessen Expertinnen und Experten geben uns und allen Volkswirtschaften den dringenden Rat: Reduziert die hohen Ausgaben, denn hohe Ausgaben auf Pump treiben die Inflation. Die Notenbanken ziehen die Geldpolitik an, die Zinsen steigen auch mit negativen Effekten. Wenn dann auf der anderen Seite aber die Staaten auf Pump weiter Ausgaben beschließen, dann konterkarieren sich Geld- und staatliche Finanzpolitik, dann wird die Inflation nicht bekämpft. Sie ist ohnehin ein zähes Biest, diese Inflation.
Oberste Priorität muss haben, die Preisstabilität wiederherzustellen. Oberste Priorität muss haben, die Inflation zu überwinden, denn sie ist ein Verarmungsprogramm für die breite Mitte der Gesellschaft. Sie hindert die Wirtschaft an notwendigen Investitionen, weil man immer glaubt, die Preise könnten sich verändern und ein späterer Zeitpunkt wäre besser. Sie verändert die Marktwirtschaft selbst und die Möglichkeit, wie der Preis aufgrund von Angebot und Nachfrage zusammenkommt. Die Bekämpfung der Inflation hat für die wirtschaftliche Entwicklung also oberste Priorität. Und nur weil es unbequem ist, dürfen wir uns dieser Aufgabe nicht verweigern. Nur weil die Prioritätensetzung, mit dem vorhandenen Geld auskommen zu müssen, unbequem ist, dürfen wir uns dieser Aufgabe nicht verweigern. Allenthalben werden aber Bypässe gesucht.
Ich schaue etwa zu euch nach Bremen, Thore [Schäck]. Die Landesregierung in Bremen will jetzt auf Dauer Krisenkredite aufnehmen an der Schuldenbremse vorbei, mit dem Argument, wir müssen ja die Dekarbonisierung, die Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft finanzieren, andernfalls droht ja eine Krise, also nehmen wir präventiv Krisenkredite auf. Ich nenne das mal eine kreative Argumentation. Aber ich glaube nicht, dass sie ökonomisch überzeugt, und verfassungsrechtlich sind Zweifel begründet.
Am heutigen Tag meldet sich die Wirtschaftsministerin des schwarz-grünen Nordrhein-Westfalen zu Wort. Sie fordert einen Industrie-Strompreis, finanziert mit öffentlichem Geld, also Subventionen für die Industrie. Ich will jetzt die Frage eines mit öffentlichem Geld subventionierten Industrie-Strompreises im Einzelnen hier nicht diskutieren. Man könnte fragen, ob das nicht dazu führen kann, dass Mittelstand und Handwerk, die hohe Preise zahlen müssen, gegenüber der Industrie, die subventionierten Preise bekommen, ob das nicht den Wettbewerb verzerrt, könnte man fragen. Man könnte fragen, ob das eigentlich sinnvoll ist, drei sichere, klimaneutrale Kernkraftwerke abzuschalten, die auch einen Effekt auf den Strompreis haben, und auf der anderen Seite dann die gestiegenen Strompreise mit Steuergeld runtersubventionieren zu wollen. Man dürfte Fragen nach dem Sinn stellen.
Aber diese ordnungspolitischen Debatten werden uns gewiss demnächst in der Politik noch ereilen. Ich will sie heute gar nicht abschließend ausführen. Ich will nur auf den Umstand hinweisen, dass auch im schwarz-grünen Nordrhein-Westfalen von der dortigen Vize-Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin gesagt wird, wir könnten ja die Mittel des Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds, also die Krisenmittel, die wir zur Finanzierung der Strom- und Gaspreisebremse aufgenommen haben, die, wenn das nicht genutzt wird, die könnten wir jetzt ja einsetzen für solche Subventionen. Liebe Freundinnen und Freunde, egal aus welchem Topf, auf welcher Rechtsgrundlage Schulden gemacht werden, Schulden sind Schulden, für die man Zinsen zahlen muss. Und deshalb dürfen wir uns nicht strangulieren.
Angesichts dieser Zinsentwicklung müssten wir sonst in Kürze entweder scharf öffentliche Leistungen kürzen oder die Steuern erhöhen. Aber Steuern erhöhen, um Zinsen für die Schulden der Vergangenheit zu zahlen, das wäre volkswirtschaftlich nun wirklich kein guter Rat. Wir wollen keine Debatte abwürgen. Wir werden intensive Haushaltsberatungen haben. Man muss schon sehen, welche Unterschiede es in diesen Ausgangslagen einer engagierten Haushaltspolitik gibt.
Es sind zum Beispiel immer wieder Forderungen zu hören, das sogenannte Dienstwagenprivileg solle abgeschafft werden, das sollte man streichen, um dann was auch immer zu finanzieren. Es gibt kein Dienstwagenprivileg, sondern es gibt nur eine Entlastung von der ärgerlichen Bürokratie, ein Fahrtenbuch zu führen, durch eine Pauschalversteuerung. Aber was mich besonders reizt an diesem Wort „Dienstwagenprivileg“ ist der Eindruck, der erweckt wird. Dienstwagenprivileg – wer dieses Wort ausspricht, der will doch beim Zuhörer das Bild erwecken: Bentley, S-Klasse. Die Wahrheit aber ist: Der beliebteste Dienstwagen in Deutschland, das ist der VW Passat Variant, auf Platz zwei Ford Focus Turnier. Das sind die Dienstwagen der arbeitenden Mitte in Deutschland. Das sind die Menschen, die in Deutschland arbeiten, pendeln, Steuern und Abgaben zahlen. Und diejenigen, die im Außendienst tätig sind oder pendeln, die sollen jetzt belastet werden, um auf der anderen Seite den Lifestyle anderer zu finanzieren. Und das kann nicht gerecht sein. Wir werden weiter dafür sorgen, dass nicht die Passatfahrerin ins Zentrum der Umverteilungsfantasien von anderen kommt. Denn das ist die breite Mittelschicht in Deutschland und nicht ihre Champagner-Etage.
Wir werden stattdessen prüfen, was wir nicht brauchen. Ich nenne mal ein eigenes Beispiel aus meinem Verantwortungsbereich. Ich wünsche mir Nachahmer. Es war geplant noch von meinem Vorgänger, dass das Bundesministerium der Finanzen einen Anbau erhält. Diese Planung datiert zurück auf die Zeit vor der Pandemie. Inzwischen gibt es in meinem Ministerium eine Personalvereinbarung, die 65 Prozent ortsflexibles Arbeiten vorsieht, übrigens sogar die höchste mögliche Quote von allen Ministerien, weil wir als Liberale eben auch Vertrauen in die Beschäftigten setzen. Das muss aber doch natürlich Auswirkungen auf das Raumprogramm haben. Und auch die Räume, die man nutzt, wenn bis zu 65 Prozent flexibel im Home Office arbeiten, dann benötigen sie offensichtlich während dieser Zeit nicht ihr Büro. Also muss doch auch eine solche Veränderung der Arbeitswelt Auswirkungen haben auf die Gebäude, die der Staat für sich selber plant. Was nicht geht, ist, dass wir bei anderen sparen. Ich bin fest davon überzeugt, dass zum Führungsauftrag einer Regierung ebenfalls gehört, die eigenen Pläne auf den Prüfstand zu stellen.
Zum zweiten: Prioritäten setzen dort, wo es unabweisbare Notwendigkeiten gibt, zum Beispiel bei der Bundeswehr. Und dann drittens feststellen, dass manches vielleicht wünschenswert ist, aber mindestens gegenwärtig nicht finanzierbar ist. Es gilt eben, erst muss Wohlstand erwirtschaftet werden, bevor er verteilt werden kann.
Dies gilt, wie ich nur kurz andeuten will, auch für den Bereich unserer Sozialversicherungssysteme. Wir haben verabredet in der Koalition, dass wir bei der Rente zukünftig ein Sicherheitsniveau von 48 Prozent einhalten wollen. Und ich verstehe das Anliegen der Sozialdemokratie. Aber dieses Anliegen der Sozialdemokratie in einer alternden Gesellschaft wird unweigerlich dazu führen, dass die Beiträge für die Aktiven stark steigen werden. Sie werden ohnehin aufgrund des demografischen Wandels stärker in Anspruch genommen werden, die jüngere Generation. Heute ist die Quote ja eins zu drei. Wir müssen befürchten, es wird eins zu zwei sein. Aber durch eine solche Sicherungsmaßnahme droht die jüngere Generation noch stärker in Anspruch genommen zu werden.
Wir haben als Freie Demokraten deshalb ja schon vor einigen Jahren das Konzept der Aktienrente vorgeschlagen. Wir werden es in diesem Jahr auch umsetzen in der Form eines Generationenkapitals, also des politischen Plans, in der gesetzlichen Rentenversicherung Kapital anzulegen, das dann mit Zins und Zinseszins wächst und das wir nutzen wollen, um die Beitragssteigerungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu dämpfen. Wir haben verabredet: 10 Milliarden Euro im Jahr 2023. Wir haben uns intensiv mit den Plänen beschäftigt. Wir sind in der Konkretisierungsphase. Die Verabredung des Koalitionsvertrages 48 Prozent Sicherheitsniveau und einmalig 10 Milliarden Euro Generationenkapital, das allein wird keinen Beitrag leisten, unser Rentensystem zu stabilisieren. Wir müssen die Ambition haben, deutlich über den Koalitionsvertrag hinauszugehen. Damit unser Rentensystem stabil bleibt, müssen wir von heute an bis Ende der dreißiger Jahre in jedem Jahr mindestens 10 Milliarden Euro Generationenkapital bilden, verzinsen und nutzen, weil sonst die Größenordnung nicht stimmt.
Wir brauchen die Erträge aus diesem Generationenkapital, um die Beitragszahler zu schützen. Das muss doch auch ein Anliegen unserer Koalitionspartner sein. Denn die Beiträge zur Rentenversicherung werden doch eben nicht geleistet von den Millionären und Multimillionären. Das ist doch ebenfalls die arbeitende Mitte in Deutschland, doch bereits der sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit Mindestlohn leistet doch Rentenversicherungsbeiträge. Und für den muss genauso das Rentensystem fair sein wie für die Generation der Rentnerinnen und Rentner. Großeltern und Enkelgeneration stehen gemeinsam im Zentrum unserer Anstrengungen.
Erwirtschaften vor Verteilen bedeutet, dass wir unser wirtschaftliches Fundament stärken müssen. Wir tun das, indem wir die Bremsen für wirtschaftliches Wachstum in unserem Land bestimmen und an ihnen arbeiten. Beispielsweise indem wir die Einwanderung von Fachkräften nach Deutschland wesentlich erleichtern. Zu einem modernen Einwanderungsmanagement gehört allerdings nicht nur, sich mit den Lebenslügen der deutschen Konservativen zu beschäftigen, unser Land sei kein Einwanderungsland. Es ist ein Einwanderungsland. Und qualifizierte Einwanderung muss besser gelingen. Auf der anderen Seite müssen wir uns allerdings auch mit mancher linken Lebenslüge beschäftigen, dass es gewissermaßen eine unkontrollierte Einwanderung in unser Land geben dürfte. Das darf nicht sein. Unkontrollierte Einwanderung nach Deutschland würde zwangsläufig zur Beschädigung unserer öffentlichen Ordnung und zur Beschädigung unseres Sozialstaates führen. Deshalb brauchen wir genauso wie die qualifizierte Einwanderung einerseits eine präzise Unterscheidung zwischen denen, denen wir aus humanitärer Solidarität bei uns Schutz gewähren, die wir in den Arbeitsmarkt einladen oder die in Deutschland eben kein Aufenthaltsrecht haben können.
Also Fachkräfteeinwanderung, Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren für die Infrastruktur – übrigens insbesondere auch bei den Autobahnen. Es ist gelungen, 144 Autobahnprojekte mit einer Länge von gut 1.000 Kilometern zu bestimmen, dass sie zukünftig im überragenden öffentlichen Interesse sind, weil sie es sind. Die Schließung von Engpassstellen und die Beseitigung von Staubrennpunkten, das ist im überragenden öffentlichen Interesse, weil Logistikketten in unserem Land funktionieren müssen und weil nichts schlechter für den Klimaschutz ist, als dass Benzin und Diesel im Stau verbrannt werden.
Im Naturschutz wird es eine große Veränderung geben, die wir beschlossen haben. Sie wissen, dass für Vorhaben, etwa eine neue Produktionsfabrik, die man erstellen will und die Flächen benötigt, aufgrund des Naturschutzrechts eine Ausgleichsfläche bereitgestellt werden muss. Oft genug ist es ein bürokratisches und langwieriges Verfahren. Die Bundesregierung, diese Koalition, wird das verändern. Wir werden zukünftig dafür sorgen, dass nicht nur ein Investor durch wirkliche Flächenkompensation, also die Anzeige einer anderen Fläche, diesem naturschutzrechtlichen Grundsatz nachkommen kann, sondern dass man auch Ausgleichszahlungen leisten kann, damit man nicht zwei, drei, vier Jahre warten muss, bis man den Stempel hat, dass der Ausgleich gelungen ist, sondern dass man dann mit seiner Maßnahme beginnen kann, wenn die betriebliche Notwendigkeit es begründet. Ich glaube, das ist ein Paradigmenwechsel, der im Alltag an vielen Orten zu Tempo führt.
Ich bin zudem überzeugt, dass das im besten Sinne ein Win-Win-Verhältnis ist. Innerhalb der Koalition auch. Denn ich konnte gestern bei den Familienunternehmen darüber berichten. Ich konnte sehen, dass viele Mittelständler, die im Alltag damit Probleme haben, dachten, endlich kommt in dieser Frage Tempo. Endlich wird das Naturschutzrecht an dieser Stelle weniger bürokratisch. Aber genauso bin ich überzeugt, dass die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen auf einer Versammlung von Naturschützern für dieses Vorhaben Applaus ernten würde, weil nicht nur für die Investoren vor Ort die Realisierung des eigenen Vorhabens beschleunigt wird. Zukünftig wird es auch möglich sein, in größeren Biotopverbünden zu denken und nicht nur in vielen kleinen Flächen, was bedeutet, biologisch wertvollere Maßnahmen hinsichtlich der Bioviversität können eingeleitet werden und das ist für mich im besten Sinne ein Win-Win Verhältnis, wirtschaftliche Prosperität und Schonung natürlicher Lebensgrundlagen zu vereinbaren.
Und wir werden auch steuerliche Anreize diskutieren müssen, um die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land zu stärken, wir reden über Abschreibungen und anderes mehr. Mir wird da übrigens von Koalitionspartnern entgegengehalten, ich würde Wasser predigen und Wein trinken. Wenn ich vorschlage Abschreibungen für den Mittelstand, Investitionsprämien für neue klimafreundliche Technologie, oder Stärkung der Forschungsförderung, dann wird mir gesagt, ich würde anderen Wasser predigen und selber Wein trinken. Mal ganz abgesehen davon, dass auch die Vorhaben des Finanzministers unter dem allgemeinen Finanzierungsvorbehalt stehen, dass ein Haushalt beschlossen werden muss. Ich finde, es macht dennoch politisch einen Unterschied, ob man Dinge auf den Weg bringen will, die die wirtschaftliche Basis unseres Landes stärken und die Volkswirtschaft erneuern sollen, oder ob man auf der anderen Seite Steuergeld für Subventionen oder andere Vorhaben verteilen will. Für mich macht es einen Unterschied, ob man das wirtschaftliche Fundament stärkt oder ob man auf seiner Grundlage verteilen will.
Um die großen Veränderungen, dieses Veränderungswunder, das wir in den nächsten Jahren brauchen, in Deutschland zu gewährleisten, ist eine Ressource entscheidend: Freiheit und Einfallsreichtum der Menschen. Wir können schlicht doch gegenwärtig gar nicht wissen, welche Technologie sich zukünftig durchsetzen wird. Es ist eine Selbstverständlichkeit, aber leider ist es nicht ohne Belang, sie immer wieder auszusprechen. Fortschritt entsteht nicht am Schreibtisch in den Ministerien. Und es sind auch nicht einzelne wenige Politikerinnen und Politiker, die sozusagen in den Plan der Geschichte eingeweiht sind und sie deshalb mit harten Entscheidungen, Verboten, Geboten, Subventionen und gesetzlicher Lenkung vorgeben können.
Zukunft wird gemacht in der Mitte der Gesellschaft, im täglichen Miteinander, im Ideenwettbewerb unterschiedlicher Konzepte. Man setzt auf das eine Produkt oder die andere Dienstleistung. Eine Wissenschaftlerin strebt diese Erkenntnis an, überlässt eine andere dem Kollegen im millionenfachen Miteinander. Jeden Tag wird in der Gesellschaft Fortschritt gemacht. Da wird Neues hervorgebracht und anderes wird verworfen, weil es nicht funktioniert. Deshalb ist die wichtigste Ressource, die wir für unseren Fortschritt haben, der Erhalt des Ideen-Wettbewerbs, der Marktwirtschaft. Das Erfinden muss wichtiger bleiben als das Verbieten. Dafür, liebe Freundinnen und Freunde, sorgen wir jetzt auch.
Wovon ich hier als Anspruch spreche, das ist nicht mehr nur Wort, sondern das sind konkrete politische Vorhaben. Wir werden das Klimaschutzgesetz in Deutschland novellieren. Das Klimaschutzgesetz kommt von der Großen Koalition und es sieht für jeden Bereich unseres Lebens, man sagt Sektoren, präzise jährliche Einsparziele vor. Nun weiß aber jeder, dass es in bestimmten Bereichen unseres Lebens Trägheiten gibt, aufgrund in der Vergangenheit von den Menschen getroffenen Entscheidungen. Ich nenne das Beispiel Gebäude und Heizung, ich nenne das Beispiel Verkehr. Wenn irgendwo kein Bahnhof ist, kann man nicht auf den ÖPNV umsteigen. Wenn man ein Auto gekauft hat, dann wird man nicht ein Jahr später ein neues kaufen. Da gibt es Trägheiten.
Im Übrigen gibt es auch Fortschritt in der Industrie, der so überhaupt gar nicht zu sehen war, weil aufgrund neuer Technologien oder veränderter Wettbewerbsbedingungen in der Welt schneller als gedacht Einsparziele bei den Treibhausgasemissionen möglich sind. Deshalb war die Orientierung der Großen Koalition an diesen jährlichen Sektorzielen, die hart eingehalten werden mussten, ein Fehler. Wir werden jetzt ermöglichen, dass sich die unterschiedlichen Sektoren helfen können. Wenn es leichter ist, eine Tonne CO2 im Bereich der Industrie einzusparen, dann hilft diese zusätzlich eingesparte Tonne CO2, dass Menschen weiter so mobil bleiben können, wie sie es wollen. Das ist mehr Marktwirtschaft im Klimaschutz.
Liebe Freundinnen und Freunde, das ist konkret mehr Marktwirtschaft im Klimaschutz. Da geht es nicht darum, das Ambitionsniveau unseres Landes insgesamt zu reduzieren wie manche uns das vorhalten. Sondern es geht darum, die effektivsten Mittel einzusetzen, jene die möglichst viel freie Lebensentscheidungen für die Menschen offenhalten, jene Mittel, die je eingesetztem Euro den größten Klimaeffekt haben. Umgekehrt muss man fragen, was eigentlich diejenigen bezwecken, die an den harten Sektorzielen festhalten wollten. Ich nenne keine Namen, aber unter ihnen sind auch führende Köpfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Was bezwecken die damit? Im Verkehrsbereich ist es aufgrund unserer Infrastruktur, aufgrund der Situation, aufgrund der Lebensentscheidungen der Menschen eben sehr schwer, die CO2-Einsparziele, die sehr ambitioniert sind, in jedem Jahr umzusetzen. Im Grunde müsste man fortwährend Sofortprogramme in jedem Jahr beschließen, und zwar mit harten, teilweise drakonischen Maßnahmen.
Wollte Volker Wissing auf Punkt und Komma in seinem Sektor, den er verantwortet, würde er die Klimaziele, die ihm vorgegeben sind, eins zu eins in seinem Sektor einhalten wollen, dann reden wir nicht übers Tempolimit, dann reden wir in wenigen Jahren davon, dass wir über Fahrverbote nachdenken müssen: Wer kein Elektroauto hat, der bekommt am Sonntag ein Fahrverbot. Ich bin überzeugt, die Mehrheit der Bevölkerung würde solche drakonischen Maßnahmen und Eingriffe in ihre Freiheit ablehnen.
Wir brauchen aber, liebe Freundinnen und Freunde, wenn wir das Ziel der Treibhausgasneutralität 2045 erreichen wollen, die Zustimmung der Bevölkerung. Es wird nicht möglich sein, einen so großen Veränderungsprozess, wie er vor uns steht, erfolgreich abzuschließen, ohne dass die breite Mehrheit in der Bevölkerung mitzieht. Und zwar sowohl beim Tun als auch an der Wahlurne, wenn abgestimmt werden muss. Deshalb wundere ich mich über diejenigen, die gegen die Mehrheitsauffassung der Gesellschaft Maßnahmen durchdrücken wollen. Unsere Aufgabe muss sein, die Mehrheit der Gesellschaft für Veränderungen zu gewinnen und sie nicht vor den Kopf zu stoßen.
Deshalb war es richtig, dass Volker Wissing sich am Ende durchgesetzt hat. Es gibt jetzt ein Verbot des Verbrennerverbots. Liebe Freundinnen und Freunde, im Sinne der Technologiefreiheit war das eine fortschrittliche Entscheidung. Wir wollen synthetische Kraftstoffe ermöglichen, die klimaneutral sind. Übrigens werde ich im Steuerrecht vorschlagen, diese genauso zu behandeln wie Elektrofahrzeuge, weil beide in gleicher Weise dem Klima helfen. Ich bin davon überzeugt, dass sie in der Bestandsflotte der vielen Millionen Fahrzeuge, die wir auf der Straße haben, eine große Rolle haben werden, und möglicherweise immer noch eine Rolle haben werden bei Neufahrzeugen ab 2035. Ich kann es nicht wissen. Niemand kann das wissen. Aber wenigstens halten wir diesen Technologiepfad offen.
Jetzt gibt es andere, die sagen uns fortwährend: E-Fuels sind nicht wirtschaftlich. Übrigens glaube ich das tatsächlich auch, wenn man daran denkt, die sollten alle in Deutschland produziert werden. Sinnvollerweise werden synthetische Kraftstoffe aber dort produziert, wo viel Sonne verfügbar ist. Nicht zwingend in Deutschland, sondern die kommen dann mit Hilfe anderer Infrastrukturen nach Deutschland. Aber es wird uns trotzdem immer gesagt: „Die sind nicht wirtschaftlich, das wird nicht gelingen.“ Und da frage ich mich ja, wenn die nicht wirtschaftlich sind, dann müsste man sie auch gar nicht verbieten wollen, dann kann das ja der Markt entscheiden. Aber mehr noch, liebe Freundinnen und Freunde, es sind die gleichen Leute, die uns sagen, die Wärmepumpe wird in zwei Jahren ganz günstig sein, die uns gleichzeitig aber sagen, selbst in den dreißiger Jahren werden E-Fuels nie wirtschaftlich sein. Ich glaube, wenn man an Marktwirtschaft glaubt, dann bei der Wärmepumpe genauso wie bei den E-Fuels.
Apropos heizen: Wenn wir 2045 ein klimaneutrales Land sein wollen, werden wir irgendwann anfangen müssen, auch im Gebäudebereich zu Veränderungen und zu Fortschritt zu kommen. Die CDU/CSU macht es sich leicht. Selbst haben sie nahezu nichts getan, als sie in Verantwortung standen. Jetzt stehen sie am Rand in der Opposition, machen keine eigenen Vorschläge, sondern sagen nur: „Schlecht“. So einfach können wir uns das nicht machen, denn wir stehen in Verantwortung. Und ich empfehle uns, dass wir weiter am Ziel festhalten, dieses Land klimaneutral zu machen. Aber wir müssen auf die richtige Weise zur Klimaneutralität kommen. Das gilt nicht nur für unser Land insgesamt, sondern auch für den Bereich von Gebäuden und Heizung.
Die ursprünglichen Vorschläge, die einmal unterbreitet worden sind mit harten Austauschpflichten und einer einseitigen Orientierung nur auf eine Erfüllungsmöglichkeit von 65 Prozent erneuerbarer Energien in der eigenen Heizung, das liegt hinter uns. Fragen der Wirtschaftlichkeit, Härtefälle, Technologieoffenheit, da haben wir Fortschritte erzielen können. Eines muss man aber dennoch sagen: Der jetzt vom Kabinett gebilligte Entwurf eines Gebäudeenergiegesetzes ist noch nicht das, was am Ende vom Bundestag beschlossen werden sollte. Ich hoffe also darauf und bin mir sicher, dass wie immer im parlamentarischen Verfahren mit dem Sachverstand unserer Kolleginnen und Kollegen und durch die öffentliche Debatte das Gebäudeenergiegesetz zu dem gemacht wird, was wir brauchen, nämlich ein technologieoffener, wirtschaftlich vernünftiger und sozial akzeptierter Weg, auch unsere Gebäude und Heizungen klimafreundlich zu machen. Das ist unsere Aufgabe.
Übrigens habe ich da jetzt auch noch heute sogar von einem bei mir in hohem Kurs stehenden Chefredakteur einer in München erscheinenden Zeitung gelesen: Die FDP im Bundeskabinett, die habe ja zugstimmt, nur eine eine Protokollerklärung gemacht und quasi den Bundestag aufgefordert zu Veränderungen zu kommen. Was das denn sei? Ja, was ist denn das? Ein normales Verfahren. Das ist jetzt nicht von uns erfunden worden.
Ich erinnere mich, dass beispielsweise die Kollegin Baerbock dem Entwurf des Haushalts 2023 nur mit der Protokollerklärung zugestimmt hat, dass sie im parlamentarischen Verfahren noch zusätzliche Mittel bekommen müsse und ansonsten das aber alles sehr kritisch sehe. Dazu will ich mich gar nicht äußern. Aber das ist ein normales Verfahren. Warum wählt man es? Man wählt es, weil man zwar noch sachliche Bedenken hat, die geklärt werden müssen, aber dennoch Fristen drohen, zum Beispiel eine parlamentarische Sommerpause, aber ein Vorhaben beschlossen werden muss, weshalb man die endgültige Klärung von Vorhaben dann in das Parlament gibt. Denn das Parlament trifft sowieso erst die endgültige Entscheidung. Manchmal ist es so: Wenn die FDP sich gewisser Verfahren der Staatspraxis bedient, dann wird es bei uns kritisiert. Bei anderen wird es hingenommen. Ich glaube, dieses Los müssen wir tragen.
Liebe Freundinnen und Freunde, in der Energiepolitik steht uns Großes bevor. Ich will das nur kurz andeuten. Ich bin etwas bekümmert, dass wir in Deutschland nun mehr Kohle verfeuern müssen, um schneller sichere, saubere Kernkraftwerke abschalten zu müssen. Aber das ist eine Koalition. So sind Koalitionen. Nun wird uns vorgehalten und die eine und der andere von Euch hat mir das auch geschrieben, per WhatsApp oder per Email: Ja, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die habe doch einen so tollen Antrag gestellt. Ja, warum habe denn die FDP im Bundestag nicht zugestimmt? Das kann ich leicht erklären: Weil SPD und Grüne den ganzen Anträgen der Linkspartei für Steuererhöhungen und Enteignung auch nicht zustimmen können trotz Sympathie, weil in Koalitionen wechselnde Mehrheiten ausgeschlossen sind, weil sonst ein planvolles gemeinsames Gestalten nicht möglich wäre. Das ist der Grund. Ich hätte nicht gedacht, dass man dieses Prinzip so oft erklären muss, aber es ist der Fall.
Unsere Haltung jedenfalls ist klar: Die Kernspaltung mit der heutigen Technologie, wie wir sie haben, ist keine Zukunftsoption, zumal in Deutschland nicht realistisch. Was mit neueren Formen der Kernspaltung dereinst passiert, das werden spätere Generationen entscheiden. Wäre es nach uns gegangen, wäre die jetzt vorhandenen Kernkraftwerke reserviert, um sie im Falle des Falles in Betrieb nehmen zu können. Aber letztlich sind das Auseinandersetzungen in diesem historischen Moment, in diesem besonderen Jahr.
Die Zukunftsaufgabe, liebe Freundinnen und Freunde, ist eine andere. Da geht es nicht um die drei Kernkraftwerke, die jetzt vom Netz gegangen sind. Nach meiner Überzeugung geht es da auch nicht selbst um die neuere Generation der Kernspaltung. Die Zukunftsfrage, das ist die Kernfusion. In Bayern gibt es ein Unternehmen, das kurz vor einem Durchbruch steht. Kernfusion ist ein Zukunftsfeld, das in Deutschland erhalten bleiben muss. Und aus diesem Grund ist es erforderlich, dass wir im Bereich der Forschung und der europäischen Zusammenarbeit das uns Mögliche tun, dieser Technologie eine Chance zu geben. Es wäre nichts gewonnen, wenn hoch innovative Unternehmen mit dieser Technologie am Ende in die Vereinigten Staaten von Amerika gehen, weil sie dort willkommen sind. Gehen diese Unternehmen, gehen nämlich nicht nur Energieoptionen, es geht auch die Wertschöpfung. Von irgendwas werden wir in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in Deutschland aber leben müssen.
Liebe Freundinnen und Freunde, mein letztes inhaltliches Kapitel will ich mit der Diskussion um die Kindergrundsicherung beginnen. Manches, was ich da lese, macht mich tatsächlich auch betroffen. Man ist an einer Debatte beteiligt, die eigentlich nur auf der Basis von Schlagworten geführt wird. Und meldet man Bedenken an, wird man sehr schnell in den aufgeheizten Debatten in unserem Land als herzlos oder als gar Kinderhasser diskreditiert. Mich bekümmert das, aber es hilft ja nichts. Mit dem Bürgergeld und den erhöhten Regelsätzen, mit dem seit 1996 nicht mehr so stark erhöhten Kindergeld und auch mit dem Kinderzuschlag haben wir bereits Milliarden mobilisiert, um Familien mit Kindern, die von Armut bedroht sind, zu helfen. In Regierungsverantwortung der FDP hat es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kein so großes Engagement für Kinder in von Armut bedrohten Familien gegeben. Und das ist auch richtig so, denn keine Schülerin soll, weil die Eltern kein Geld haben, nicht an der Klassenfahrt teilnehmen können und kein Schüler soll, weil die Eltern kein Geld haben, den Beitrag für den Musikverein nicht leisten können.
Liebe Freundinnen und Freunde, in finanzieller Hinsicht ist da also viel getan, da kann uns keiner einen Vorwurf machen. Aber oft genug kommt das, was möglich ist, bei den Familien, die es brauchen, gar nicht an. Nehmen wir mal ein Praxisbeispiel. Ein Lagerist, der Vollzeit arbeitet, mit relativ kleinem Gehalt, der fünf Kinder hat und seine Partnerin ist zu Hause, übernimmt die Care-Arbeit, das ist eine Familie, die trotz eines Vollzeit-Verdienenden nicht in der Lage ist, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber viele dieser Familien – der Lagerist mit fünf Kindern, die Partnerin übernimmt zu Hause die Care-Arbeit –, die wissen gar nicht, dass ihnen ein Kinderzuschlag zusteht. Die beantragen ihn deshalb nicht, sondern sparen dann möglicherweise gezwungenermaßen bei den Kindern. Und deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, sagen wir als Freie Demokraten, der richtige, notwendige Schritt, der keinen Aufschub duldet, ist, dass in einem digitalen, modernen, automatisierten Verfahren die Familien endlich das bekommen, was ihnen zusteht. Das ist nicht nackte Verwaltungstechnik, sondern das wird für tausende Familien in unserem Land die Lebenssituation verbessern.
Die Diskussion geht weiter. Die Grünen, die Kollegin Paus fordert eine Ausdehnung von Leistungen. Ich meine, wir sollten zunächst die Treffsicherheit der bestehenden diskutieren. Einerseits fordern die Grünen zusätzliche Leistungen, Einbeziehung etwa von denjenigen, die Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, mehr Geld aus Transfers, andererseits plant Bettina Stark-Watzinger ein Startchancenprogramm mit Talentschulen gerade in den Stadtteilen, wo es besondere soziale Aufgaben gibt, wo besonders viele Schülerinnen und Schüler aus Familien kommen, die von Armut bedroht sind. Einerseits wird also gefordert, zusätzliche Geldleistungen zu schaffen, obwohl Kinderarmut oft in der Erwerbs-, der Bildungsarmut oder auch in unzureichenden Sprachkenntnissen der Eltern begründet ist sind. Andererseits geht es darum, einen nachhaltigen präventiven Weg zur Bekämpfung von Armut einzuschlagen. Der beste Weg, Armut zu verhindern bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen ist, sie mit fairen und guten Bildungschancen auszustatten, damit sie eine Chance haben, auch am Arbeitsmarkt teilzuhaben.
Deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, haben wir für Kinder bereits finanziell viel getan. Wir wollen ein vereinfachtes Verwaltungsverfahren. Aber wenn es jetzt darum geht, bei knappen Mitteln, gibt es noch einmal zusätzliche Transferleistungen oder investieren wir Geld konkret in die Bildung, liebe Freundinnen und Freunde, wenn ich vor diese Wahl gestellt werden würde, dann würde ich sagen, jetzt müssen wir auch die Bildung stärken, denn nichts schafft mehr Fairness als wenn nicht die Herkunft aus dem Elternhaus über den Lebensweg entscheidet, sondern Fleiß, Talent und die eigenen Lebensentscheidungen aufgrund von Bildung.
Und dieses kleine Beispiel steht exemplarisch für viele Diskussionen, die wir in der Koalition führen. Es wird ja gelegentlich gesagt: Ja, die FDP, ist die jetzt eine Dafür-Partei oder eine Dagegen-Partei? Liebe Freundinnen und Freunde, wir sollten uns nicht darüber definieren lassen, ob wir für oder gegen die Ideen von anderen sind. Wir haben nämlich eigene gute Ideen, und für die kämpfen wir.
Apropos Ideen: Es gibt jetzt eine ganz aktuelle Debatte. Die CDU hat neue steuerpolitische Ideen. Die Idee ist: Wir wollen kleine und mittlere Einkommen entlasten. So weit, so gut. Das unterstützen wir. Mit unserem Inflationsausgleich haben wir die Menschen in der Mitte der Gesellschaft stark entlastet. Zum Beispiel eine vierköpfige Familie mit 55.000 Euro Einkommen um 800 Euro. Also: Kleine und mittlere Einkommen entlasten – sehr gut. Aber die CDU geht weiter. Sie sagt, das müsse gegenfinanziert werden durch eine stärkere Belastung bei einem dann später einsetzenden Spitzensteuersatz. Die Idee ist für die CDU neu, aber in der Politik öfter geäußert, zum Beispiel von meinem Kollegen Robert Habeck. Man muss wirklich sagen, das Feedback auf die Vorstöße der CDU ist nicht allenthalben schlecht, sondern ganz im Gegenteil: Viele attestieren der CDU jetzt Beweglichkeit. Beispielsweise der von mir sehr geschätzte Journalist der Süddeutschen Zeitung, Claus Hulverscheidt, der übrigens bei meinem Vater Mathematikunterricht hatte – wir kommen also gewissermaßen aus derselben Schule –, der hat geschrieben, man müsse anerkennen, die CDU bewege sich jedenfalls. Die FDP sei, in meinen Worten, in ihren Dogmen gefangen. Und er sagt weiter: Es wird einsam um Christian Lindner.
Liebe Freundinnen und Freunde, man muss ja wissen die CDU/CSU macht das ja alles nicht aus Nächstenliebe, um der FDP Alleinstellungsmerkmale zu verschaffen. Das ist ja nicht ein Rückbesinnen auf das große „C“. Da geht es um etwas ganz anderes. Nach meiner festen Überzeugung sind das weitere schwarz-grüne Lockerungsübungen, für die die Union von manchem Leitartikler Respekt und Anerkennung erfährt.
Ich bin ja sehr serviceorientiert, wie bekannt ist, und deshalb habe ich schon vor einiger Zeit einmal ausrechnen lassen, was das eigentlich konkret bedeutet, kleine und mittlere Einkommen entlasten, den sogenannten Mittelstandsbauch abflachen, und dafür den Spitzensteuersatz später vorsehen, also bei einem etwas höheren Einkommen mit einem höheren Prozentsatz, damit die Rechnung aufgeht. Das habe ich mal konkret ausrechnen lassen, worüber jetzt auch die CDU nachdenkt, und wie es auch mein Kollege Robert Habeck schon einmal ins Gespräch gebracht hat.
Also, die Idee der Union läuft darauf hinaus, dass der Spitzensteuersatz zukünftig immerhin erst bei 80.000 Euro anfällt, dann allerdings 57 Prozent betragen würde. Jetzt kann man sagen: Nein, nein, es sollen keine 57 Prozent sein, wir sorgen dafür, dass es nur 52 Prozent sind. Dazu habe ich eine ganz klare Meinung: Einerseits glaube ich, dass für Mittelstand und Handwerk und Fachkräfte, die klugen Köpfe und fleißigen Hände, die wir nach Deutschland einladen wollen, Steuererhöhungen nicht unbedingt ein Signal sind, um hier etwas erreichen zu wollen. Aber vor allen Dingen aus einer normativen Perspektive: Ich betrachte es als schlicht ungerecht, wenn jemand mehr abgeben soll, als ihm von den Ergebnissen seiner Leistung zusteht. Das kann nicht funktionieren, liebe Freundinnen und Freunde.
Dann der Vorschlag der Union zur Erbschaftsteuer. Wir haben jetzt ein Verschonungsmodell. Das bedeutet, betriebliches Vermögen wird nicht versteuert, wenn das Unternehmen erhalten bleibt, wenn die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Es gibt einen innovativen Vorschlag: Lasst uns einfach eine Art Flat Tax machen, 10 Prozent auf alles. Und auch das wird dann von manchen begrüßt. Ich fürchte, es fängt irgendwann mit 10 Prozent an, aber dann ganz schnell, über das eine und andere Jahr und Steuergesetz ist man bei 15 Prozent.
Aber einerlei, geht man so an das Betriebsvermögen unseres Mittelstands heran, bedeutet das noch eines: Die börsennotierten großen Gesellschaften, die haben keine Erbfälle. Aber der Mittelstand wird von dieser Erbschaftssteuer jede Generation in Anspruch genommen, alle 20, 30 Jahre vielleicht. Da muss dann alle zwei, drei Jahrzehnte ein Familienbetrieb sein komplettes Eigenkapital beim Fiskus abgeben, während auch noch die betriebliche Nachfolge organisiert werden muss, wohingegen auf der anderen Seite die großen Betriebe, Industrie, Kapitalgesellschaften an den Börsen davon völlig verschont bleiben. Eine solche Idee schwächt nicht nur die Investitionstätigkeit der Familienbetriebe, es beschädigt auch ihre Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zu den Großen und deshalb darf das so nicht kommen. Liebe Freundinnen und Freunde, ich gönne der Union jeden positiven Leitartikel, den sie bekommen hat und ich wünsche ihr weiter Ideenreichtum dieser Art. Wir werden aber nicht jeder falschen Idee folgen.
Liebe Freundinnen und Freunde, ein letzter Gedanke. Es ist ja in dieser Koalition so, dass wir um viele Fragen ringen müssen. Angesichts von 30 Stunden Koalitionsausschuss ist das irgendwie offensichtlich. Auf einen Unterschied will ich allerdings noch einmal hinweisen: Bitte erinnern Sie, erinnert Euch doch nochmal an die letzte Marathonsitzung der großen Koalition. Am Ende der letzten Marathonsitzung der großen Koalition stand die sogenannte Osterruhe, die dann nicht kam und ein abgesetzter Verfassungsschutzchef sollte Staatssekretär im Innenministerium werden. Da muss ich sagen: Jawohl, bei uns dauert es manchmal auch lang. Aber nach 30 Stunden stehen da schnellere Autobahnprojekte, ein Klimaschutzgesetz mit Marktwirtschaft, Investitionen in die Bahninfrastruktur und anderes. Ich kann nur sagen, bei uns lohnt sich das Warten wenigstens, da kommt nämlich Besseres raus.
Liebe Freunde, in diesem Jahr stehen drei wichtige Landtagswahlen an. In Bremen ist die CDU völlig orientierungslos. Rote Plakate, grüne Inhalte, halber Kandidat. Ich habe eben schon mal kurz die Haushaltssituation von Bremen geschildert. Aber im Zentrum des CDU-Wahlprogramms steht ein neues Förderprogramm für Lastenräder, und das im Bundesland mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung. Da kennt man die Prioritäten der Union. Bremen wird seit Jahrzehnten unter Wert regiert. Bremen stand mal oben. Leider ist es an vielen Stellen jetzt unten. Wir haben einen starken Kandidaten, der das ändern will und der Momentum hat. In einer gestern veröffentlichten Umfrage wenige Wochen vor dieser für uns so wichtigen Wahl hat die FDP in Bremen von 4 Prozent auf 6 Prozent zugelegt. Die Richtung stimmt.
Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein lässt nahezu keine Gelegenheit aus, auf Distanz zu den Grünen zu gehen und gibt ihnen dann aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder nach. Hessen ist ein starkes Land in der Mitte unseres Landes. Aber leider hat auch Hessen in den vergangenen Jahren an Dynamik verloren. Stefan Naas will das ändern. Er will und wird Hessen wieder zum dynamischen Erfolgsland in der Mitte Deutschlands machen. Ein Land, in dem wir uns alle gerne freiwillig aufhalten und nicht nur, weil wir auf hessischen Autobahnen im Stau stehen.
Und dann Bayern. In Bayern gibt es für, ich sage mal „den Ideenreichtum“ inzwischen sogar ein eigenes Verb, nämlich das Södern. Politik nach Laune, Stimmung, Tageszeit. Mal für den Verbrennungsmotor, mal dagegen, mal für die Gentechnik, mal dagegen, mal für Kernkraft, mal dagegen. Das ist es aus meiner Sicht, hier vorne ist der bayerische Landesverband, das ist kein sympathisches „Mia san mia“, das ist ein „I werd narrisch“. Und ich finde, lieber Martin [Hagen], dir gebührt Dank und Anerkennung dafür, dass du dich im Maximilianeum von dieser Politik des Tarnens, Tricksens und Täuschens nicht aus der Ruhe bringen lässt, sondern für ein liberales, sympathisches und frisches Bayern stehst. Dafür hättest du schon jetzt den bayerischen Verdienstorden verdient, mindestens aber ein gutes Wahlergebnis.
Ich will mich bedanken bei Nicola Beer. Ich will mich bei ihr in doppelter Hinsicht bedanken. Zum einen will ich ihr danken, dass sie mein Angebot angenommen hat, für unser Land an einer führenden Stelle in Europa als Macherin zu gestalten. Die Europäische Investitionsbank ist eine vielleicht nicht für alle bekannte, aber umso bedeutendere und weiter an Einfluss gewinnende Institution zur Finanzierung der Transformation, um Innovationen sicherzustellen. Und diese besondere Institution braucht starke Führungspersönlichkeiten. Und sie wird erhalten eine Vizepräsidentin mit einem klaren ordnungspolitischen Kompass. Liebe Nicola, für diese große Aufgabe im Interesse unseres Landes wünschen wir Dir Fortune und allen Erfolg. Ich will Dir danken dafür, dass du diese Herausforderung annimmst.
Aber natürlich will ich Dir auch danken für die Herausforderungen, die wir mit Dir und dank auch Deiner klugen Führung bereits gemeistert haben. Es ist ja hier keine Verabschiedung und kein Ort der Erinnerung an Deine vielfältigen Aufgaben, die Du in der hessischen Landespolitik gehabt hast als Abgeordnete, als Europa-Staatssekretärin, als Kultusministerin, nein, ich beziehe mich jetzt auf unsere enge Zusammenarbeit während eines Jahrzehnts. Nicola Beer ist in einer Zeit, als nahezu keiner einen Pfifferling auf die FDP gegeben hat, im Ehrenamt Generalsekretärin der FDP geworden. Sie hat beim Wiederaufbau, sie hat vom Leitbildprozess über die Wahlkämpfe und dann auch die Arbeit im Parlament für uns Verantwortung an führender Stelle getragen. Nicola, Du hast Dir, wie überhaupt nur ganz, ganz, ganz wenige andere Verdienste um unsere gemeinsame Freie Demokratische Partei erworben. Und ich füge hinzu: Außerdem bist Du eine tolle Persönlichkeit und eine gute Freundin. Wir freuen uns, dass Du weiter in unserer Mitte bleibst.
Liebe Freundinnen und Freunde, da ist eine starke Kämpferin für und in Europa auf der Seite der Exekutive. Aber wir brauchen natürlich auch Freiheitskämpferinnen auf der Seite der Legislative. Wie wichtig das Europäische Parlament ist, haben wir gerade in den letzten Monaten noch einmal gesehen. Ich nenne nur die Auseinandersetzung um das sogenannte Verbrenner-Verbot. Es kann nicht auf Dauer so sein, dass wir gewissermaßen nur im Europäischen Rat als Bundesregierung europäische Entscheidungen beeinflussen. Wir wollen auch im Parlament Gewicht haben und noch mehr Gewicht haben. Wir sind eine Europapartei. Insofern ist der Wahlerfolg auf europäischer Ebene für uns nicht nur Ergebnis einer Nützlichkeitserwägung, sondern Ausdruck auch unserer inneren Einstellung. Und deshalb bin ich glücklich und dankbar, dass eine unserer stärksten Persönlichkeiten, eine unserer besten Wahlkämpferinnen, die gezeigt hat in den letzten Monaten, dass sie jeden Tag aufs Neue ihre Scheu gegenüber den Medien zu überwinden vermag, dass wir mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine großartige Spitzenkandidatin für die nächste Europawahl haben.
Wir haben im Präsidium in den vergangenen zwei Jahren viel erreicht. Wir haben eine Bundestagswahl erfolgreich bestritten. Wir haben eine Koalition gebildet. Und wir haben die Freien Demokraten in Regierungsverantwortung in den letzten Monaten geführt. Das gelingt nur als Team mit starken Einzelpersönlichkeiten. Und deshalb will ich mich auch sehr herzlich bedanken bei meinen Kolleginnen und Kollegen in unserem Präsidium. Lieber Bijan [Djir-Sarai], lieber Wolfgang [Kubicki], liebe Nicola [Beer], lieber Johannes [Vogel], liebe Bettina [Stark-Watzinger], lieber Michael Theurer, liebe Lydia [Hüskens], lieber Michael Link, ganz herzlichen Dank für die wirklich immer kollegiale, immer konstruktive, aber da, wo es notwendig ist, auch kontroverse Suche nach den besten Lösungen. Ich glaube, wir haben gezeigt: Die FDP ist ganz stark, wenn sie nicht gegeneinander arbeitet, sondern wenn wir miteinander in der Sache arbeiten. Vielen Dank für diese tolle Zusammenarbeit.
Lieber Michael Zimmermann, Dir und dem Team im Hans-Dietrich-Genscher-Haus, herzlichen Dank für die exzellente Arbeit in den vergangenen zwei Jahren. Und ich möchte auch Karl-Heinz Paqué für die Naumann-Stiftung, Uli Rülke für die Fraktionsvorsitzendenkonferenz und Moritz Körner für unsere Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament für die gute Zusammenarbeit danken. Aber besonders hervorheben möchte ich Christian Dürr, den Chef unserer Bundestagsfraktion. Die Zusammenarbeit mit Euch ist super und es ist ein Gewinn, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es den Bundestag erreicht hat. Vielen Dank Dir und allen Kolleginnen und Kollegen.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich erinnere mich, vor fast genau zehn Jahren stand ich auch hier und wurde zum ersten Mal zum Parteivorsitzenden gewählt. In welcher Lage war die FDP damals? Damals war die FDP finanziell überschuldet. Heute steht die FDP wirtschaftlich solide und so gut wie seit vielen Jahrzehnten nicht da. Damals hatten wir nur noch gut 55.000 Mitglieder, heute sind es 20.000 mehr. Damals standen wir in Umfragen bei 2 Prozent. Heute stehen wir bei 7 Komma. Damals waren wir APO. Heute sind wir Regierungspartei.
Aber darum alleine geht es nicht. Ich glaube, damals war die FDP eine Partei, die wenig mit sich anzufangen wusste, die nicht so recht wusste, wer sie ist und wofür sie steht. Ich habe hier heute versucht, auch anhand unseres konkreten Regierungshandelns noch einmal in Erinnerung zu rufen, wofür wir eigentlich stehen, für den Gedanken, dass Freiheit unteilbar ist, dass alle Menschen faire Chancen verdient haben und Leistung sich lohnen muss. Dass Wohlstand erst erwirtschaftet werden muss, bevor er verteilt werden kann. Dass wir Verantwortung tragen nicht nur für unsere Freiheit, sondern auch für die von Menschen anderswo auf der Welt und die unserer Nachkommen. Dass wir mehr Freude am Erfinden als am Verbieten haben sollten. Vor zehn Jahren habe ich gesagt, es sei nicht schlimm, wenn die FDP angegriffen wird für das, wofür sie steht. Schlimm sei nur, wenn die FDP angegriffen wird, weil sie für nichts steht. Wenn ich mir heute die Angriffe ansehe: Ich glaube, da habe ich geliefert.
Ich glaube sagen zu können, da hat sich etwas verändert. Jetzt könnte man sagen: Nach zehn Jahren steht die FDP gut da. Jetzt könnte man ja eigentlich auch gehen. Und das ist auch eine gute Bilanz. Und was soll das denn noch? Liebe Freundinnen und Freunde, ich will durchaus sagen, der enorme Zeiteinsatz und auch vielleicht mancher Angriff, Versuche sogar, das Privatleben zu skandalisieren, das ist ein gewisser Preis, den man als Vorsitzender der Freien Demokraten zahlt. Aber mit aller Überzeugung sage ich: Die Aufgabe, unsere Werte, Ihr seid es wert. Wir haben nämlich noch viel vor und ich mit Euch. Wir kämpfen für den Wert der Freiheit, für wirtschaftliche Vernunft, faire Lebenschancen und ein modernes, nicht linkes Deutschland. Der Auftrag ist eben noch nicht erfüllt. Wir stehen gemeinsam erst am Anfang. Ich danke Euch.