LINDNER-Interview: Ich kann mich nur entschuldigen
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Main-Echo“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Martin Schwarzkopf.
Frage: Herr Lindner, haben Sie es in den vergangenen Tagen bereut, Berufspolitiker zu sein?
Lindner: Nein, ich liebe das, was ich tue. Aber es sind natürlich auch harte Zeiten damit verbunden, so wie jetzt gerade. Wir müssen um das Vertrauen in die FDP und um das Vertrauen in unseren liberalen Kompass kämpfen. Wir sind als liberale Partei besonders verletzbar, wenn es den Eindruck gibt, wir würden mit völkischen oder rechtsextremen Parteien in irgendeinem Zusammenhang stehen.
Frage: Sie wirkten bei öffentlichen Auftritten zuletzt durchaus angeschlagen, es fehlte die unerschütterliche Selbstgewissheit.
Lindner: Unerschütterliche Selbstgewissheit kann es in einer solchen Situation gar nicht geben. Die FDP ist in eine Falle der AfD geraten. Diese hat eine neue destruktive Taktik angewandt, um die Demokratie, um die politische Kultur insgesamt zu beschädigen. Die AfD stellt Kandidaten auf, die sie dann selbst nicht wählt. Auch ich bin einer Fehleinschätzung unterlegen, was die Ruch und Ehrlosigkeit dieser Partei angeht. Ich hätte mir vorher nicht vorstellen können, wie abschätzig die AfD selbst mit höchsten Staatsämtern in unserer Demokratie umgeht.
Frage: Der Journalist Gabor Steingart schreibt am Dienstag in seinem Newsletter über Sie: „Der FDP-Chef steht noch, aber er wackelt verdächtig. Bei der nächsten Böe, sagen seine Parteifeinde, liegt er flach“. Was halten Sie von dieser Einschätzung?
Lindner: Schauen wir uns die doch noch einmal in vier oder acht Wochen oder auch in einem Jahr noch einmal an.
Frage: Die liberale Institution Gerhart Baum spricht mit Blick auf Ihre Arbeit rund um die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen von „Führungsversagen“. Baum bekundet öffentlich, dass es bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg Ende Februar auch um Ihre Zukunft als FDP-Vorsitzender geht. Lässt Sie das kalt?
Lindner: Gerhart Baum war nie Parteivorsitzender, deshalb hat er auch eine andere Perspektive auf Vorgänge als ich. Regionale Parteigliederungen und Fraktionen unterliegen keiner Weisung vonseiten der Bundespartei. Ich hätte andere Ratschläge gegeben, wenn ich gewusst hätte, wie die AfD agiert. Aber im Nachhinein kann ich nur umgehen mit so einer Situation. Wir haben in Gesprächen erreicht, dass binnen eines Tages Herr Kemmerich (der mit Stimmen der AfD gewählte zwischenzeitliche FDP-Ministerpräsident in Thüringen, Anmerkung der Redaktion) ankündigt, auf sein Amt zu verzichten. Wir haben erreicht, dass die FDP der besten Lösung, einer Neuwahl, den Weg bahnen will, und dass wir klarmachen, dass wir mit der AfD in keinster Weise kooperieren und mit der Linkspartei nicht koalieren. Für uns als FDP hat das Fiasko von Thüringen zu einem noch klareren Blick auf die AfD geführt. Bei der CDU hat das Fiasko von Thüringen zu einer Diskussion geführt, ob man auch tatsächlich nichts mit der AfD und der Linkspartei machen will. Das ist schon ein politischer Unterschied.
Frage: Nicht nur in Hamburg wird gewählt – auch die bayerische Kommunalwahl steht an. Manche Liberale dort finden die aktuelle Situation nicht lustig. Der Spitzenkandidat der FDP in der Spessartstadt Lohr am Main, Peter Sander, sagt zum Beispiel im Main-Echo- Interview: „Der Fall in Thüringen ist sicherlich nicht förderlich für unseren Wahlkampf“. Er hält das Verhalten Ihrer Partei für „ungeschickt“ und „naiv“. Verstehen Sie den Frust der Wahlkämpfer?
Lindner: Ja – aber wie gesagt: Ich bin nicht Mitglied des Thüringer Landtags. Ich kann nur mit der Krise umgehen wie wir alle. Ich kann mich nur namens der FDP insgesamt entschuldigen und kann nur darauf hinweisen, dass wir den Amtsverzicht von Herrn Kemmerich erreicht haben und den Weg in Richtung Neuwahl bewusst vorantreiben werden. Die Fahrlässigkeit und Fehleinschätzung bezüglich der AfD kann man nicht wegdiskutieren, für die übernehmen wir aber auch Verantwortung. Ich setze darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger unterscheiden können zwischen unserer unumstößlichen politischen Position und dem, was bedauerlicher Weise in Thüringen passiert ist.
Frage: Sie haben Ihre persönliche politische Zukunft an eine klare Absage an jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD geknüpft – fürchten Sie, dass Teile Ihrer Partei in dieser Frage wankelmütig werden könnten?
Lindner: Nein, das hat sich jetzt ja gezeigt. Im Nachgang zu den Ereignissen von Erfurt ist unsere klare Position bestätigt worden: Es gibt keine Kooperation mit der AfD und es gibt auch keine Koalition mit der Linkspartei. Auch Herrn Ramelow werden wir jetzt nicht wählen. Bei der Union, und das sage ich mit Bedauern, ist Frau Kramp-Karrenbauer zurückgetreten, unter anderem weil sie in Teilen ihrer Partei ein ungeklärtes Verhältnis zur AfD und zur Linkspartei konstatiert hat. Das gibt Anlass zur Sorge, das lässt mich der Union wünschen, dass sie diese klare Abgrenzung auch rasch findet.
Frage: Können Sie den Schritt von Annegret Kramp-Karrenbauer, den Rückzug von der Spitze der CDU anzukündigen, nachvollziehen?
Lindner: Das ist eine individuelle Entscheidung von ihr und eine Angelegenheit der CDU. Sie hat ja gesagt, dass aus ihrer Sicht Kanzlerschaft und CDU-Vorsitz in eine Hand gehören. Sie hat die ungeklärte Frage zum Umgang mit AfD und Linkspartei selbst angesprochen. Noch nach der Rückzugsentscheidung von Annegret Kramp-Karrenbauer hat der Generalsekretär der CDU in Thüringen den Unvereinbarkeitsbeschluss, den ein CDU-Bundesparteitag getroffen hat, öffentlich kritisiert. Das zeigt: Da ist eine Diskussion im Gange. Aber das ist nicht unsere Diskussion, wir sind in der Sache ganz klar.
Frage: Es soll ja auch noch andere bundespolitische Themen geben: Mit welchen Inhalten wollen Sie in den kommenden Monaten politisch überzeugen?
Lindner: Die FDP ist eine Partei, die dem einzelnen Menschen etwas zutraut. Wir möchten deshalb die Menschen befreien von ärgerlicher Bürokratie, angefangen bei der komischen Bon-Pflicht. Wir wollen sie schützen vor immer höherer Belastung, zum Beispiel durch immer höhere Steuern. Wir wollen sie stark machen durch ein zeitgemäßes Bildungssystem, nicht nur am Beginn des Lebens, sondern während des ganzen Lebens. Unsere politische Kern- und Grundposition ist: Wir wollen immer wieder neue Chancen eröffnen.
Frage: Braucht es dafür wirklich die FDP?
Lindner: In Zeiten, wo das von allen möglichen Seiten angegriffen wird, wo das Eigentum relativiert wird, wo der Staat immer mehr von den Leistungen der Menschen für sich beansprucht; in Zeiten, wo wir immer mehr ärgerliche Bürokratie im Alltag haben, wo wir Schlüsselindustrien kaputt und klein reden wie beispielsweise das Auto mit Verbrennungsmotor, in denen wir immer noch keinen handlungsfähigen Rechtsstaat haben in Fragen der Migration – da braucht es diese politische Position der Mitte dringender denn je.
Frage: Was haben Sie ganz persönlich in den vergangenen Tagen gelernt?
Lindner: Politik ist unberechenbar und immer auch abhängig von Lagen, die man nie hat voraussehen können. Während vor einer Woche die Ministerpräsidentenwahl aus Thüringen auf dem TV-Bildschirm in meinem Büro übertragen worden ist, saß ich mit meinem Social-Media-Team zusammen, vor der Tür warteten die Redakteure des Magazins des Wirtschaftsrats der CDU, die unsere marktwirtschaftlichen Positionen in ihrem Blatt haben wollten. Für 14 Uhr war der Comedian Ingo Appelt angekündigt, um mit mir einen Podcast aufzuzeichnen. Und dann kam alles anders.