LINDNER-Interview: Die Belastungsgrenze ist erreicht
Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner MdB gab der SV-Gruppe (u.a. „Schwäbische Zeitung“, „Nordkurier“, „Schweriner Volkszeitung“) das folgende Interview. Die Fragen stellte Jan David Sutthoff:
Frage: Herr Lindner, macht Ihnen Ihr Job als Finanzminister gerade Spaß?
Lindner: Ja.
Frage: Dann sind Sie gerne Spielverderber?
Lindner: Nein. Aber ich habe eine wichtige Aufgabe. Ich muss die Balance herstellen zwischen dem Wünschbaren und dem Möglichen. Ich muss die Stabilität unserer Staatsfinanzen sicherstellen. Und sehe mich als Anwalt derjenigen, die mit harter Arbeit dem Staat überhaupt seine Mittel zur Verfügung stellen. Niemals darf in Vergessenheit geraten, dass all das, was die Politik an Geld verteilen will, vorher von den Menschen erwirtschaftet werden muss.
Frage: Haben Sie damit das mächtigste Ministeramt inne?
Lindner: Es ist eine dienende Funktion. Aber die besondere Bedeutung ergibt sich aus der Verfassung und aus den Gesetzen. Nur das Finanzministerium ist dafür zuständig, Einnahmen und Ausgaben zusammenzuhalten. Dafür hat es besondere Befugnisse.
Frage: Nun sind Finanzen ein Thema, über das es unterschiedliche Vorstellungen gibt. Wer versteht aus Ihrer Sicht von den Koalitionären am wenigsten davon? SPD oder Grüne?
Lindner: Finanzpolitik ist nicht nur eine Frage von Qualifikation, sondern auch von Werturteilen. Ich bin überzeugt, dass die Belastungsgrenze der Bürgerinnen und Bürger erreicht ist. Deshalb bin ich gegen Steuererhöhungen und mehr Schulden, denn für die müssen ja Zinsen gezahlt werden. SPD und Grüne haben bekanntlich keine Probleme damit, weil sie Politik vom lenkenden und umverteilenden Staat her denken.
Frage: Kanzler Olaf Scholz von der SPD hat 15 Euro Mindestlohn in Aussicht gestellt. Wie finden Sie das?
Lindner: Das war der SPD-Wahlkämpfer Scholz. Hier eine Idee des FDP-Wahlkämpfers Lindner: Lasst uns den Solidaritätszuschlag endlich abschaffen. Er ist eine Strafsteuer auf hohe Qualifikation, unternehmerisches Risiko und Spitzenleistung. Das sollten wir nicht extra besteuern, denn wir brauchen mehr davon.
Frage: Sie könnten einfach 20 Euro Mindestlohn fordern. Vielleicht gewinnen Sie dann noch Wählerstimmen.
Lindner: Lohnfindung ist Sache von Arbeitgebern und Gewerkschaften, nicht von Wahlkämpfen. Ein solcher Überbietungswettbewerb kostet am Ende Arbeitsplätze und wirtschaftliche Substanz.
Frage: Ist es rechtsradikal, zu kritisieren, dass Deutschland Radwege in Peru finanziert? Auch das sagt die SPD.
Lindner: Hat sie das? Das kann ich kaum glauben, weil es abwegig ist. Richtig ist, dass der CSU-Entwicklungsminister Müller solche Projekte beschlossen hat. Ich bin der Auffassung, dass wir unser internationales Engagement einer Inventur unterziehen müssen. Wir müssen uns auf harte Sicherheit und die Unterstützung der Ukraine als erster Verteidigungslinie für Frieden und Freiheit konzentrieren.
Frage: In ein paar Wochen steht die Entscheidung über den Haushaltsentwurf 2025 an. Bekommen Sie das hin, die anderen Minister vom Sparen zu überzeugen?
Lindner: Es gibt keine Alternative dazu, denn eine Regierung braucht einen Haushalt. Wir haben enorme Staatseinnahmen. Der Staat ist größer als 2019. Allerdings sind die Erwartungen an den Staat, an Umverteilung und Subventionen noch schneller gestiegen. Das muss auf ein verantwortbares Maß zurück.
Frage: Das Rentenpaket ist jetzt immerhin mal beschlossen im Kabinett. Es gibt beachtliche Teile auch Ihrer Partei, die davon nicht so begeistert sind wie Sie.
Lindner: Wir haben einen Durchbruch erreicht, denn zum ersten Mal lassen wir die internationalen Kapitalmärkte für die Rente arbeiten. Unser Land ist notorisch skeptisch bei Aktien, das überwinden wir. Richtig ist allerdings, dass der Reformbedarf der Rente nicht beendet ist. Im Gegenteil, um das Rentenniveau zu finanzieren, ohne die Jüngeren zu überlasten, werden wir die Lebensarbeitszeit verlängern und Frühverrentung beenden müssen. Deshalb brauchen wir baldestmöglich das nächste Rentenpaket.
Frage: Bekommen Menschen, die heute 18 sind, noch eine staatliche Rente, wenn sie irgendwann in dem Alter ankommen?
Lindner: Ja. Aber sie dürfen sich nicht allein auf die staatliche Rente verlassen, um ihren Lebensstandard zu sichern. Notwendig wird sein, privat vorzusorgen.
Frage: Ist es nicht so, dass die private Vorsorge keine Ergänzung sein wird, sondern absolut nötig, weil die staatliche Rente längst nicht mehr zum Leben reichen wird?
Lindner: Die gesetzliche Rente wird für die allermeisten Menschen eine zentrale Rolle spielen. Aber zutreffend ist, dass die anderen Säulen — die betriebliche und die private Vorsorge — eine wachsende Wichtigkeit erhalten, um den Lebensstandard, den man gewohnt ist, auch im Alter zu haben.
Frage: Würden Sie zustimmen, dass Regieren der FDP nicht gut tut?
Lindner: Die Zeiten sind schwierig, die politischen Realitäten erfordern ungewöhnliche Konstellationen, Streit finden die Menschen störend. Am Ende zählt aber, was man für das Land erreicht. 2025 wird es um die nächste Regierung gehen. Ich werde dafür kämpfen, dass wir dann zum dritten Mal in Folge ein zweistelliges Ergebnis erzielen. Wir wollen ja weiter dafür arbeiten, dass Deutschland freier, fairer, moderner, digitaler und wettbewerbsfähiger wird.
Frage: Das ist eine sportliche Ansage, denn aktuell müsste die FDP eher kämpfen, es überhaupt in den Bundestag zu schaffen. Dazu ist die Partei inhaltlich ausgehöhlt worden durch ihre Regierungspolitik.
Lindner: Erstens sind unsere Umfragen während der Legislaturperiode immer schwächer als die Ergebnisse. Und zweitens ist die FDP kein bisschen ausgehöhlt. Ihre Feststellung ist sogar rätselhaft, da ja im Gegenteil der FDP immer unterstellt wird, sie halte zu sehr an ihren Überzeugungen fest. Aktuell ist beispielsweise für jeden sichtbar, dass wir die treibende Kraft für Wirtschaftsreformen sind.
Frage: Finden Sie nicht, dass die FDP ziemlich linke Politik mitträgt, die nicht liberal ist und auch wenig vernunftgetrieben? Mindestlohn, Bürgergeld, Atomausstieg, Demokratiefördergesetz…
Lindner: Nun ja, der Mindestlohn wurde von der CDU eingeführt, und auch der Atomausstieg datiert auf die Ära Merkel. Ich verweise da eher auf Steuerentlastung, Bürokratieabbau, Bekämpfung illegaler Einwanderung, Verhinderung des Verbrenner-Verbots, Abschaffung des planwirtschaftlichen Klimaschutzgesetzes.
Frage: Wie lange braucht es die FDP noch in der sich verändernden politischen Landschaft?
Lindner: Sie ist doch wichtiger denn je. Seit der Pandemie steigen die Forderungen an den Staat und sinkt die Bereitschaft zur Eigenverantwortung. Aus dem edlen Motiv des Klimaschutzes sind manche bereit, tief in die individuelle Lebensführung und das Eigentum einzugreifen. Die Anerkennung und Forderung von Leistung geht zurück. Die gesellschaftliche Debatte ist mitunter verroht, die Toleranz gegenüber anderen Meinungen ist zurückgegangen. Umso mehr setzen wir uns für den Wert der Freiheit und den Nutzen von Marktwirtschaft und Liberalität in der Gesellschaft ein.
Frage: Es gibt eine Studie der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung zum Inhalt von Schulbüchern. Die klare Tendenz darin sei es, Unternehmen als böse darzustellen und den Staat als gut. Ziemlich links also. Was macht das mit der Jugend?
Lindner: Offen gesagt, eine linke Tendenz sieht man auch in manchen Medien. Erfrischend ist, dass es bei Ihnen nicht so ist. Tatsächlich aber sind junge Menschen heute wirtschaftspolitisch informiert. In meinen Veranstaltungen ist das Durchschnittsalter deutlich niedriger als früher. Wenn junge Leute gefragt werden, was sind eure größten Sorgen, dann stehen da ganz oben Inflation und wirtschaftliche Entwicklung. Übrigens auch die Frage der Einwanderung nach Deutschland. Da ist ein Realismus, den man ernst nehmen muss.
Frage: Wenn junge Leute gefragt werden, wen sie wählen würden, sagen die aber mehrheitlich Union oder AfD. Es ist nicht lange her, da haben sie noch FDP gesagt. Wie haben Sie die verloren?
Lindner: Die FDP ist bei jungen Menschen unverändert überproportional stark. Das werden wir zur Bundestagswahl ausbauen. Bis dahin haben wir in dem Bereich Bildung und Digitalisierung noch einiges vor.
Frage: Die Europawahl steht an. War es riskant, auf eine FDP-Spitzenkandidatin zu setzen, die die kompromisslose Unterstützung der Ukraine verkörpert wie niemand sonst? Sie polarisiert damit extrem.
Lindner: Die Wahrheit ist aber: Die Ukraine ist unsere erste Verteidigungslinie. Wir sind eine Partei von Überzeugungstätern. Wir sagen das, wovon wir überzeugt sind. Und bezogen auf Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Sie ist nun wirklich eine freiheitsliebende Persönlichkeit. Sie steht dafür, dass wir den Bürokratismus von Frau von der Leyen in Brüssel beenden wollen. Europa war immer ein Freiheitsprojekt und muss das wieder werden. Auf der anderen Seite würde ein Ende der EU, wie AfD und Wagenknecht-Partei ihn ins Gespräch bringen, Deutschland wirtschaftlich ruinieren.
Frage: Noch einmal nach Deutschland, zu den jüngsten Geschehnissen auf Sylt. Ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki hat beklagt, dass er sich beim Thema Judenhass hierzulande nur einen Bruchteil der Empörung wünschen würde, wie auf das Video der feiernden Jugendlichen folgte.
Lindner: Ich fordere eine 360-Grad-Wachsamkeit gegenüber allem, was die Liberalität unseres Landes infrage stellt. Und dazu gehört neben dem Rechtsextremismus eindeutig ein Antisemitismus, wie wir ihn jüngst von links an Hochschulen erlebt haben.
Frage: Ist das, was nach dem Auftauchen des Sylt-Videos passierte — die Empörung bis hin zum Kanzler, die Veröffentlichung der Namen der Beteiligten, der Wunsch nach deren Vernichtung, den man bei vielen spüren konnte — ist das ein Umgang, der Schule machen sollte?
Lindner: Nein, zu einer humanen Gesellschaft gehören keine Vernichtungswünsche. Ich erinnere daran, dass selbst das Strafrecht den Gedanken der Resozialisation kennt.
Frage: Ist es dann richtig, dass die jungen Menschen nun ihre Jobs verlieren und möglicherweise ihres Lebens nicht mehr glücklich werden?
Lindner: Als Erwachsene müssen wir alle Verantwortung für unsere Taten und ihre Konsequenzen übernehmen. Aber erstens gilt es, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Und zweitens gibt es Angelegenheiten, die überlässt man besser der Justiz.