LINDNER-Interview: Der Staat nimmt den Menschen zu viel von ihrer finanziellen Freiheit

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner MdB gab dem „Münchner Merkur“ (Montag-Ausgabe) und „Merkur.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Mike Schier:

Frage: Die große Mehrheit der Deutschen freut sich, dass Sie der Ampel den Stecker gezogen haben, aber im Ranking sind Sie nun der unbeliebteste Politiker, gleichauf mit Chrupalla hinter Weidel und Wagenknecht. Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?

Lindner: Wir erleben eine harte Machtauseinandersetzung. Die FDP mit mir als ihrem Vorsitzenden steht den linken Parteien im Weg, wenn es um die Bildung einer neuen Bundesregierung geht. Mit der FDP im Bundestag gibt es zum Beispiel keine schwarz-grüne Mehrheit. Klar, dass politische Gegner dann Kampagne gegen meine Partei und mich machen.

Frage: Hat es nicht doch auch mit Führungsversagen zu tun, dass die FDP so schlecht dasteht?

Lindner: Ich empfehle, dass wir uns an den Tatsachen orientieren. Die FDP hat im Herbst der Entscheidungen neue Politik oder Neuwahlen verlangt, denn angesichts der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise war Nichtstun keine Option. Ich habe dem Kanzler genau das angeboten: entweder Wirtschaftswende oder geordnete Neuwahlen. Olaf Scholz hat mich stattdessen ultimativ aufgefordert, 15 Milliarden Euro neue Schulden aufzunehmen, an der Schuldenbremse vorbei, um seine alte Politik fortzusetzen. Als ich mich geweigert habe, hat er mich entlassen. Danach begann eine Deutungsschlacht um das Ampel-Aus, die uns in die Defensive gebracht hat.

Frage: So ganz geschmeidig war das Krisenmanagement nach dem Auftauchen des D-Day-Papiers ja nicht. Kritiker auch in der FDP sagen, dass in der Parteizentrale zu viele forsche Lindner-Jungs unterwegs seien.

Lindner: Das ist falsch. Ja, es gab Mängel bei den Abläufen. Dafür haben die Verantwortlichen schmerzhaft die Verantwortung übernommen. Indiskretionen haben öffentlich einen falschen Eindruck von den Motiven der FDP erweckt. Uns ging es um unser Land und einen neuen Aufschwung.

Frage: „Indiskretionen“: Haben Sie Ihren Ex-Minister Volker Wissing im Verdacht?

Lindner: Ich belaste mich nicht mit Verdächtigungen oder Groll.

Frage: Mitten im medialen Hagelsturm hinein haben Sie Ihre Gegner noch mehr provoziert: mit dem Satz, Deutschland solle ein bisschen mehr Milei und Musk wagen. Sie scheinen voll durchziehen zu wollen. Ist das die Aiwanger-Strategie?

Lindner: Deutschland steht auf der Kippe. Dazu schweige ich nicht. Wir sind bedroht von einem wirtschaftlichen Abstieg, der zehntausende Jobs kostet und den Lebensstandard der Menschen bedroht. Hinzu kommt: Unsere Gesellschaft ist sehr polarisiert. Die Menschen haben den Eindruck, dass sich der Staat in alles einmischt, aber seine Kernaufgaben – Ordnung der Einwanderung, äußere und innere Sicherheit, Bildung, Infrastruktur – vernachlässigt. Deswegen mein Weckruf: In diesem Land muss sich Grundlegendes verändern.

Frage: Sie reden so, als hätten Sie nichts damit zu tun gehabt die letzten Jahre!

Lindner: Ich habe in der Ampel nach Kräften daran gearbeitet, den Trend umzukehren. Aber das langte nicht. Denn die aktuellen Herausforderungen rühren von Entscheidungen der letzten 15 Jahre. Unser Land ist inzwischen bürokratisch gelähmt, der Staat nimmt den Menschen zu viel von ihrer finanziellen Freiheit und wir sind in der Klimapolitik grün statt smart unterwegs.

Frage: Sie wollen in eine Regierung mit der Union. Welche Ihrer Ampel-Gesetze würden Sie konkret im ersten halben Jahr mit Inbrunst rückabwickeln?

Lindner: Wir wollen nach vorne verbessern. Wir brauchen einen breitflächigen, radikalen Abbau von Bürokratie: Weg mit dem deutschen Lieferkettengesetz, das Arbeitszeitrecht massiv entschlacken, Berichtspflichten weitgehend aufheben. Auch ganze Behörden wie das Umweltbundesamt können entfallen, wenn deren Aufgaben auf andere aufgeteilt werden. Wir brauchen steuerliche Entlastung. Den Zuschlag für die Überstunde will ich steuerfrei stellen und den Grundfreibetrag deutlich erhöhen. Das erhöht den Abstand zwischen Bürgergeld und dem Lohn in noch nicht so gut bezahlten Jobs. Der Solidaritätszuschlag muss entfallen, weil er eine Strafsteuer auf Qualifikation und unternehmerische Risikobereitschaft ist. Ich habe als Minister noch berechnet, dass das alles finanzierbar ist.

Frage: Wie – Sie wollen nichts rückabwickeln?

Lindner: Ich will nicht zurück in die Zeit vor der Ampel, da war auch nicht alles gut. Wir müssen mit Tempo nach vorne spielen. Wir werden gewiss die Pläne beim Klimaschutz neu justieren müssen, die noch aus der Ära Merkel stammen. Das deutsche Klimaziel müssen wir an das europäische anpassen, also Neutralität ab 2050. Also: Fünf Jahre mehr Zeit, fünf Jahre längere Nutzung von Technologien für Wertschöpfung, fünf Jahre weniger Subventionen zahlen und im Zuge dessen alle Verbote und Standards durch Technologieoffenheit ersetzen – das ist zugleich Teil der Gegenfinanzierung von dem Programm bei der Steuerentlastung, das ich geschildert habe.

Frage: Ihr Wunschpartner Union liebäugelt mit Grünen und SPD. CDA-Chef Radtke rät seiner Partei sogar davon ab, mit den angeblich nicht verlässlichen Liberalen zu koalieren.

Lindner: Der Kollege scheint ein sehr roter Christdemokrat zu sein, daher überrascht mich das nicht. Die CDU nimmt ja gern die Farbe ihrer Koalitionspartner an, das wäre bei Schwarz-Grün genauso. Das Beste für Deutschland wäre momentan eine Koalition der Mitte aus Union und FDP.

Frage: Reicht halt nicht mit vier Prozent für die FDP. Da müssen Sie noch zulegen.

Lindner: Wir standen am Sonntag schon wieder bei 5. Eine schwarz-gelbe Regierungsmehrheit ist erreichbar. Union und FDP könnten schließlich Wähler der AfD oder der Freien Wähler zurückgewinnen, die nur gegen irreguläre Einwanderung, grüne Klimapolitik und überbordende Bürokratie protestieren wollen. Stattdessen macht die Union leider das Gegenteil, nämlich Offenheit für Wirtschaftsminister Habeck im Kabinett Merz, Offenheit für Steuererhöhungen und Offenheit für neue Schulden.

Frage: Sie wollen gar nicht um Zweitstimmen von der Union betteln?

Lindner: Wähler gehören keiner Partei, sondern überlegen gut, welche Regierung sie wollen. Wir werben für unser Programm, das Eigenverantwortung und Freiheit der Menschen ins Zentrum stellt statt immer mehr Staat. Wer eine Regierung der Mitte will und auf keinen Fall Schwarz-Grün, der muss FDP wählen.

Frage: Der Kanzler stellt die Vertrauensfrage. Redet der Kanzler eigentlich noch mit Ihnen?

Lindner: Ich habe keinen aktuellen Gesprächsbedarf.

Frage: Eine kleine SMS hier und da?

Lindner: Es ist alles gesagt. Sie haben gehört, wie Herr Scholz öffentlich über mich gesprochen hat. Ich habe das auch.

Frage: Ihre bayerischen Parteifreunde stellen am 21. Dezember ihre Liste auf. Wünschen Sie sich, dass zugkräftige Namen wie der von Susanne Seehofer weit vorne stehen?

Lindner: Wir haben starke Landesvorsitzende mit Katja Hessel und Martin Hagen, aber auch spannende neue Persönlichkeiten. Ich hoffe, dass die von mir geschätzte Susanne Seehofer auf einem aussichtsreichen Platz kandidieren wird.

Frage: Sie werden nächstes Jahr zum ersten Mal Vater. Reift da nicht mal der Gedanke, dass es auch ein Leben außerhalb der Politik gibt?

Lindner: Ich hatte bisher auch schon ein Leben neben der Politik. Sonst würde ich Phasen wie diese gar nicht unbeschadet durchstehen können. Aber richtig ist, dass sich unser Leben nun nochmals ändert. Das ist ein großes Glück.

Frage: Verraten Sie uns, wie die Familie Lindner Weihnachten verbringt?

Lindner: Die ganze Familie kommt zu uns nach Berlin. Und traditionell gibt es seit meiner Kindheit Gans und Rotkohl.

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