LINDNER-Interview: Unser Land braucht einen neuen Agenda-Moment

Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner MdB gab der „Rheinischen Post“ (Samstag-Ausgabe) und „rp-online.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Jan Drebes und Birgit Marschall:

Frage: Herr Minister, die Nerven in der Ampel sind angespannt, die Bundesregierung angezählt. In weniger als drei Wochen muss die Koalition ein Loch in zweistelliger Milliardenhöhe im Bundeshaushalt stopfen, und niemand weiß genau wie. Schlafen Sie noch gut?

Lindner: Mir geht es gut. Ich bin gesund, tatendurstig und voller Ideen.

Frage: Es setzt Ihnen nicht zu, dass Sie für viele der Buhmann sind, weil Sie so vehement auf der Schuldenbremse beharren und Einsparungen fordern?

Lindner: Ich bin einmal in die Politik gegangen, weil ich Überzeugungen habe. Deshalb halte ich Konflikte aus. Mir geht es um Respekt vor den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Ich will dafür sorgen, dass deren Geld in bessere Bildung, die Modernisierung der Infrastruktur und in die Stärkung unserer inneren und äußeren Sicherheit fließt. Zugleich will ich die Bürgerinnen und Bürger bei der Steuer entlasten und die Neuverschuldung begrenzen. So ein Umbau des Haushalts geht nicht von allein, sondern muss hart erarbeitet werden.

Frage: Sie können den Steuerzahlern hier zusichern, dass es einen Bundeshaushalt ohne das Lösen der Schuldenbremse geben wird?

Lindner: Das sage ich zu. Denn Schulden sind ja auch eine Belastung des zukünftigen Steuerzahlers in der Form der Zinsen. Ich setze Steuermittel lieber gleich zukunftsweisend ein. Deshalb müssen wir Schwerpunkte im Haushalt verschieben – vom Konsum hin zu zukunftsweisenden und investiven Ausgaben. Beispielsweise möchte ich Mittel für Digitalisierung, Straßen und Brücken und Forschung dadurch gewinnen, dass wir unser internationales Engagement prüfen, illegale Einwanderung in den Sozialstaat zurückdrängen und uns die Kostensteigerung beim Bürgergeld ansehen. Ich möchte nicht länger mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger Arbeitslosigkeit finanzieren. Sondern dafür sorgen, dass mehr Menschen in Arbeit kommen.

Frage: Wird es beim Bürgergeld Gesetzesänderungen geben müssen?

Lindner: Die Erwartungen an das Bürgergeld haben sich angesichts der praktischen Erfahrungen nicht alle erfüllt. Deshalb muss nach meiner Überzeugung nachgearbeitet werden. Manche scheinen das Bürgergeld als eine Form des bedingungslosen Grundeinkommens missverstanden zu haben. So ist es nicht gemeint. Man müsste es eigentlich umbenennen in „Vom-Bürger-Geld“, um zu verdeutlichen, wer das bezahlt. Kurz gesagt, wir brauchen eine stärker fordernde Arbeitsmarktpolitik. Über die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls will ich künftig auch verstärkt den Sozialleistungsbetrug angehen.

Frage: Haben Sie Ihre Änderungspläne beim Bürgergeld schon mit der SPD abgesprochen und welche Einsparungen erhoffen Sie sich konkret davon?

Lindner: Es gibt bei den Koalitionspartnern eine Bereitschaft zum Gespräch. Darüber bin ich dankbar. Denn die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger empfindet es als ungerecht, wenn der Unterschied zwischen Arbeiten und Nicht-Arbeiten zu gering ist. Wer soziale Leistungen in Anspruch nimmt, sollte sich bemühen, wieder in Arbeit zu kommen. Erst recht darf es keine Arrangements aus Bürgergeld und Schwarzarbeit geben. Die Mehrheit erwartet außerdem, dass wir die illegale Einwanderung in unseren Sozialstaat unterbinden und die Mittel stattdessen für Investitionen in die Zukunft unseres Landes nutzen.

Frage: Müssen sich die Bürger auf den Abbau von Steuervergünstigungen einstellen, etwa bei Dienstwagen oder der Pendlerpauschale?

Lindner: Beim Dienstwagen handelt es sich um eine Steuervereinfachung, da ist nichts zu holen. Und bei der Entfernungspauschale würden wir die arbeitende Bevölkerung treffen, das schließe ich aus. Wir haben unverändert eine Konsum- und Investitionszurückhaltung, die die Konjunktur dämpft. Ich will daher mit dem Abbau der kalten Progression verhindern, dass Gehaltserhöhungen, die nur dem Inflationsausgleich dienen, zu einer Erhöhung der Steuerlast führen.

Frage: Wird es in diesem Jahr einen Nachtragshaushalt geben, weil zum Beispiel die Ausgaben für Soziales und Energie höher sein werden als geplant?

Lindner: Wir schauen uns die Entwicklung von Steuereinnahmen und Staatsausgaben an. Wenn die sich zu stark auseinander entwickeln, bin ich zum Handeln verpflichtet. Das Wirtschaftsministerium hat beispielsweise mitgeteilt, dass der Ökostrom neun Milliarden Euro teurer sein wird. Sollten wir handeln müssen, so wäre einerseits eine Haushaltssperre denkbar. Die beträfe aber auch Investitionen und würde die Wachstumsschwäche unserer Wirtschaft verschärfen. Andererseits wäre es bei einem Nachtragshaushalt möglich, die konjunkturbedingt erlaubte Kreditaufnahme neu zu berechnen. Die Regierung Wüst in Nordrhein-Westfalen hat das gerade getan, das behalte ich mir auch vor. Ich bin ein Verfechter der Schuldenbremse, aber inklusive der ökonomisch klugen Flexibilität, die sie erlaubt.

Frage: Der Kanzler ist beim G7-Gipfel, der Vize-Kanzler fliegt nächste Woche nach China. Ist der Zeitplan für einen Kabinettsbeschluss am 3. Juli zum Haushalt realistisch?

Lindner: Der 3. Juli wäre der übliche Termin. Der Bundeskanzler hat ihn auch bestätigt. Ein Haushaltsentwurf vor der Sommerpause wäre gut. In diesem Jahr muss die Aufstellung des Haushalts aber verbunden werden mit Maßnahmen zur Überwindung der Wachstumsschwäche der Wirtschaft. Diese Wirtschaftswende braucht Ideen für Arbeitsmarkt, Bürokratieabbau, wettbewerbsfähige Energiepreise und steuerliche Impulse. Unser Land braucht einen neuen Agenda-Moment. Das verlangt uns außergewöhnlich viel ab.

Frage: Wollen Sie denn den 3. Juli als Termin einhalten?

Lindner: Schon. Aber in der Abwägung ist mir ein präzise konzipiertes und gutes Ergebnis wichtiger als ein schnelles.

Frage: Der Industrieverband BDI fordert ein neues kreditfinanziertes Sondervermögen für mehr Investitionen in die Infrastruktur. Wie bewerten Sie das?

Lindner: Das brauchen wir nicht. Wir investieren bereits auf Rekordniveau. Es wäre sogar noch mehr möglich, wenn wir den Haushalt Schritt für Schritt zu neuen, zukunftsweisenden Prioritäten führen. Zusätzliche Schulden sind nicht das Mittel der Wahl. Zum einen müssten wir darauf Zinsen zahlen, die andere Ausgaben verhindern. Zum anderen haben wir europäische Fiskalregeln, die wir einhalten müssen. Es ist für die Stabilität des Euro von überragender Bedeutung, dass Deutschland Stabilitätsanker bleibt.

Frage: Hilft der Plan des FDP-Verkehrsministers für einen Infrastrukturfonds mit Privatkapital der Ampel aus der Haushaltsnot?

Lindner: Nein, dafür ist er nicht gedacht. Übrigens haben wir keine Haushaltsnotlage. Wir haben fast eine Billion Euro Staatseinnahmen. Das Problem ist, dass die Anforderungen an den Staat schneller wachsen als die Menschen Wohlstand erwirtschaften können. Beim Infrastrukturfonds geht es um die Prüfung, ob und wie wir für die vielen Milliarden Euro bei Kapitalsammelstellen wie Versicherungen nutzen können, um Start-Ups, neue Technologien und öffentliche Infrastruktur zu finanzieren. Dafür wollen wir die Bedingungen am Finanzplatz Deutschland noch in diesem Jahr deutlich liberalisieren.

Frage: Sie machen also ernst und verlassen die Koalition, wenn SPD und Grüne ihr Nein beim Schuldenmachen nicht akzeptieren?

Lindner: Wir haben einen Koalitionsvertrag. Zentrale Bedingung der FDP für den Eintritt in die Regierung Scholz war, dass es keine Steuererhöhungen und dass es nach den enormen Corona-Schulden eine Rückkehr zur Schuldenbremse gibt. Wir kündigen diesen Koalitionsvertrag nicht, andere stellen ihn fortwährend in Frage …

Frage: … zum Beispiel weil die Schuldenbremse bei Corona auch ausgesetzt worden ist und sich mit dem Ukraine-Krieg eine neue Notlage ergeben hat?

Lindner: Das ist nicht überzeugend. Der Krieg in der Ukraine begründet nämlich keine Notlage, sondern die neue geopolitische Realität. Wir werden über viele Jahre oder Jahrzehnte damit umgehend müssen. Das geht nicht auf Pump. Zudem arbeiten wir daran, wie wir die Zinsen aus dem eingefrorenen russischen Vermögen für die Ukraine nutzen können. Hier geht es um etwa 47 Milliarden Euro. Das wird natürlich den Bundeshaushalt entlasten, weil bisher bilateral gewährte Hilfen über das neue Instrument finanziert werden können.

Frage: Durch den Ukraine-Krieg ist unser Aufrüstungsbedarf aber enorm gewachsen. Wie finanzieren wir das?

Lindner: Es ist völlig klar, dass die Bundeswehr und die Sicherheitsbehörden gestärkt werden müssen. Was notwendig ist, wird getan. Davon muss mich niemand überzeugen. Das bilden wir im Haushalt und in der Finanzplanung ab.

Frage: Es wird also von Ihnen eine Zusage für die sieben Milliarden Euro geben, die Verteidigungsminister Pistorius zusätzlich angemeldet hat für die Bundeswehr?

Lindner: In den letzten mindestens 25 Jahren hat kein Finanzminister der Bundeswehr mehr ermöglicht als ich. Aber Minister melden immer das maximal Wünschbare an. Da ist Herr Pistorius keine Ausnahme. Als Finanzminister verhandele ich dann, was sachlich notwendig und ökonomisch sinnvoll ist. Man darf nicht vergessen, dass unsere wirtschaftliche Stabilität und unsere fiskalischen Reserven in Zeiten potentieller Krisen selbst Faktoren eines umfassenden Sicherheitsbegriffs sind.

Frage: Wenn die Einigung zum Haushalt nicht klappt, sollte der Kanzler dann die Vertrauensfrage stellen?

Lindner: Das sind spielerische Fragen. Wir tragen Verantwortung für dieses Land. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten ein Aufbruchssignal.

Frage: Könnte ein Ampel-Ende samt Neuwahlen nicht das Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag bedeuten?

Lindner: Nein, aber die Freien Demokraten haben vor nichts Angst, erst recht nicht vor den Wählerinnen und Wählern. Wahlen muss man fürchten, wenn man seine Überzeugungen verraten und seine Versprechen gebrochen hat. Bei uns kann man jeden Tag sehen, dass wir dafür kämpfen.

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