KUBICKI-Gastbeitrag: Im Zweifel für die Freiheit und nicht für den Strafantrag
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Vizepräsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Kubicki MdB schrieb für „cicero.de“ den folgenden Gastbeitrag:
Wenn es nicht nur „Arschloch“ ist, dann wird es manchmal noch mit einem Adjektiv versehen – „hohles Arschloch“ zum Beispiel oder „das alte Arschloch“. Eine andere Userin begnügt sich nicht mit einem Adjektiv und wird in der stumpfen Pöbelei erstaunlich vielfältig: „egozentrisches, durchaus intelligentes, aber zynisch-polemisches Arschloch“, aber immerhin sei ich „im Gegensatz zu allen #fckafd-Schmierlappen“ ein Demokrat.
Natürlich kann man das Spiel beliebig mit anderen Beleidigungen fortführen: Schwachmat, Vollpfosten, Drecksack etc. All das sind Beleidigungen, die in den letzten Jahren im digitalen Raum gegen mich ausgesprochen wurden – und die ich nicht angezeigt habe. In den Fällen, in denen die Polizei mich anschrieb, habe ich von einem Strafantrag abgesehen.
Die Personen, die sich so gegen mich in Stellung bringen, haben nicht selten Regenbogenflaggen, Sonnenblumen oder „Stolzmonat“-Symbole in ihren Profilen. Ein Liberaler bekommt es nun einmal von allen Seiten ab. Wobei auffällig ist, dass die Polizei meist nur wegen offensichtlich rechter Accounts anfragt und quasi nie wegen solcher, die sich als links zu erkennen geben.
Ist es angenehm, derart beschimpft zu werden? Nein, natürlich nicht. Das eine oder andere Mal habe ich bei Beleidigungen, die mich über mein Mailkonto erreicht haben, auch schon von meinem Recht auf Gegenschlag Gebrauch gemacht und manche persönliche Anfeindung sachgerecht erwidert. Und auch ich zeige Äußerungsdelikte an – zum Beispiel solche, die Bedrohungen gegen mich, meine Familie oder meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter enthalten. Zum Beispiel solche:
„Du DRECKSAU bist der größte Gegner einer Impfpflicht. Dein Tod ist beschlossen. Dich kann keiner schützen. Es gibt immer eine Möglichkeit. Auch bei Deiner Familie. Du bist der größte Massenmörder in Deutschland.“
Auch wenn Einzelpersonen meinen, mit fortdauernden Beleidigungen über Mail und Telefon die Arbeitsfähigkeit meines Büros zum Erliegen zu bringen, habe ich reagiert. Oder wenn – was leider auch schon vorgekommen ist – mein privates Umfeld belästigt wurde. Ich habe aus all dem nie ein großes Thema gemacht. Warum tue ich es jetzt? Weil in der Debatte um „Gewalt gegen Politiker“ etwas aus den Fugen geraten ist und weil mit den Beleidigungsdelikten inzwischen massiv Politik gemacht wird, was zur Einschüchterung und zur Einengung des politischen Meinungskorridors missbraucht wird.
Dabei gibt es zwei Ebenen: Zum einen die persönliche Wirkung. Schlagzeilen machte in jüngster Vergangenheit der Fall eines Familienvaters, der ein Meme von Robert Habeck teilte, in dem dessen Konterfei, in Verballhornung einer bekannten Shampoo-Marke, mit „Schwachkopf PROFESSIONAL“ untertitelt wurde. Robert Habeck stellte Strafantrag, ja, das tat er wirklich. Und in der Folge dieses Strafantrages kam es bei dem Beschuldigten zu einer Hausdurchsuchung. Ein solches Vorgehen hat selbstverständlich eine einschüchternde Wirkung. Die Botschaft ist: Was dir harmlos vorkommen mag, kann dich in große Probleme bringen. Lass es lieber!
Robert Habeck hat auch schon einmal Strafantrag gegen den Welt-Journalisten Don Alphonso gestellt, weil dieser das Zitat verbreitete: „Ein Wirtschaftsminister, der mit seiner äußeren Erscheinung in einer Ansammlung von Bahnhofsalkoholikern nicht negativ auffallen würde.“ In zweiter Instanz wurde Don Alphonso freigesprochen. Aber wenn ein Vizekanzler persönlich einen Strafantrag gegen einen Journalisten wegen solch einer Bagatelle stellt, die zudem in Anführungszeichen gesetzt war, soll das selbstredend eine Botschaft an die Medien senden, die dem Wuschelkopf-Charme des Dr. Habeck noch nicht vollends erlegen und mithin etwas kritischer sind.
Die zweite Ebene ist die Statistik, mit der Bündnis 90/Die Grünen massiv Politik betreiben. Vielfach war zu lesen, dass keine andere Partei so sehr das Opfer politischer Gewalt sei. Nun stellt man sich unter „politischer Gewalt“ alles Mögliche vor, aber nicht „Schwachkopf PROFESSIONAL“ und auch nicht die zugegebenermaßen gehässige Frage, ob der Bundeswirtschaftsminister überhaupt bis drei zählen könne. Auch das war ja schon Gegenstand eines Strafverfahrens.
Das wird vor allem dann zum Problem, wenn Journalisten dieses grüne Opfer-Narrativ unkritisch nachplappern und nicht hinterfragen, um welche Vorwürfe es konkret geht. Zwischen dem ironischen Vorwurf der Dyskalkulie und einer konkreten Todesdrohung liegen Welten. Fließt beides in die Statistik ein? Was ist mit dem ebenfalls geahndeten Delikt zu Lasten von Anton Hofreiter, wo dieser „hässliche Frau“ genannt wurde oder dem bayerischen Landtagsabgeordneten, der als „Dummschwätzer“ tituliert wurde?
Und wie erklärt sich, dass im Jahr 2019 126 Äußerungsdelikte gegen Politikerinnen und Politiker von Bündnis 90/Die Grünen erfasst wurden, im Jahr 2020 231 und 2023 ganze 947 Fälle? Das ist mehr als das Siebenfache des Jahres 2019. Liegt es allein an der Verschärfung des §188 StGB im Jahr 2020? Aber selbst in den Jahren 2021 und 2022 erreichten die Äußerungsdelikte gegen die Grünen nicht einmal die Hälfte des Niveaus von 2023. Und zählen die 277 Anzeigen, die allein Annalena Baerbock im Jahr 2023 gestellt hat, dort eigentlich mit hinein?
All diese Fragen wären nicht von Bedeutung, wenn die Grünen nicht mit diesen Zahlen Politik machen würden. Aber sie tun es, und deswegen bleibt vor allem eine Frage von großer Relevanz: Wann haben die grünen Spitzenpolitiker beschlossen, jede noch so kleine Beleidigung zur Anzeige zu bringen, und was bezwecken sie mit dieser sehr eigenartigen Form der politischen Kampagne?
Die Grünen haben sich einen eigenen politischen Debattenraum geschaffen, in dem allein sie die Deutungshoheit haben. Und zwar allein mit der Masse an Strafanträgen, die sie stellen. Wer hinterfragt, ist wahlweise ein Feind der Demokratie oder rechtsradikal. Wahrscheinlich schickt die Polizei mir deswegen nur rechte Beleidigungen und keine linken. Auch die Strafverfolgungsbehörden müssen sich fragen lassen, wie sehr sie sich im Rahmen von „Aktionstagen“ und Kampagnen „gegen Hass“ vor den politischen Karren spannen lassen. Vor dem Gesetz sind alle gleich: Linke, Rechte, Liberale, Grüne, Konservative und Kommunisten.
Mir ist bewusst, dass wir uns in dieser Debatte auf vermintes Gelände begeben, weil niemand – auch ich nicht! – ein Klima möchte, in dem Politiker sich nicht mehr trauen, Bedrohungen, Verleumdungen und üble Nachreden anzuzeigen. Aber hier wird meine und die Liberalität anderer ausgenutzt, um politische Geländegewinne zu erzielen. Und das Opfer dieser Kampagne ist der politische Diskurs, der frei und gerne auch mal überspitzt geführt werden darf und muss. Das Bundesverfassungsgericht setzt zum Schutz des Meinungskampfes aus guten Gründen einen sehr weiten Rahmen:
„Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist zudem davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. Teil dieser Freiheit ist, dass Bürgerinnen und Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträgerinnen und Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden.“
Die Grünen haben im letzten Europawahlkampf die Selbststilisierung als letzte Bastion gegen den Faschismus, gegen Gewalt und Hass auf die Spitze getrieben. Das Bild kommt nur, um eine hart strapazierte Redewendung Habecks zu bemühen, „nicht aus der Wirklichkeit“. Vielmehr wird offensichtlich ein Klima der Einschüchterung geschaffen, wie nun auch der Rentner aus Bayern erleben musste. Via „Bericht aus Berlin“ erklärte der Vizekanzler, sein Strafantrag habe nur „auslösend“ für die Hausdurchsuchung gewirkt. Vielmehr gehe es bei dem Rentner um Antisemitismus und Rassismus.
Das ist schlicht die Unwahrheit, denn die Erklärung der Staatsanwaltschaft hat als einzigen Grund für die Hausdurchsuchung die Beleidigung zum Nachteil Habecks genannt und in der gleichen Pressemitteilung erklärt, dass noch andere Vorwürfe hinsichtlich einer vermeintlichen Volksverhetzung bestehen. Der Vizekanzler findet aber weder Kraft noch Größe, sich von seinem Strafantrag zu lösen, und begründet dies ernsthaft damit, dass „Schwachkopf“ vielleicht nicht schlimm sei, aber dass es ja schon irgendwie den Richtigen treffe. Das ist bestenfalls kleingeistig, aber tatsächlich steckt dahinter der skrupellose Wille, die Deutungshoheit in der „Schwachkopf“-Affäre zu behalten.
Denn natürlich will Habeck, wie auch viele Journalisten, an dem Narrativ festhalten, dass es niemand auf der politischen Bühne so schwer habe wie die Vertreterinnen und Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen. So bleiben die „Schwachkopf“- und „Dummkopf“-Fälle in vielen Medien weitgehend unterbelichtet. Die Gesellschaft wird auch in dieser Frage immer weiter gespalten: Die eine Seite fühlt sich gegängelt, die andere bestätigt in dem Gefühl, dass die Grünen schwerere Kämpfe zu fechten haben als wir anderen, die „schlechteren“ Demokraten eben.
So sickert das Gift des Misstrauens und der Einschüchterung in unsere politische Debatte. Es schadet dem demokratischen Gefüge und allen unseren Kolleginnen und Kollegen aus allen Parteien, die tatsächlich Opfer gefährlicher Gewalt wurden. Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen auf, diese Praxis zu überprüfen und Strafverfahren nicht für Kampagnenzwecke zu missbrauchen. Im Zweifel für die Freiheit und nicht für den Strafantrag.