LINDNER-Interview: Schwamm drüber

Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner MdB gab dem „Münchner Merkur“ (Mittwoch-Ausgabe) und „Merkur.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Christian Deutschländer:

Frage: Saskia Esken verspottet Ihren „Herbst der Entscheidungen“. Sie seien eine verzweifelte „Spielernatur“. Zocker Lindner: Ist das Lob oder Schmähung?

Lindner: Solche Äußerungen können die Bürger selbst einordnen. Mir geht es um die Sache. Wir haben drei Aufgaben. Die wirtschaftliche Entwicklung ist inakzeptabel – deshalb brauchen wir jetzt eine Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit, zum Beispiel bei Steuern, Bürokratieabbau und Energiepreisen. Wir müssen Konsequenz und Kontrolle bei der Migration stärken. Am besten in einem Konsens aller Parteien. Und natürlich müssen wir einen Bundeshaushalt beschließen, der in Bildung, Sicherheitsbehörden, Bundeswehr und Infrastruktur investiert, die Steuerlast der Bürger senkt und dennoch die Schuldenbremse einhält.

Frage: Reden Sie Klartext: Entweder die Ampel schafft das, oder sie ist weg?

Lindner: Wenn diese Aufgaben nicht erledigt werden, würde die Regierung ihrer Verantwortung nicht gerecht. Ohne Haushalt gäbe es ohnehin keine Regierung.

Frage: Die SPD ist auf der Zinne, weil der fertig ausgehandelte Entwurf zur Rentenreform von der FDP-Fraktion zur Disposition gestellt wird.

Lindner: Das parlamentarische Verfahren hat gerade erst begonnen. Es ist normal, dass da diskutiert wird.

Frage: Fraktionsmanager Johannes Vogel widerspricht dem Gesamtpaket deutlich. Mit Ihrem Einverständnis – oder handelt er auf eigene Rechnung?

Lindner: Als Freie Demokraten sind wir alle überzeugt, dass wir weitere Rentenreformen brauchen, damit im nächsten Jahrzehnt die Rentenbeiträge nicht durch die Decke gehen. Deshalb müssen auf das jetzige Rentenpaket II die Pakete III, IV und V folgen. Worin wir uns lediglich unterscheiden, das ist die Erwartung, was in dieser Wahlperiode politisch möglich ist. Ich fürchte, dass viel mehr nicht erreichbar ist als die Kombination einer Haltelinie von 48 Prozent Rentenniveau mit dem Einstieg in den Aufbau eines Kapitalstocks in der Rentenversicherung.

Frage: Hat das Thema Potenzial, die ganze Koalition zu sprengen?

Lindner: Es gibt genug Zeit, um sorgfältig zu beraten und vor allem um die Steigerung der Beiträge in den dreißiger Jahren abzuwenden.

Frage: Sie haben wohl die kräftige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen gestoppt, vorerst jedenfalls. Warum?

Lindner: Ich sehe gegenüber dem Ausgleich der kalten Progression bei der Lohn- und Einkommensteuer ein Ungleichgewicht. Die Mehrbelastung durch eine höhere Beitragsbemessungsgrenze wird auf der Basis der Gehaltsentwicklung automatisch festgelegt. Die Steuerentlastung wird dagegen nur auf Basis der Inflation und in einem immer umstrittenen Gesetzgebungsverfahren beschlossen. Das sollten wir besprechen. Übrigens auch deshalb, weil die Verhinderung der Steuererhöhungen durch die kalte Progression dieses Jahr schon wieder in Frage gestellt wird.

Frage: Also ein Junktim – praktisch eine Drohung.

Lindner: Nein. Aber eine Frage der Gerechtigkeit: Wenn Sozialleistungen automatisch erhöht werden, sollte dann für die arbeitende Bevölkerung nicht auch das Steuersystem automatisch angepasst werden?

Frage: Schwarz-grüne Bundesländer legen Ideen vor, um die Asylpolitik zu verschärfen. Trauen Sie denen?

Lindner: Wir müssen die Weltoffenheit unseres Landes dadurch verteidigen, dass wir Kontrolle bei der Einwanderung sichern. Die Menschen dürfen nicht das Gefühl haben, dass mit Zuwanderung ein Verlust an Sicherheit und Wohlstand verbunden ist. Viele der Vorschläge der Landesregierungen sind sinnvoll, um irreguläre Migration in unseren Sozialstaat zu unterbinden. Wenn die Grünen das im Bund mittragen, rückt ein überparteilicher Konsens in greifbare Nähe.

Frage: Sie wollen ja eigentlich Zurückweisungen an der Grenze. Wir glauben Ihnen nicht, dass die Ampel das je tun wird.

Lindner: Im Zuge eines überparteilichen Konsenses sollten sich alle bewegen. Wenn Demokraten den Erwartungen der Bürger nicht entsprechen, werden sich Menschen Alternativen suchen. Allerdings gibt es offene Rechtsfragen. Der liberale Justizminister hat deshalb einen räumlich begrenzten Test vorgeschlagen. Friedrich Merz hat sich mit einem Test einverstanden erklärt, allerdings zeitlich begrenzt. Da ist doch eine Bewegung sichtbar, die weitere Gespräche rechtfertigt.

Frage: Norwegen ändert den Umgang mit ukrainischen Flüchtlingen, gewährt jenen aus dem Westen der Ukraine keinen generellen Schutz mehr. Sollte auch Deutschland in diese Richtung umschwenken?

Lindner: Für mich ist eher diskussionswürdig, ob wir für die Geflüchteten aus der Ukraine statt des Bürgergelds nicht einen eigenen Schutzstatus schaffen sollten. Der könnte Leistungen auf dem Niveau für Asylbewerber mit dem Verzicht auf ein bürokratisches Verfahren und dem vollen Arbeitsmarktzugang verbinden. Das Ziel wäre, die Integration in den Arbeitsmarkt zu stärken.

Frage: Im Bundestag wird bald ein neuer Anlauf für ein AfD-Verbotsverfahren beraten. Wäre das klug?

Lindner: Nein. Man muss sich demokratisch mit der AfD auseinandersetzen. Man sollte auch deren Wähler nicht pauschal belehren. Zu den menschenverachtenden Ansichten der AfD als Partei ist maximale Distanz nötig. Und AfD und BSW würden die Bundesrepublik isolieren und wirtschaftlich ruinieren mit ihrer Außenpolitik. Aber mit Problemen wie Bevormundung, Bürokratismus, Migration oder ideologischer Klimapolitik dürfen wir die Bürger nicht allein lassen. Da sind Gegenangebote nötig.

Frage: Schauen wir nochmal auf die Ampel. Wenn wir ehrlich zueinander sind, dann hadert ein großer Teil auch Ihrer FDP damit, dass Sie noch immer in der Ampel geblieben sind. Warum fehlt Ihnen der Mut zum Ausstieg?

Lindner: Mehr noch, ein großer Teil der potentiellen Wähler der FDP hadert mit der Koalition. Große inhaltliche Unterschiede vor allem mit den Grünen bringen viel Streit, bevor es Ergebnisse gibt. Ich bedauere, dass wir der Öffentlichkeit diese Vorstellung zumuten müssen. Für die FDP als Partei ist das alles eine Belastung. Aber es ist im Interesse des Landes, Gemeinsamkeiten zu suchen, solange es geht.

Frage: Zu wem im Bündnis haben Sie noch ehrlich Vertrauen?

Lindner: Warum „noch“? Das wirkt so, als lägen die Probleme im Zwischenmenschlichen. Die FDP setzt bekanntlich auf Eigenverantwortung, Freiheit und Leistungsbereitschaft. Das wird in der Koalition bisweilen anders gesehen. Die programmatischen Unterschiede waren immer groß. Diese Regierung ist zustande gekommen, weil Markus Söder nach der Bundestagswahl die Option „Jamaika unter Armin Laschet“ vom Tisch genommen hat.

Frage: Er ist Schuld? Er erzählt das Gegenteil: Die FDP habe die Ampel immer gewollt.

Lindner: Das kann ich dementieren. Mit Armin Laschet habe ich 2017 in einem Monat eine schwarz-gelbe Regierung in NRW verhandelt. 2021 habe ich sogar noch vor der Wahl im Bundestag gesagt, dass Jamaika selbst dann noch ginge, wenn die SPD stärkste Kraft wäre.

Frage: Merz ist nun Unions-Kanzlerkandidat. Wäre Ihnen Söder lieber gewesen?

Lindner: Da habe ich keine Vorliebe.

Frage: Mit wem von beiden schreiben Sie noch ab und zu SMS?

Lindner: Ich habe mit beiden regelmäßig Kontakt.

Frage: Merz sagt über Sie: Ich verstehe ihn nicht mehr. Ist das beidseitig?

Lindner: Er kritisierte ja, dass die FDP zum Beispiel Ideen der Grünen nicht einfach durchwinkt. Zugleich spricht die Union den Grünen aber gleich ganz die Regierungsfähigkeit ab. Vielleicht ist Friedrich Merz einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden? Schwamm drüber.

Frage: Was Sie auch nicht beliebter macht: Sie haben seit 2022 mit der FDP jede Wahl verloren.

Lindner: Ja, die FDP zahlt einen Preis für diese Koalition. Gemeinsam haben wir zwar Vorzeigbares erreicht. Aber der Reputationsverlust der Koalition hängt schon mit einigen grünen Vorhaben zusammen – vom Entwurf des Heizungsgesetzes bis hin zu den Bedenken gegen eine Begrenzung der Migration. Die gute Nachricht ist: Als Freie Demokraten wissen wir, wer wir sind und was wir wollen. In die nächste Bundestagswahl gehen wir als eigenständige Kraft mit unseren Ideen fürs Land.

Frage: Wenn wir nun alle auf den „Herbst der Entscheidungen“ schauen: Wann endet dieser Herbst?

Lindner: Kalendarisch am 21. Dezember. Aber Ihre Frage erweckt den Eindruck, es ginge um Ultimaten. Darum geht es mir nicht. Es geht darum zu zeigen, dass eine Regierung nicht Teil des Problems ist, sondern Teil der Lösung.

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