LINDNER-Rede auf dem 71. Bundesparteitag
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner hielt auf dem 71. Ord. Bundesparteitag der Freien Demokraten in Berlin folgende Rede:
„Endlich wieder ein Bundesparteitag, liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde! Endlich wieder ein Bundesparteitag!
Wir haben während der Pandemie viel gelernt über digitale Kommunikation. Wir haben auch neue Formate für unsere FDP entwickelt, wir haben einen Programmkonvent komplett mit digitalen Medien bestritten. Vieles davon wird bleiben. Weil es auch den Alltag und die Parteiarbeit komfortabler macht. Aber eins haben wir auch gelernt, die persönliche Begegnung, das persönliche Gespräch, die Begegnung von Mensch zu Mensch, die ist eben nicht digitalisierbar und deshalb war es unverzichtbar, dass dieser Bundesparteitag stattfindet.
Wir sind, liebe Freundinnen und Freunde, unverändert bedroht durch eine Pandemie. Deshalb findet dieser Bundesparteitag ja auch unter anderen Bedingungen statt. Wir halten Abstand, wir tragen Maske, es wird desinfiziert, wir sind an einen geeigneteren Ort umgezogen, wegen der Klimatisierung. Wolfgang Kubicki hier vorne hat sich schon eine Decke genommen, der Check-in hat länger gedauert. Alles notwendige Maßnahmen, damit mit der Bedrohung einer Pandemie dennoch ein Bundesparteitag möglich ist. Diese logistische Herausforderung hat unsere Bundesgeschäftsstelle, hat das Hans-Dietrich-Genscher-Haus mit einem enormen Engagement gestemmt und deshalb will ich mich zu Beginn dieses Parteitags bei Ihnen und euch allen bedanken für die Umsicht, und beim Team des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses für die Organisation dieses Parteitags.
Liebe Freundinnen und Freunde, das ist zugleich ja auch eine Botschaft, es ist eine Botschaft, dass Gesundheitsschutz einerseits vereinbar ist mit demokratischem, mit gesellschaftlichem, mit wirtschaftlichem Leben. Von diesem Bundesparteitag geht das Signal aus: Auch in Zeiten der Pandemie kann es mit Umsicht einen veränderten Alltag geben. Und das ist ein gutes Signal an die Menschen in unserem Land.
Der erste Lockdown war notwendig. Wir haben ihn ja auch mitgetragen. Im Deutschen Bundestag haben wir als Freie Demokraten sogar mit als erste vorgeschlagen, das öffentliche Leben kontrolliert herunterzufahren zu einem Zeitpunkt, als in Bayern – selbst in Bayern – die Schulen noch offen waren. Dieser Lockdown hat allerdings auch einen Preis gehabt. Ich rede jetzt noch nicht von Wirtschaft, sondern von Menschen. Die Einschränkungen der Freiheit, die haben Gesichter. Liebende Menschen wurden getrennt, weil unverheiratete Paare, die in unterschiedlichen Ländern gewohnt haben, über Monate nicht zusammenkommen konnten. Die Freiheitseinschränkungen, die haben Gesichter, zum Beispiel das meiner Oma: 91 Jahre alt, lebt in einem Pflegeheim. Sie ist es gewohnt, dass jede Woche mehrfach Familienangehörige kommen, um sie zu besuchen. Während der Pandemie war das nicht möglich. Und an wie vielen Stellen haben dann unsere Großmütter und Großväter sich einsam gefühlt? Wie viele Menschen, die vielleicht die Situation hochbetagt gar nicht mehr genau nachvollziehen konnten, wie viele Menschen blieben mit ihren Ängsten ungetröstet? Und deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, ein zweiter Lockdown, auch in diesem Herbst, darf sich nicht wiederholen. Wir dürfen niemals wieder zulassen, dass unsere Eltern und Großeltern in Pflegeeinrichtungen vereinsamen. Niemals wieder! Niemals wieder.
Und deshalb brauchen wir jetzt eine andere Strategie. Ein Lockdown ist eine schnell zu verhängende Maßnahme, die aber sehr viele negative Effekte hat. Wir brauchen jetzt intelligentere Maßnahmen, um Gesundheitsschutz mit Freiheit zu vereinbaren. Wir sollten nicht wieder überrascht sein, wie zum Beispiel dadurch, dass nach den Sommerferien Menschen aus dem Urlaub zurückkehren und dann muss Hoppla hopp eine Strategie entwickelt werden. Wir wissen jetzt, im Herbst und Winter, wird sich das Infektionsgeschehen intensivieren. Wir sehen schon, dass andere Länder, Israel beispielsweise, über einen zweiten Lockdown nachdenken, also ist jetzt heute die staatliche Verantwortungsgemeinschaft gefordert, neue intelligente Maßnahmen zu entwickeln. Zum Beispiel eine umfassende Teststrategie, schnell verfügbar und günstig, konzentriert insbesondere auf diejenigen, die viel Kontakt mit Menschen haben, zum Beispiel in Pflegeeinrichtungen. Also die Digitalisierung des Gesundheitswesens, damit Infektionsketten nicht mit dem Fax-Gerät nachverfolgt werden müssen. Also die Ausrüstung von öffentlichen Räumen der Gastronomie, mit Klimatisierung, die über Aerosolfilter verfügt, also die Beschleunigung der Forschung und Entwicklung von Impfstoffen und Medikamentation. Also intelligente Maßnahmen, die es möglich machen, auch in einer Zeit der Pandemie ohne Lockdown das öffentliche Leben fortzusetzen. Wir müssen intelligenter sein als das Virus gefährlich ist, es darf am Ende nicht das Virus über die Freiheit triumphieren. Die Freiheit muss immer stärker sein als jedes Virus. Und das ist eine Frage der Intelligenz, der intelligenten Maßnahmen.
Wir hatten ja während dieser Pandemie auch vielfach unsere Mitmenschen noch mal neu kennengelernt. Und es gab ganz unterschiedliche Impressionen. Zunächst sind wir gut durch Corona gekommen. Das verdankt sich einerseits der staatlichen Verantwortungsgemeinschaft: Bund, Länder, Gemeinden, Regierung, Opposition. Aber vor allen Dingen verdanken wir es einer Mehrheit, einer weit überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die sich verantwortungsbewusst und vernünftig verhalten hat. Darauf kann man aufbauen. Auf der anderen Seite gab es aber auch eine kleine Minderheit von Aluhutträgern, Verschwörungstheoretikern und Leugnern wissenschaftlicher Evidenz. Die sich dann auch zu Demonstrationen treffen, auf denen vorsätzlich die Hygiene- und Abstandregeln gebrochen werden. Um es klar zu sagen: Ich halte nichts von Begriffen wie Öffnungsdiskussionsorgie. Über jede staatliche Maßnahme muss man diskutieren. Auch in Zeiten der Pandemie muss es eine Offenheit geben, Regierungspolitik zu kritisieren und Alternativen vorzuschlagen.
Die Meinungsfreiheit darf auch nicht während einer Pandemie eingeschränkt werden, die Demonstrationsfreiheit darf nicht eingeschränkt werden; nicht rhetorisch, nicht rechtlich. Aber, liebe Freundinnen und Freunde, zur Meinungsfreiheit gehört auch Verantwortung. Die Verantwortung dafür, Auflagen bei Hygiene und Abstand zu achten, damit man nicht nur sich selbst nicht, sondern auch uns alle nicht gefährdet., Zum Demonstrationsrecht gehört auch die Verantwortung, darauf zu achten: Neben wem demonstriere ich eigentlich hier? Das wird mir doch irgendwann auch möglicherweise spanisch vorkommen.
Das muss einem doch irgendwann spanisch vorkommen. Man will sich für eine andere Strategie, eine andere Krisenstrategie des Gesundheitsschutzes einsetzen und findet sich in einer Gesellschaft wieder von Menschen, die mit Reichskriegsflaggen, Reichsflaggen unterwegs sind und unser Parlament stürmen wollen. Spätestens da muss ein demokratisches Immunsystem angehen, liebe Freundinnen und Freunde.
Man kann, man muss über alles in der Demokratie diskutieren können. Aber man kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit des Staats, des Grundgesetzes berufen und dann neben der Flagge stehen, die auf einen ganz anderen autoritären Staat vorher verweist. Und wenn eines sakrosankt sein muss, dann das Symbol unserer parlamentarischen Demokratie, nämlich der Deutsche Bundestag selbst. Also das gab es.
Das gab es. Während der Pandemie gab es aber auch gelebte Solidarität im Alltag. Verschiedentlich wird ja gesagt, unser Land sei vereinzelt und sozial erkaltet. Ich habe das nicht finden können. Im Gegenteil. Während Corona an so vielen Stellen, auch in meiner Nachbarschaft hier in Berlin, gab es plötzlich Aushänge und Angebote, auch Online-Plattformen sind entwickelt worden. Da haben sich jüngere Menschen angeboten, für die Älteren oder gesundheitlich Bedrohten, Einkäufe zu erledigen. Das war gelebte Mitmenschlichkeit im Alltag, jenseits der professionellen Hilfe eines Sozialstaats. Dafür kann man individuell dankbar, dafür kann man als Gesellschaft aber auch gemeinsam Stolz empfinden. Und na ja, es gab auch manche Charakterstudie an der Obsttheke im Supermarkt. Wenn die Maske etwas verrutscht war, dann gab es Mitmenschen, die haben nicht einen freundlichen Hinweis gegeben, sondern die haben in diesen Situationen ihren inneren Hilfssheriff entdeckt und haben sich gefreut, ihr Gegenüber mal richtig zusammenstauchen zu können. Und manchmal ging das bis an die Grenze des Denunziantentums. Kein gutes Charakterbild.
Mein Vorschlag ist, liebe Freundinnen und Freunde, lassen wir doch Verschwörungstheorien und Leugner wissenschaftlicher Erkenntnis, lassen wir doch individuelle Fahrlässigkeit und auch Denunziantentum hinter uns. Aber die guten Eigenschaften, die wir während Corona erlebt haben, die Eigenverantwortung und Vernunft, die guten Eigenschaften wie die gelebte Solidarität im Alltag, lasst uns die doch mitnehmen, wir haben doch positive Erfahrungen gemacht. Welch beeindruckende Reserve an Flexibilität hat unser Land gezeigt. Über Jahre haben sich Menschen erhofft, ins Homeoffice wechseln zu können und immer war das problematisch wegen der Arbeitsstättenverordnung, die zu Hause auch noch den Neigungswinkel der Schreibtischlampe prüft. Jetzt kam Corona, und von einem Tag auf den anderen wurden die Belegschaften ins Homeoffice geschickt und alles klappte. Welch beeindruckende Flexibilität hat unser Land gezeigt, Vernunft, Eigenverantwortung, Solidarität, Flexibilität, wenn wir das aus Corona mitnehmen in die Zeit danach, dann wird unser Land gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.
Es liegt in unserer Hand. Vom Homeoffice haben viele geträumt. Viele haben geträumt vom Homeoffice, geliefert wurde aber nicht Homeoffice, geliefert wurde an vielen Stellen Homeoffice plus Homeschooling. Und das war etwas ganz anderes, als die Menschen sich vorgestellt haben. Und das war für viele Familien auch eine Belastung. Wir haben ja in unserem Land ohnehin das Problem der Spaltung in diejenigen, die über einen familiären Hintergrund verfügen, der auch eine gelingende Bildungsbiografie ermöglicht und auf der anderen Seite Familien, die nicht über diesen Hintergrund verfügen. Weshalb nirgendwo sonst bei den entwickelten Wirtschaftsnationen die Herkunft aus dem Elternhaus stärker den Lebensweg bestimmt. Ich halte das übrigens für den größten Gerechtigkeitsskandal unseres Landes, dass nicht Fleiß und Talent, sondern der Zufall der Geburt über den Lebensweg entscheidet.
Und das hat sich während der Pandemie noch verstärkt. In manchen Familien gab es die Möglichkeit, ausgefallenen Unterricht aufzufangen, am Küchentisch. In den Familien, wo nicht Deutsch gesprochen wird, fiel das ungleich schwerer. Und auch in anderen Familien, in welche Verlegenheit kamen Eltern, auch vielleicht gegenüber den eigenen Kindern offenbaren zu müssen, dass der Unterrichtsstoff Mathematik Klasse acht, Klasse neun, doch vielleicht selbst schon etwas länger zurückliegt. In welche Verlegenheiten kamen Familien dort, in welche schwierigen Situationen kam auch Paare, wo entschieden werden musste, wer bleibt zu Hause und wer kann in den Job gehen? Welche alten Rollenbilder haben sich dadurch verfestigt? Liebe Freundinnen und Freunde, machen wir uns bitte klar, diese Gesellschaft hat während der Pandemie viele Familien, Kinder, Jugendliche, viele Eltern im Stich gelassen. Wenn wir vor Corona bereits die Modernisierung und Digitalisierung des Bildungssystems gefordert haben, dann war das richtig. Nach Corona wissen wir, es ist auch eine der dringlichsten Aufgaben, der wir uns stellen müssen.
Ich bin dafür, dass wir das auch mit Maßnahmen hinterlegen. Unsere Freundinnen und Freunde in Nordrhein-Westfalen, in Regierungsverantwortung, die haben nun eine Betreuungs- und Bildungsgarantie, auch für diesen Herbst und Winter ausgesprochen. Ich halte das für vorbildlich für alle 16 Länder, liebe Freundinnen und Freunde. Wir haben eine Schulpflicht, die sich an Kinder und Jugendliche richtet, sie muss jetzt ergänzt werden durch eine digitale Bildungs- und durch eine Betreuungsgarantie für die Familien, damit man sich auf diesen Staat verlassen kann, wenn man ihn braucht.
Und das erfordert Investitionen. Das wird Investitionen erfordern, das ist ein gesamtgesellschaftliches Projekt. Das erfordert eine echte Prioritätensetzung, liebe Freundinnen und Freunde. Eine Prioritätensetzung, die auch jetzt schon hätte erfolgen können. Ich mach es nur mal an dem Beispiel der Mehrwertsteuersenkung fest. Jetzt hat die Große Koalition entschieden, für einige wenige Monate, die Mehrwertsteuer um ein paar Punkte zu senken. Und danach wird sie wieder erhöht. Ich bin im Zweifel, ob davon jetzt nun wirklich ein so starker Wachstumseffekt ausgeht, ob das nicht ein Vorzieheffekt dann ist. Was man sicher weiß, ist, davon geht viel Bürokratie aus, weil IT muss gewechselt werden, Kassen müssen einmal so, einmal so programmiert werden. 20 Milliarden Euro. Was hätte man mit 20 Milliarden Euro bewirken können? Mit 20 Milliarden Euro, liebe Freundinnen und Freunde, hätten wir alle 35.000 Schulen in Deutschland ans Breitbandnetz anschließen können. Mit dem Geld hätten wir zugleich auch noch an allen 35.000 Schulen das modernste und schnellste WLAN einrichten können. Es wäre noch Geld übrig geblieben, um an allen 35.000 Schulen die Lehrerinnen und Lehrer stärker zu coachen und zu qualifizieren für digitale Didaktik und sie mit einem eigenen Notebook auszustatten und es wäre immer noch Geld übrig geblieben, um an allen 35.000 Schulen die Kinder und Jugendlichen aus bedürftigen, finanziell schwächeren Familien mit einem eigenen digitalen Endgerät auszustatten und es wäre immer noch Geld übrig geblieben, um an allen 35.000 Schulen die Toiletten zu sanieren, weil auch das zum Respekt vor Kindern und Jugendlichen gehört. Nur mit der Mehrwertsteuersenkung.
Und liebe Freundinnen und Freunde, das ist jetzt bezogen, auf diese 20 Milliarden natürlich vergossene Milch. Hätte, hätte, Fahrradkette, hat mal einer gesagt. Das ist jetzt vergossene Milch, aber in jedem Jahr gibt es neue Haushaltsberatungen. In jedem Jahr können neue Schwerpunkte getroffen werden. Und ich bin dafür, dass wir uns dafür stark machen, dass wir die wichtigste gesellschaftspolitische Aufgabe, die wir haben, nämlich die Modernisierung unseres Bildungssystems, dass wir die in Bund, Ländern und Gemeinden zu einer Top-Priorität machen, wir brauchen so etwas wie einen Bildungspakt von Bund, Ländern und Gemeinden, inklusive einer Reform des Bildungsföderalismus, damit bei dieser großen Aufgabe wir mehr Vergleichbarkeit und Mobilität im Land erhalten. Aktueller denn je.
Die Gesundheitskrise, liebe Freundinnen und Freunde, sie ist fraglos noch nicht überwunden. Aber Corona scheint mir heute beherrschbar zu sein. Erst recht, wenn wir eine kluge Krisenstrategie jetzt für den Herbst und Winter etablieren. Ich sorge mich nicht erst seit heute, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Wir müssen acht darauf geben, dass nicht irgendwann die wirtschaftlichen Risiken größer werden als die gesundheitlichen Risiken waren. Deshalb brauchen wir jetzt eine Politik, die diese Frage in den Blick nimmt. Es war richtig, dass es Sicherheitsnetze für Beschäftigung und für Betriebe gegeben hat. Die haben wir im Deutschen Bundestag auch mitgetragen. Wenn Angebot und Nachfrage gleichzeitig ausfallen, wie während einer Pandemie, dann ist staatliches Handeln erforderlich.
Warum haben wir einen Staat? Wir haben einen Staat doch vor allen Dingen auch für die Fragen, die über die individuelle Möglichkeit der Verantwortungsübernahme hinausreichen. Für diese Fragen, wie etwa den schwarzen Schwan einer Pandemie des gleichzeitigen Ausfalls von Angebot und Nachfrage, dafür haben wir einen Staat. Nur inzwischen wird diese Rettungspolitik ja immer weiter fortgesetzt. Es gibt Anzeichen dafür, dass die wirtschaftliche Entwicklung möglicherweise sehr viel schneller erfreulicher sein könnte, als zuvor erwartet. Und trotzdem entscheidet die Große Koalition jetzt, das Kurzarbeitergeld bis Ende des nächsten Jahres zu verlängern und die Insolvenzantragspflicht bis Ende dieses Jahres zu verlängern. Was mag das Motiv dahinter sein? Wenn man über den Zeitpunkt der Bundestagswahl hinaus staatliche Hilfen verlängert. Ich bitte, nicht miss zu verstehen, ich glaube auch, dass es sinnvoll sein kann, jetzt das Kurzarbeitergeld noch eine Zeit zu verlängern. Aber warum nicht erst einmal bis März? Über den Winter? Und dann überlegen, welche Branche braucht es, unter welchen Bedingungen muss es noch einmal verlängert werden? Die Insolvenzantragspflicht auszusetzen, das soll eine Pleitewelle verhindern. Aber sie wird doch nur vertagt. Viel besser wäre es doch, den Unternehmen, die Zahlungsschwierigkeiten haben, Liquidität zuzuführen, in dem zum Beispiel die Verluste des Jahres 2020 mit den Gewinnen der Jahre 2019 und 2018 verrechnet werden, besser ist es doch, Liquidität zuzuführen, als eine ehrliche Bilanz weiter zu vertagen.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich will darauf hinaus, dass wir vom Krisen- in den Gestaltungsmodus wechseln müssen. Wir können die ehrliche Bilanz des wirtschaftlichen Schadens nicht auf Dauer vertagen. Wir können auch den notwendigen Strukturwandel nicht dauerhaft bremsen und wir können die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt nicht auf Dauer mit Schulden in Gang halten, Schritt für Schritt brauchen wir den Weg zurück in die wirtschaftliche Normalität, liebe Freundinnen und Freunde, Schritt für Schritt.
Genau diesen Schritt in die wirtschaftliche Normalität, den sehe ich bei der Großen Koalition indessen nicht. Ihr habt das gelesen, Olaf Scholz plant für das nächste Jahr mit 96 Milliarden Euro, etwa die gleiche Summe kommt noch hinzu, wenn man unsere Haftungsverpflichtungen auf der europäischen Ebene dazu nimmt. Zum Vergleich, im Krisenjahr 2010, nach der Finanzkrise, hat der Bund auch Schulden aufgenommen, aber es waren 44 Milliarden, jetzt sind es fast fünf Mal mehr an öffentlicher Verschuldung als seinerzeit. Man hat auch das Gefühl, dass die Staatsverschuldung inzwischen zu einer Art Philosophie verklärt wird. Olaf Scholz rühmt ja die Möglichkeiten, dass nun auch die Europäische Union Schulden machen kann, man hat das Gefühl, manche haben darauf gewartet. Machen wir uns aber klar, dauerhaft die Schuldenbremse zu brechen, machen wir uns klar, dauerhaft auch die Maastricht-Kriterien zu brechen, das ist keine solide Haushaltspolitik, die auf Zukunft angelegt ist. Irgendwann wird jemand für diese Schulden zahlen müssen: Entweder durch die geringe Handlungsfähigkeit des Staats, durch die Erhöhung von Steuern — die amerikanische Notenbank spricht schon von der Rückkehr der Inflation. Liebe Freundinnen und Freunde, solide Staatsfinanzen stärken nicht nur die Handlungsfähigkeit und Krisenfestigkeit des Staates, solide Staatsfinanzen und der Verzicht auf immer neue höhere Schulden, das ist auch die beste Investition in zukünftiges Wachstum und es verhindert, dass die Staatsschulden von heute ein Verarmungsprogramm für die Mittelschicht morgen werden. Deshalb brauchen wir diese Rückkehr zur Solidität.
Zumal sich doch diese hohe Staatsverschuldung nicht allein aus den Corona-Folgen ergibt. Die „FAZ“ schreibt heute, die Große Koalition hat die letzten Jahre doch gewirtschaftet wie im Rausch. Rentenpaket hier, Subvention da. Leistungsausdehnung dort, schon auch ohne Corona wäre der Staat an Grenzen seiner Finanzierungsmöglichkeiten gekommen. Die Sozialversicherungsbeiträge werden auf über 40 Prozent in den nächsten Jahren steigen. Alles schon vor Corona absehbar. Es ist nicht Corona, das die Staatsfinanzen ruiniert, es ist die Große Koalition, die die Staatsfinanzen ruiniert hat, liebe Freundinnen und Freunde. Deshalb brauchen wir hier einen Wechsel.
Handlungsnotwendigkeiten, schreibt Olaf Scholz, gäbe es ab dem Jahr 2022, also nach der Bundestagswahl. Liebe Freundinnen und Freunde, Handlungsnotwendigkeit, das ist jetzt das neue Wort für Steuererhöhung, was nach der Bundestagswahl dann enthüllt werden wird, nach einem Kassensturz. Ich glaube aber nicht, dass unser Staat in Wahrheit ein Einnahmeproblem hat. Im vergangenen Jahr hat dieser Staat bei Rekordbeschäftigung und niedrigster Arbeitslosigkeit zum ersten Mal über eine Billion Euro für soziale Aufgaben aufgewandt. Die öffentlichen Haushalte sind immer weiter gestiegen. Nur, die Anforderungen an den Staat und die Beschlüsse der Politik, die waren immer schneller, als die Volkswirtschaft in der Lage war, Wohlstand zu erwirtschaften. Und genau das müssen wir durchbrechen. Wir brauchen eine auf Solidität angelegte Politik, es kann nur das beschlossen werden, wovon wir wissen, dass es morgen auch sicher finanziert werden kann. Ein wichtiger Beitrag wäre, wenn wir die Vier-Tage-Woche in der Politik einführen würden, ein Tag weniger immer neue Ideen für Subventionen, Bürokratie, Staatsaufgaben, das wäre ein sinnvoller Beitrag dafür, Einnahmen und Ausgaben des Staates wieder zusammenzubringen.
Und das wird eine politische Richtungsfrage sein. In Hessen hat die dortige schwarz-grüne Koalition, die in diesem Jahr erstmal wirksame Schuldenbremse sofort für die ganze Legislaturperiode von vier Jahren aufgehoben und bilden jetzt ein Schuldensonder-Vermögen. Heute sagt ein Politiker der Grünen, es brauche eine politische Garantie, dass nach der Krise nicht etwa wieder ein Sparkurs eingeleitet wird. Schon heute fordert also ein Politiker der Grünen, dass zukünftig auf Haushaltskonsolidierung verzichtet werden soll. Es geht aber nicht nur ums Sparen, sondern es geht darum, dass der Staat mit seinem Einnahmeportfolio auskommt. Liebe Grüne, Nachhaltigkeit hat nicht nur etwas mit Klimaschutz zu tun, nachhaltig müssen auch die Staatsfinanzen organisiert sein. Das ist für uns gleichermaßen Anspruch.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich glaube, wir brauchen eine Trendwende. Unser Land war schon vor Corona in einem Strukturwandel. Aufgrund des Klimaschutzes und aufgrund der Digitalisierung. Auf den Weltmärkten können wir nicht sicher sein, dass wir unseren Wohlstand in gleicher Weise verteidigen können, wie in den vergangenen Jahren. Weil der freie Handel eingeschränkt wird, aber auch, weil die Kunden von heute, morgen bereits scharfe Wettbewerber sein können. Die bleiben nämlich nicht stehen. Wir sind eine alternde Gesellschaft. Tendenziell werden weniger Menschen unseren Wohlstand, unser soziales Absicherungsniveau sichern müssen. Das alles hat mit den Corona-Krisenfolgen gar nichts zu tun. Stellt aber infrage, ob wir in der Zukunft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten genauso leben können wie heute. Wir kommen aus einer Zeit, in der es 40 Quartale in Folge Wachstum in Deutschland gab. Manche können sich Rezessionsszenarien überhaupt gar nicht mehr vorstellen. Die Gruppe der heute Anfang 20-Jährigen, die kennen gar nicht wirtschaftlichen Einbruch als aktive Beobachter des politischen und des wirtschaftlichen Geschehens.
Und nun kommen wir in eine Situation, wo das Geschäftsmodell der Bundesrepublik Deutschland, unsere Schlüsselindustrien, allesamt infrage gestellt werden. Wie soll das gehen? Weniger Menschen auf einem sich verschärfenden internationalen Parkett mit mehr Wettbewerb, Transformation durch Digitalisierung und dann noch Klimaschutz, der ja im Grunde die Art und Weise, wie wir leben und wirtschaften, infrage stellt. Wie soll das gelingen? Die große Veränderung, die ist ein Risiko natürlich für Beschäftigung, für soziale Absicherung, für sozialen Frieden. Das erfordert von uns neues Denken. Im Grunde muss man sagen, die Veränderung ist so groß, dass, wenn wir diesen Transformationsprozess und die Alterung der Gesellschaft verbinden wollen mit Beschäftigung, sozialem Frieden, sozialer Absicherung, wie wir es kennen, wir brauchen ein Wunder. Damit das gelingt in einer veränderten Zeit, daran, woran wir uns gewöhnt haben, soziale Absicherung, Wohlstand, Beschäftigung, wenn wir das erhalten wollen in dieser neuen Zeit, wir brauchen ein Wunder. Und genau das, liebe Freundinnen und Freunde, ist mein Vorschlag: Wenn wir ein Wunder brauchen, dann arbeiten wir doch auch für ein Wunder, für ein neues Wirtschaftswunder in diesem Land. Und das ist der Grund, warum wir dieses Symbol gewählt haben.
Das ist der Grund, warum wir dieses Symbol gewählt haben: Das ist die Baumpflanzerin, die auf dem 50-Pfennigstück gewesen ist, in etwas aktualisierter Form. Und die war damals ein Symbol für Hoffnung. Die war ein Symbol für Aufbruch. Die war das Symbol für das Wirtschaftswunder. Und genau das brauchen wir heute nun auch wieder. Die Erinnerung an das, was unsere Gesellschaft schon einmal geschafft hat. Einen großen Veränderungsprozess und das Versprechen von Wohlstand für alle. Das war der Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland. Und in dieser Zeit des Wandels sollten wir uns an ihn erinnern, und daran, was unser Land stark gemacht hat. Es war nicht ein Staat, der sich überall eingeschaltet hat, es war nicht ein Staat, der überall gelenkt hat, mit Verboten, Geboten, Subventionen. Es war keine Gesellschaft, die auf Unterschiede teils mit Neid, teils mit Häme reagiert hat. Die Zeit des Wirtschaftswunders war eine Zeit geprägt von Tatkraft. Von Erfindergeist, von Leistungsfreude, von Risikobereitschaft, von Offenheit für Veränderung und für Technologie, eine Gesellschaft, die sie begrüßt und nicht bekämpft hat. Und genau das, liebe Freundinnen und Freunde, braucht unser Land heute wieder. Wenn wir ein Wirtschaftswunder wollen, dann brauchen wir auch wieder Wirtschaftswunderpolitik. Eine Politik, die das Land nicht bremst, sondern eine Politik, die unser Land entfesselt, die den Menschen vertraut, statt ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Die ihnen private Investitionen nahelegt, statt alles nur für den Staat zu beanspruchen.
Wollen wir uns damit abfinden, dass die neuen Technologien woanders entstehen? Wollen wir uns hier in so einem Museum verschanzen? Wir haben doch noch alle Möglichkeiten auf der Hand. Viel Kapital, qualifizierte Menschen. Wir haben gelernt, was in uns steckt, wenn man es nur zum Vorschein kommen lässt während der Pandemie. Also brauchen wir jetzt auch eine andere Politik, die unser Land entfesselt von Bürokratismus. Die günstigste Form der Wirtschaftsförderung ist der Verzicht auf überflüssige Regelungen.
55 einzelne Maßnahmen haben wir als FDP-Bundestagsfraktion vorgeschlagen, Arbeitszeitgesetz, die Steuererklärung bei Rentnerinnen und Rentnern, Arbeitsstättenverordnung und so weiter und so fort, Mindestlohndokumentationsverpflichtung, die blödsinnige Bonpflicht, bis hin zur Datenschutzgrundverordnung. Jawohl, es ist richtig, dass man klare Regeln hat, um sich gegen die Facebooks dieser Welt zur Wehr zu setzen. Aber mir geht auf die Nerven, dass ich jeden Tag x-Mal Cookies wegklicken muss, und ich glaube, dass ein Betrieb mit zehn Beschäftigten auch keinen Datenschutzbeauftragten braucht. Also Bürokratismus abbauen!
Dann, liebe Freundinnen und Freunde, selbstverständlich brauchen wir auch eine Steuerreform. Ich habe neulich in irgendeiner Zeitung gelesen, bei einem Leitartikel, ja, selbst die FDP traue sich nicht mehr, eine Steuerreform zu fordern. Steuerentlastungen, da sei selbst die FDP nicht mutig genug. Doch! Sind wir! Seit 15 Jahren warten wir auf eine Steuerentlastung. Sie ist auch dringend erforderlich. Um uns herum hat sich die Welt verändert. Wir sind inzwischen Weltspitze bei der Steuerbelastung. Chinesen, USA, Frankreich, die Niederlande, zuletzt die Österreicher haben die Steuerbelastung reduziert. Bei uns passiert nichts. Bei uns gibt es eine Diskussion sogar noch über die Erhöhung der Belastung. Das ist ja eine großartige Idee, der Mittelstand, der gerade Eigenkapital und Reserve eingesetzt hat, um über die Krise zu kommen, dem wird jetzt schon wieder angekündigt, dass die Belastungsschraube nach der nächsten Bundestagswahl noch weiter angezogen wird. Das Gegenteil wäre richtig, wir brauchen nun wettbewerbsfähige Steuersätze für die Betriebe, eine steuerliche Forschungsförderung, wir brauchen Raum für private Initiative und private Investitionen nach der Krise.
Und es ist im Übrigen auch eine Frage der Gerechtigkeit. Während der Pandemie haben wir gesehen, wie viele Menschen in ganz wichtigen Jobs arbeiten. Die aber nicht gut bezahlt sind: die Kassiererin im Supermarkt, Pflegekräfte, die Menschen, die in der Müllentsorgung tätig sind, viele andere mehr. Viele für unser Zusammenleben wichtige Berufe, die aber nicht gut bezahlt werden. Jetzt gibt es gegenwärtig Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Verdi fordert 4,8 Prozent. Ich mische mich da nicht ein. Das müssen Arbeitgeber und Gewerkschaften untereinander verhandeln.
Ja, Partei der Tarifautonomie. 4,8 Prozent. Und da mag sich jetzt manche Erzieherin, das sind ja die, die davon betroffen sind, mancher Pfleger freuen. 4,8 Prozent, wenn das käme, das ist ja mal eine ordentliche Verbesserung der eigenen finanziellen Situation. Wenn das, was Verdi da verhandelt, tatsächlich durchkäme, wird sich mancher wundern, denn von der Gehaltserhöhung bleibt den Menschen noch nicht einmal die Hälfte übrig, weil die Lohnsteuer so stark zupackt. Alle haben applaudiert, während der Pandemie, den Menschen in genau diesen Jobs. Salbungsvolle Dankesworte gab es im Deutschen Bundestag. Aber wenn es um Geld geht, dann werden die Sozialversicherungsbeiträge auch für die Bezieher von kleinen Einkommen erhöht und die Lohnsteuer packt hart zu. Deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, wer es wirklich ernst meint mit dem Respekt gegenüber genau diesen Berufsgruppen, der schafft auch einen Respekttarif bei der Lohnsteuer, und senkt genau für diese Menschen die Belastung ab, denn davon können die Menschen sich wirklich was kaufen und bekommen nicht nur Applaus gespendet. Und das kostet nicht viel Geld.
Nach meiner Überzeugung, liebe Freundinnen und Freunde, nach meiner Überzeugung führt eine verbesserte individuelle private Einkommensperspektive auch zu einem anderen Konsumverhalten. Also die Mehrwertsteuer mal kurz zu senken, da halten die Leute das Geld zusammen. Aber wenn man weiß, auf Dauer gibt’s eine verbesserte Einkommensperspektive, da kommt ein Kaufkrafteffekt zum Tragen. Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, hat sich gerade geäußert zum geplanten Ende der Reifenproduktion von Continental in Aachen. Und er hat öffentlich appelliert an das Unternehmen, das Werk doch bestehen zu lassen. Wir haben einen großen Strukturwandel in der Automobilbranche. Völlig klar. Continental glaubt nun, es braucht zukünftig weniger Reifen, also schließen sie ein Werk. Und jetzt appelliert der nordrhein-westfälische CDU-Ministerpräsident. Ja, wir haben einen Strukturwandel aufgrund neuer Antriebe. Aber gegenwärtig, liebe Freundinnen und Freunde, erleben wir doch überall, zuletzt Frau von der Leyen, mit neuen CO2-Grenzwerten oder Peter Altmaier in Deutschland, dass systematisch einer Schlüsselbranche wie dem Automobilbau, nicht nur das Leben schwergemacht wird, es wird ihm geradezu das Überleben schwer gemacht. Schon ist die Rede davon, dass es gar keinen Verbrennungsmotor geben soll. Im nordrhein-westfälischen Kommunalwahlkampf, wie oft haben wir grün-schwarze und schwarz-grüne Konstellationen gesehen, die bewusst eine Politik nicht für Radwege oder für öffentlichen Personennahverkehr gemacht haben, sondern explizit gegen das Auto. Dann darf man sich doch nicht wundern, wenn dieser Strukturwandel eben zulasten auch der Beschäftigten geht. Wenn tausende Familien, die abhängig sind von einem gut bezahlten Arbeitsplatz und den sie als sicher geglaubt haben, diesen Job tatsächlich verlieren. Armin Laschet, seine Sorge um Arbeitsplätze kann ich verstehen, aber er sollte sich nicht an das Management von Continental wenden, sondern er sollte sich an die Präsidentin der EU-Kommission und an den CDU-Wirtschaftsminister wenden, denn die gefährden Arbeitsplätze, die CDU gefährdet Arbeitsplätze in der Automobilbranche. Die sind das doch!
Und nun hat Frau von der Leyen, ich spreche nicht gegen den Strukturwandel, aber mir geht es um faire Rahmenbedingungen, jetzt hat Frau von der Leyen verschärfte CO2-Ziele angekündigt. Wie wäre es, bevor wir die Ziele verschärfen, einmal über wirksamere Wege nachzudenken, um allein schon die bestehenden zu erreichen? Ohne Strukturbruch. Peter Altmaier hat einen Klimakonsens vorgeschlagen. Ja, da sind wir sofort dabei, weil das haben wir vor ein, zwei Jahren ebenfalls angeregt, zu so etwas zu kommen. Er hat aber auch zugleich Vorstellungen, wie das so aussehen soll. Kleinteiligste Regelungen für jeden wirtschaftlichen Bereich. Und auf Basis eines jeden Jahres will Peter Altmaier jetzt tonnengenau für jeden Lebensbereich festlegen, wie viel CO2 eingespart werden soll. Für jedes Jahr. Und jeden Lebensbereich, tonnengenau planen, wie viel CO2 eingespart werden soll. Die Sowjetunion ist an Fünfjahresplänen gescheitert, Peter Altmaier kommt jetzt nun mit Einjahresplänen, das hat mit Sozialer Marktwirtschaft nichts mehr zu tun. Das ist gelenkte Staatswirtschaft, in die wir hier hineingehen. Und deshalb, liebe Freundinnen und Freunde, ich werde mit Lukas Köhler, unserem Klimaexperten, mit Herrn Altmaier einen Kaffee trinken, aber wie 2017, auch 2020 stehen wir nicht zur Verfügung für vorgezogene schwarz-grüne Koalitionsverhandlungen, sondern wir haben einen anderen inhaltlichen Ansatz.
Wir haben einen anderen inhaltlichen Ansatz. Wir sehen auch den Klimawandel als eine Menschheitsherausforderung, aber zugleich auch als eine technologische Chance. Als eine technologische Herausforderung, die am Ende sogar noch Wohlstandsgewinne bringen kann. Ich glaube, dass unser Anspruch sein muss, Wachstum, Beschäftigung und Klimaschutz zu verbinden. Das Umweltbundesamt hingegen hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, mit folgendem Kernsatz: „Die Klimaneutralität im Jahre 2050 kann gelingen, wenn Deutschland sich ab 2030 vom wirtschaftlichen Wachstum befreit.“ Eine Behörde spricht über die Befreiung vom Wachstum. Das ist geradezu zynisch angesichts der Menschen, die gegenwärtig in Kurzarbeit sind.
Aber mehr noch, ich stelle mal die Frage, wie soll eigentlich individueller sozialer Aufstieg möglich sein? In einer Gesellschaft, die über 20 Jahre sagt, wir wollen nicht mehr wachsen, wie soll in einer solchen Gesellschaft die Verbesserung der eigenen Lebenssituation möglich werden? Das geht doch dann nur dadurch, dass man jemandem anderen etwas wegnimmt. Die Verbesserung der eigenen Lebenssituation, in der erstarrten Gesellschaft, führt zu einem verschärften Verteilungswettkampf, zu einer Ellbogengesellschaft, während umgekehrt die prosperierende, die dynamische Gesellschaft, die Wohlstandzuwachs hat, in einer solchen Gesellschaft fällt es auch dem Einzelnen leichter, seine Lebenssituation zu verbessern. Und weil es Menschen gibt, die mit ihrer Lebenssituation noch nicht zufrieden sein können, nicht bei uns und nicht auf der Welt, deshalb ist wirtschaftliches Wachstum geradezu ein Gebot sozialer Gerechtigkeit, das wusste früher auch mal die SPD.
Und wie kommen wir zu diesem Wachstum? Doch nur durch überlegene, durch neue Technologien. Das ist doch eine Aufgabe jetzt für die Europäische Union. Wo sind die Initiativen dazu, Klimaschutz mit Technologie zu erreichen? Warum sprechen wir über das Verbot des Verbrennungsmotors, warum sprechen wir nicht über eine europäische Wasserstoffunion. Daimler will jetzt Lkws bauen, die schon im Jahr 2030 mit Wasserstoff verkehren, weil das die überlegene Technologie ist. Also sorgen wir doch dafür, dass grüner Wasserstoff wettbewerbsfähig ist, damit nicht Herr Altmaier ThyssenKrupp verstaatlichen muss, sondern damit es für ThyssenKrupp grünen Wasserstoff gibt, damit die wettbewerbsfähig, wirtschaftlich grünen Stahl produzieren können, produzieren wir doch Wasserstoff an den Stellen in Europa, wo es Sonne gibt.
Liebe Freundinnen und Freunde, wenn jetzt so viel Geld auf dem Tisch liegt, 750 Milliarden Euro, dann nutzen wir die doch für Projekte, die uns nach vorne bringen. Produzieren wir doch durchaus mit öffentlichen Investitionen angeschobenen, grünen Wasserstoff in Süditalien. Machen wir mit Solarenergie, weil die haben ja Sonne, und den bringen wir zu uns und nutzen den im Wasserstoffbus, im Wasserstoff-Lkw oder zur Produktion von Stahl. Die Wasserstoffunion, das wäre eine Belebung der wirtschaftlichen Entwicklung. Nicht nur im Süden, die Nachholbedarf haben, sondern es wäre auch bei uns eine Erleichterung der Transformation, es würde gelingen, Wohlstand und Wachstum mit Ökologie andererseits zu versöhnen. Wo sind solche Initiativen? Das brauchen wir!
Warum, liebe Freundinnen und Freunde, warum denken wir nicht auch international? Wir werden bei uns jetzt größte Anstrengungen unternehmen, um noch die letzten Effizienzgrade im Klimaschutz zu erreichen. Und gleichzeitig gibt es Regionen auf der Welt, zum Beispiel in Afrika, da werden noch neue Kohlekraftwerke gebaut. Bis 2030 darf die Volksrepublik China in jedem Jahr noch mehr CO2 ausstoßen. Und dann träumt Frau von der Leyen vom ersten CO2-neutralen Kontinent. Was ist denn damit gewonnen, wenn wir der erste CO2-neutrale Kontinent wären, wenn überall sonst auf der Welt der CO2-Ausstoß noch weiter steigt? Deshalb dürfen wir doch nicht nur rein national, auch nicht nur rein europäisch denken, sondern die Aufgabe müsste doch sein, dass wir als Europäerinnen und Europäer eine globale Aufgabe auch global angehen, und ein Schritt wäre doch, dass wir mit unserer Technologie und mit unserem Kapital, nicht mit höchsten Kosten, noch die letzten Effizienzgrade bei uns erreichen, sondern dass wir den Menschen in Lateinamerika eine wirtschaftliche Perspektive geben, die nicht heißt, Regenwald brandroden, sondern Regenwald aufforsten, damit die grüne Lunge der Welt erhalten bleibt und zugleich die Investitionen dort einen viel höheren Wirkungsgrad haben als bei uns. Also international Klimaschutz angehen.
Und dafür haben wir ein Instrument, und das ist ein CO2-Handel. Unser CO2-Zertifikatehandel. Also CO2 einen Preis geben. Eine Knappheit über den Marktmechanismus organisieren lassen. Nichts hat sich in der Geschichte historisch und auch international als erfolgreicher herausgestellt, mit Knappheiten umzugehen, als das Koordinierungsinstrument Markt. Also stellen wir doch die Marktkräfte in den Dienst des Klimaschutzes und der Ökologie. Und man kann an der Stelle, wo es am Günstigsten und Leichtesten ist, zuerst CO2 einsparen und die großen Aufgaben, die werden dann nach und nach mit steigendem Preis immer wirtschaftlicher werden. Das wäre ein Mechanismus, der vor allen Dingen den Erfindergeist, die Innovationskraft anregt, denn wir wissen eben nicht am grünen Tisch heute schon, welche Technologien 2035 zur Verfügung stehen. Ich weiß nur eins: Heute können wir ermöglichen, dass wir sie im Jahr 2035 haben, und dafür brauchen wir heute einen Mechanismus, der das Wissen in der Gesellschaft mobilisiert, statt nur einseitig politische Vorgaben zu machen, die sich auf das Wissen von heute beziehen. Wettbewerb ist der beste Klimaschützer, liebe Freundinnen und Freunde.
Meinetwegen führen wir das auch erst in Deutschland vor anderen ein. Wir sind jetzt ein Jahr vor der Bundestagswahl. Ich habe es gerade schon angedeutet, das wird eine Richtungswahl werden. Es geht um die Frage, Schulden oder Solidität. Es geht um die Frage, gelenkte Staatswirtschaft oder Soziale Marktwirtschaft. Es geht um die Frage, Freiheit und Entfesseln des Landes oder immer neue Anmaßungen der Politik. Auch in das Leben der Menschen einzugreifen,. ist eine Richtungsentscheidung. Und manche glauben, dass diese Richtungsentscheidung im Grunde nur noch stattfindet zwischen Schwarz-Grün und Grün-Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün. Das kann für freiheitsliebende Menschen keine Verheißung sein. Sondern ganz im Gegenteil, ich glaube, dass den Freien Demokraten eine besondere Verantwortung in diesen Zeiten zuwächst, eine Position jenseits von Schwarz-Grün und Grün-Rot-Rot zu markieren. Auf uns als Freie Demokraten wird es ankommen im nächsten Jahr, dem Land eine Richtung zu eben. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns selbst darüber klarwerden: Was ist unser Ziel für das nächste Jahr? Und ich glaube, wir sollten uns ein ehrgeiziges Ziel setzen. Ich möchte, dass wir uns das Ziel setzen, dass im nächsten Jahr die Freien Demokraten gebraucht werden, um eine Mehrheit im Deutschen Bundestag zu bilden. Wir müssen so stark wieder werden, dass wir mitentscheiden können, über die Richtung, die dieses Land nimmt. Wir sind eine eigenständige Partei.
Wir sind eine eigenständige Partei, aber wir haben einen inhaltlichen Gestaltungsanspruch. Wir regieren mit CDU, mit SPD, mit Grünen. Das ist für uns eine Frage der politischen Inhalte. Aber es gilt auch eins, wir sind bereit zur Übernahme von Verantwortung. Aber wir koalieren nicht mit der Linkspartei und mit der AfD kann es niemals und nirgendwo eine Form des Zusammenwirkens geben.
Aber ansonsten schauen wir, was passiert. Ich möchte, dass wir diesem Land eine Richtung geben und ich will das auch ganz persönlich mit meiner Arbeit als Parteivorsitzender hier heute mal verbinden. Mein persönliches Ziel, als Vorsitzender der FDP, ist nicht auf Platz zu spielen. Wir spielen, wenn es nach mir geht, auf Sieg. Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, liebe Freundinnen und Freunde, jeden Morgen, wenn ich aufstehe, und sehe, was Olaf Scholz und Peter Altmaier so machen, habe ich neue Motivation zu sagen, wir wollen im nächsten Jahr dafür sorgen, dass eine andere Wirtschafts- und Finanzpolitik und insgesamt eine zukunftsorientierte Politik in unserem Land gemacht wird. Jeden Morgen ist das mein Gefühl.
Und das ist mein Ziel als Vorsitzender. Jetzt wird ja auch im NRW-Kommunalwahlkampf, ich weiß das doch, da wird immer gesagt, ja, wollt ihr jetzt doch regieren? Das ewige Jamaika. Kein Interview kommt aus ohne Jamaika. Und immer so die Frage: Ja, haben Sie es endlich eingesehen? Geben Sie endlich zu, dass es ein Fehler war? Und ich muss ehrlich sagen, ich hab die Frage jetzt unendlich oft beantwortet und die Antwort ist noch immer gleich: Nein, ich sehe es nicht als Fehler.
Aber wenn wir unter uns mal ganz offen sind, ein paar Dinge würden wir schon anders machen als beim letzten Jamaika. Ich glaube, 14 Tage warten, wäre besser gewesen als vier Wochen. Und ich würde auch den speziellen Jamaika-Abend etwas anders gestalten.
Moment, ihr wisst ja noch nicht wie. Also nicht, dass ihr jetzt den Zwischenapplaus gleich bereut. Wie würde ich den gestalten? Wir saßen ja seinerzeit zusammen in der Verhandlungsdelegation und sagten: Nein, es geht nicht. Und ich würde es heute etwas anders machen. Ich würde heute an der gleichen Stelle, zum gleichen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gehen, nur ich würde dann sagen, es gibt fünf große Punkte: Solidaritätszuschlag, Digitalministerium, Bildungsreform, Einwanderungsgesetz, andere Energiepolitik. Da kommen wir nicht zusammen. Und bei den fünf großen Punkten haben wir kein Einvernehmen, weil wir wollen jedenfalls dies, das, jenes. Und dann würde ich sagen, deshalb brauchen wir eine zweitätige Denkpause, ob das hier überhaupt noch Sinn macht. Dann hätte nämlich zwei Tage die deutsche Öffentlichkeit über die Forderungen der FDP diskutieren können. Entweder wären dann die anderen eingelenkt und wir hätten wenigstens drei bekommen oder die deutsche Bevölkerung hätte gewusst, warum wir es verlassen. Denn wenn ich mir eins nicht habe vorstellen können, ist, dass einem die Kommunikation über eine solche politische Entscheidung so von den Mitbewerbern aus der Hand genommen worden ist. Und das würde ich deshalb anders machen. Und würde Deutschland sprechen lassen über die Punkte, warum wir ausgestiegen sind.
Und ich weiß, die Zeit tat jetzt vielen gut. Jetzt weiß ich, muss ich mich auf viele längere Gespräche mit Marco Buschmann einstellen, der dann sagt: Mensch, du kannst doch nicht die Verhandlungstaktik für das nächste Mal schon auf dem Bundesparteitag verraten. Aber ich glaube, beim nächsten Mal wird das ohnehin ganz anders sein, weil die handelnden Personen sich verändert haben werden. Ich bin heute ja der dienstälteste, amtierende Parteivorsitzende in Deutschland. Wie ihr wisst, alles andere hat sich verändert. Neue Kräfte sind am Tisch und deshalb bin ich optimistisch, dass auch die Verhandlungen anders ablaufen werden und wir so einen Griff nicht brauchen werden.
Ein Jahr vor der Bundestagswahl, liebe Freundinnen und Freunde, wir als Freie Demokraten, ein Jahr vor der Wahl, wir haben heute Personalentscheidungen zu treffen. Da ist zunächst unser hochgeschätzter Freund und Kollege Dr. Herrmann Otto Solms. Der mit diesem Parteitag sein Amt als Bundesschatzmeister aufgeben wird. E wird aber gleich noch hier vorne sprechen, deshalb will ich in diesem Moment, verehrter Herr Dr. Solms, zu Ihnen noch nichts sagen. Es ist unser Freund Frank Sitta, der entschieden hat, nicht mehr für den Deutschen Bundestag zu kandidieren, der beruflich etwas anderes machen will. Und lieber Frank, das ist aller Ehren wert zu sagen, man will seinem Leben eine andere Richtung geben. Wir schätzen dich im Präsidium, wir schätzen deine Arbeit in Sachsen-Anhalt. Ich erinnere mich an einen Landtagswahlkampf, den wir mit dir als Spitzenkandidat bestritten haben, bei den Erststimmen 5,1 Prozent, bei den wichtigen Zweitstimmen leider nur 4,9, da sieht man, wie wichtig Bildung in unserem Land ist. Es hat leider da knapp nicht geklappt. Aber du hast im Deutschen Bundestag für den wichtigen Bereich der Infrastrukturpolitik, der Energiepolitik, der Umweltpolitik Verantwortung. Ich danke dir für die Zusammenarbeit im Präsidium, wir wünschen dir alle viel Glück und Erfolg für das, was du dir nach der Politik vornimmst und freuen uns auf ein weiteres Jahr bis zur Bundestagswahl mit dir auf die Zusammenarbeit in der Bundestagsfraktion.
Katja Suding hat ebenfalls angekündigt, dass sie nach der Bundestagswahl etwas Anderes machen will, sie lässt ihre Ämter auslaufen, das heißt, sie wird auch nach dem heutigen Parteitag bis zum nächsten im Mai 2021 ja noch unsere Vizevorsitzende sein, aber trotzdem kann man eine solche Entscheidung nicht hier einfach ohne Kommentar vorbeiziehen lassen. Katja, du hast ja eine ganz besondere Rolle für uns. Du warst nicht nur 2011 in einer schwierigen Situation, sondern auch 2015, hast die Freien Demokraten in die Bürgerschaft in Hamburg geführt. Und wenn wir uns erinnern, 2015, wir haben gerade beim Dreikönigstreffen unser neues Leitbild vorgestellt, „den Einzelnen stark machen“ und nicht immer nur den Staat. Und du warst dann die erste, die in Hamburg für die Freien Demokraten nach unserer Neuaufstellung, einen Wahlerfolg erzielt hast. Damit warst du für uns die Eisbrecherin, zum ersten Mal wieder ein Wahlerfolg, nach unserer Niederlage von 2013. Und damit, liebe Katja, hast du dir in der Geschichte dieser Partei, einen bleibenden Platz erarbeitet.
Ich freue mich, dass wir so kollegial und freundschaftlich jetzt auch im Präsidium noch einige Monate weiterarbeiten können und eben auch dann bis zum Ende der Legislaturperiode.
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Jahr vor der Bundestagswahl schauen wir natürlich auch auf die veränderte politische Lage, in der wir sind. Die vergangenen 15 Monate haben die politische Landschaft verändert, haben auch die Anforderungen an die FDP und die Themen, in denen wir Beiträge leisten müssen, verändert. Im Sport ist es der Coach oder Trainer, der eine Mannschaftsaufstellung auch an sich veränderte taktische Gegebenheiten anpassen muss. Das ist niemals im Sport eine Entscheidung gegen eine Person, sondern das ist eine Veränderung des taktischen Spiels. Und deshalb möchte ich den Vorschlag machen, dass wir es genauso machen, weil sich die Lage verändert hat, unsere Teamaufstellung zu verändern. Ich habe darüber mit Linda Teuteberg im Juli gesprochen. Über meine Absicht, die Teamaufstellung der Freien Demokraten zu verändern. Und ich habe Linda angeboten, an anderer Stelle im Präsidium eine wichtige Rolle weiter zu spielen, weil ich sie für ihre Arbeit schätze. Dann hat es einige Wochen des Austauschs gebraucht und sie hat sich am Ende dafür entschieden, einen anderen politischen Weg zu gehen, was ich bedaure. Ich habe während der Zeit des Nachdenkens den Satz gesagt, Linda Teuteberg ist ein starker Teil unseres Teams. Und genau dieser Satz gilt weiter: Linda Teuteberg ist ein starker Teil unseres Teams!
Und auch, liebe Linda, wenn wir jetzt im Präsidium nicht, zumindest zunächst nicht, weiter zusammenarbeiten, dann tun wir es anderer Stelle im Bundesvorstand und in der Bundestagsfraktion. Ich schätze dich, damals habe ich dich vorgeschlagen, weil du in der Migrationspolitik wie keine Zweite vermocht hast, Empathie einerseits mit der Notwendigkeit der Kontrolle zu verbinden. Also Empathie und Konsequenz. Und genau dieses Feld wird jetzt auch weiter besondere Bedeutung haben. Ich schätze Linda Teuteberg für das, was sie in der vergangenen Zeit für uns getan hat. Ich denke gerne daran, Linda, dass wir in den vergangenen 15 Monaten ungefähr 300 Mal, ich habe mal so grob überschlagen, ungefähr 300 Mal den Tag zusammen begonnen haben. Ich spreche über unser tägliches morgendliches Telefonat zur politischen Lage. Nicht, was ihr jetzt denkt. Ich danke dir, Linda, dafür, wie du dich eingebracht hast in der Parteistrukturkommission. Ich danke dir für deinen Einsatz für unsere Zielvereinbarung, mit der wir die Diversität in unserer Partei stärken wollen. Ich erinnere mich daran, wie wir gemeinsam Wahlkämpfe bestritten haben, zum Beispiel in Ostdeutschland und viele Veranstaltungen im Tandem bestritten haben. Ich danke dir also für die Arbeit, die du für uns als Generalsekretärin geleistet hast, wir alle danken dir dafür und ich freue mich sehr auf die Fortsetzung an anderer Stelle. Pandemiebedingt können wir jetzt den Genannten keine Blumen überreichen, die werden ins Büro geschickt, um allen Hygienevorschriften auch genügen zu können.
Ich freue mich, liebe Freundinnen und Freunde, dass ich bei diesem Parteitag heute auch neue Personalvorschläge sehe. Ich freue mich, dass aus Hessen Bettina Stark-Watzinger für das Präsidium der Freien Demokratischen Partei kandidiert, eine starke Wirtschaftsfachfrau und unsere parlamentarische Geschäftsführerin in der Bundestagsfraktion ist sie. Ich freue mich, dass aus Sachsen-Anhalt kandidiert, Dr. Lydia Hüskens, die designierte Spitzenkandidatin für die Landtagswahl und gute Bekannte aus der Zusammenarbeit als parlamentarische Geschäftsführerin seinerzeit.
Die Freien Demokraten, wir sind eine Partei, die offen auch ist für Quereinsteiger. Vor einiger Zeit ist eine Persönlichkeit zu uns gekommen, die schon in früheren Zeiten sich als sozialliberal erklärt hat. Übrigens auch zu den Zeiten, als es in dem eigenen Laden nicht à la mode war. Harald Christ, der lange ein liberaler Sozialdemokrat war, ist jetzt den nächsten Schritt seiner Persönlichkeitsentwicklung gegangen und ist nun ein Full-Flavor-Liberaler geworden, als Mitglied der Freien Demokraten. Harald Christ hat eine beeindruckende Biografie. Er kommt aus einer Arbeiterfamilie, mittlerer Bildungsabschluss, Berufsausbildung, und hat sich mit eigenem Fleiß und Tatkraft bis in Spitzenpositionen in der Wirtschaft und in die wirtschaftliche Unabhängigkeit gearbeitet. Der steht für ein soziales Aufstiegsversprechen, wie wir es uns für mehr Menschen in unserem Land wünschen. Er steht für ein Leistungsethos, das wie er selbst früher bei der SPD zu Hause war und das heute bei den Freien Demokraten eine neue Heimat gefunden hat.
Und ich möchte Ihnen ein Jahr vor der Bundestagswahl vorschlagen als neuen Generalsekretär, unseren Freund Dr. Volker Wissing. Jetzt geht es darum, dass wir in der Wirtschafts- und Finanzpolitik unsere Substanz unterstreichen und das kann er, weil er nicht nur als Finanzexperte im Bundestag Substanz gezeigt hat, sondern auch in der Praxis als Wirtschaftsminister von Rheinland-Pfalz. Der Volker Wissing steht dafür, dass die Freien Demokraten regieren wollen und regieren können. Und er hat es seinerzeit 2016 vermocht, die FDP aus der doppelten Apo im Bund und in Rheinland-Pfalz in Regierungsfunktion zu führen. Der kann Wahlkampf, der kann Regierung, der kann Liberalismus, Volker Wissing werde ich gleich vorschlagen als neuen Generalsekretär der Freien Demokraten in diesen Zeiten.
Liebe Freunde, mein Schlussgedanke: Man liest jetzt gelegentlich von der Krise der FDP. Ja, sicher, wir haben keine guten Umfragen. Das gab es schon mal. Also Wolfgang Gerhard nickt, das Auf und Ab in der Demoskopie, das gab es und gibt es. Aber ist das eine Krise? Ich finde, Krise ist, wenn man nicht weiß, wofür man steht. Das ist Krise. Krise ist nicht schlechte Umfrage. An der kann man jeden Tag etwas ändern. Krise ist, wenn du nicht weißt, wofür du stehst, wenn du nicht weißt, wer du bist, wenn du nicht weiß, was du willst. Wissen wir nicht, was wir wollen und wer wir sind? Haben wir deshalb eine Krise? Ich sage, nein, wir haben keine Krise, denn wir wissen, was wir wollen und wir wissen, worum es geht. Wenn man uns fragt: Worum geht’s euch? Dann ist die Antwort doch: Uns geht es um dich! Uns geht es um jeden Einzelnen und jede Einzelne. Und ihr Recht im Hier und Jetzt glücklich zu werden. Das eigene Leben so zu führen, wie man es selbst will. Wir trauen dem Einzelnen was zu, wir wollen den einzelnen Menschen stärken. Und das unterscheidet uns von allen anderen politischen Farben in Deutschland, genau diese Orientierung, an der Würde und Freiheit eines jeden einzelnen Menschen, weil ein Leben in Würde kann man nicht unter fremden Machtdiktat führen, deshalb sind wir Freie Demokraten. Das ist der Grund.
Und genau diese Freiheit, liebe Freundinnen und Freunde, gerät doch gegenwärtig unter Druck. Die Symptome sind doch sichtbar. Der Weg in die gelenkte Staatswirtschaft mit Verstaatlichung, der Einschränkung der Verfügungsmöglichkeiten über das Eigentum, wie zum Beispiel beim Mietendeckel. Freiheit und Eigentum sind aber Bürgerrechte für uns, deshalb sind wir Freie Demokraten und unterscheiden uns von anderen.
Freiheit gerät doch unter Druck und zwar nicht nur vom Staat, sondern über die Pandemie hat sich doch der Silicon-Valley-Plattformkapitalismus noch zusätzliche Machtpotenziale erkämpft. Und zwar zulasten auch neuer Geschäftsmodelle. Wie viele Start-ups haben während der Pandemie erklärt, dass Google seine Marktmacht selbstherrlich nutzt, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Da brauchen wir doch einen Staat als Schiedsrichter, der genau die Chancen der Neueinsteiger, Außenseiter und Newcomer verteidigt, ihre Freiheit verteidigt. Und deshalb sind wir Freie Demokraten, weil wir das wollen. Das ist Ausdruck der Sozialen Marktwirtschaft, den fairen Wettbewerb zu verteidigen.
International: Längst sind wir doch in einem Systemwettbewerb geraten, mit autoritären Gesellschaften. In Russland gibt es jetzt Giftanschläge. Wir sind in einen Wettbewerb geraten mit der Volksrepublik China. Die Friedrich-Naumann-Stiftung musste in Hongkong ihr Büro schließen, weil wir uns auch in Deutschland einsetzen für die Rechte der demokratischen Opposition in Hongkong. Ein chinesischer Außenminister hat unlängst bei einem Europabesuch gesagt, wer China kritisiert, der müsse einen Preis zahlen. Da kann ich nur sagen: Wir zahlen diesen Preis gerne, weil Freiheit und Menschenrechte für uns weltweit unteilbar sind.
Deshalb sind wir Freie Demokraten! Und auch sonst, auch bei uns ist die Sensibilität für die eigenen Freiheitsrechte in der Erosion begriffen. Ich erinnere mich an eine Fernsehsendung, an dem Tag, als die 800-Quadratmeter-Regel veröffentlicht worden ist. Ihr erinnert euch? 800 Quadratmeter, bis dahin darf ein Geschäft öffnen. Und darüber nicht. Und da war ich in dieser Sendung und sagte, na ja, 790 Quadratmeter oder 810, wo ist der Unterschied? Also ist doch nicht die Ladenfläche entscheidend, sondern der Abstand zwischen den Menschen. Also zehn Leute auf 100 Quadratmeter ist gefährlicher als 5 auf 5.000. Also muss man sich daran doch orientieren. Es geht ja auch um eine Frage der Berufsfreiheit und der wirtschaftlichen Freiheit. Das muss ja verhältnismäßig sein, da muss es ja einen guten Grund für geben. Während der Sendung war zugeschaltet der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio, der dann sagte, ja, also was der FDP-Mann da sage, das sei ja richtig. So und dann bin ich nach Hause gefahren, nach der Sendung, ich glaube, es war Maybrit Illner, und hab dann während der Fahrt meine E-Mails, die Zuschauerreaktionen gecheckt. Ich war davon ausgegangen, jetzt bekommst du E-Mails: ,Herr Lindner, vielen Dank, dass Sie sich für unsere Bürgerrechte einsetzen.‘ Ich hatte vermutet, dass bei Fleurop schon viele Bestellungen eingegangen waren für die Dankeskränze, die mir ins Büro geschickt werden. Ich hab sogar vermutet, dass am nächsten Tag Gerhart Rudolf Baum mich lobt, einmal im Leben Lob von Gerhart Rudolf Baum für Bürgerrechte.
Wie naiv. Wie naiv! Nichts war. Nichts war. Die E-Mails waren: ,Seien Sie still!‘ und ,Was soll das immer mit dieser Opposition?‘ oder ,Lassen Sie die Regierung mal machen.‘ und ,Warum sollen die Geschäfte öffnen?‘ und ,Warum soll es überhaupt Konsum geben, die Leute haben doch genug Krempel zu Hause.‘ und ,Seien Sie mal still.‘ Das war so! Liebe Freundinnen und Freunde, Spaß bei Seite, das sagt etwas über die Mentalität aus. Wenn eine Gesellschaft Regierungshandeln nicht hinterfragt, wenn nicht geprüft wird, ob die Einschränkung von Freiheitsrechten verhältnismäßig ist, das ist doch nicht mehr das souveräne, stolze Bürgerrecht der Bundesrepublik Deutschland, sondern das ist doch der Einstieg in eine Untertan-Mentalität, die wir an Stellen beobachten.
Und das wollen wir nicht! Sondern im Gegenteil. Mag es momentan so sein, dass der Typus des gestrengen Landesvaters à la Söder populär ist, mag es so sein, dass eine Mehrheit der Deutschen keinen Applaus zollt, wenn man sich für ihre bürgerlichen Freiheitsrechte einsetzt. Dennoch müssen wir es tun. Wir sind Freie Demokraten, wir wissen, es ist nicht der Staat, der uns gnädigerweise Freiheit gewährt. Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die gnädigerweise dem Staat Einschränkungen ihrer Freiheit erlauben, so lange und so weit und nur so lange und so weit es erforderlich ist. Deshalb sind wir Freie Demokraten. Weil für dieses Bürgerrecht machen wir uns stark.“
Und wenn man uns also fragt, liebe Freundinnen und Freunde, wenn man uns fragt, wer seid ihr? Wer seid ihr? Dann können wir antworten, wir sind Freie Demokraten, in den beiden Worten steckt bereits unser gesamter Anspruch und zugleich ist das auch ein Auftrag für uns. Vielen Dank!“