KUBICKI-Gastbeitrag: Der schwere Stand der Freiheit

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Vizepräsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Kubicki MdB schrieb für „cicero.de“ den folgenden Gastbeitrag:

1952 sprach Konrad Adenauer die berühmt gewordenen Worte: „Wir stehen vor der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit. Wir wählen die Freiheit!“ Auch wenn 72 Jahre später, zum Ausklang des Jahres 2024, die Sklaverei in Deutschland dankenswerterweise keine wirklich denkbare Alternative zur Freiheit ist, so bleibt aber richtig, dass wir auch heute die Wahl haben zwischen politischen Kräften, die weniger oder mehr individuelle Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger im Sinn haben.

Der Ursprung unserer Nationalfarben geht wohl auf die Uniformen des Lützower Freikorps zurück, trotzdem kann man Schwarz-Rot-Gold symbolhaft ebenso auf die drei wichtigsten politischen Grundströmungen übertragen: Schwarz als Farbe der Konservativen, Rot symbolisiert den Sozialismus und Gold steht für die liberale Tradition. Und je nach Epoche war eines der Elemente mal stärker, mal schwächer als die anderen.

Wir treten Angela Merkel sicherlich nicht zu nahe, wenn wir rückblickend feststellen, dass in den vergangenen 15, 20 Jahren eher die rote Farbe in der Mitte unserer Tricolore an Dominanz gewonnen hat. Ein Ausufern des Sozialstaates, staatliches Leben auf Pump – nämlich zulasten der Infrastruktur –, die erdrückende Steigerung der konsumtiven Ausgaben: All dies macht den großen Tanker namens Bundesrepublik Deutschland aktuell so schwer steuerbar, so träge und langsam. „Ambition“ ist leider kein Begriff, der hierzulande Hochkonjunktur hat.

Der Bundeswirtschaftsminister, dessen Ausbildung wir nun in jeder Hinsicht teuer bezahlen mussten, denkt jedoch nicht daran, für Erleichterungen zu sorgen, Strukturreformen anzugehen, den Unternehmen endlich wieder Freiraum zu geben. Das „grüne Wirtschaftswunder“ mit seiner staatlichen Lenkungsutopie, das er vor ein paar Jahren versprach, lässt mich jedenfalls beim bloßen Gedanken an mögliche vier weitere Jahre grünen Verweilens im Wirtschaftsministerium erschaudern. Das Land würde sich wohl unrettbar zum Schlechteren verändern, wenn wir schon jetzt, nach drei Jahren Robert Habeck, das Schlusslicht im OECD-Wachstumsranking sind.

Ein dauerhaft ausbleibendes Wirtschaftswachstum hat selbstverständlich nicht nur schreckliche innenpolitische Konsequenzen, sei es Perspektivlosigkeit, seien es Jobverluste, gesellschaftliche Spannungen oder ein noch schnelleres Kippen unseres Rentensystems. Es hat auch fatale Auswirkungen auf die Stärke und das Ansehen unseres Landes in der Welt.

Konnte George Bush der Ältere in den 1980er Jahren noch von Deutschland als dem „Partner in Leadership“ sprechen, so hätte jeder US-amerikanische Präsident heute für dieselben Worte ein Impeachmentverfahren wegen Unzurechnungsfähigkeit zu erwarten. Sicher, das ist nicht nur das Resultat unserer schwachen Wirtschaft, sondern auch unseres von jeglicher Wirklichkeit und Schamlosigkeit ungetrübten Hochmutes, den wir jauchzend in die Welt tragen.

In Summe ist es beachtlich und wenig erstaunlich, dass Deutschland zu keinem einzigen Land mehr eine enge, freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehung pflegt. Früher suchten andere Staatenlenker unsere Nähe, sahen in unseren Kanzlern und Außenministern verlässliche Freunde, beneideten uns um unsere technologische Kraft. Heute setzt eine Innenministerin mit einer Armbinde Zeichen. Heute lädt man Olaf Scholz zum Teil nicht mal mehr ein.

So ändern sich die Zeiten. Deutschland entwickelte sich innerhalb kurzer Frist von groß nach gernegroß. Immerhin stimme unsere Haltung, meinen wir. Einsam sind wir trotzdem geworden.

War nicht mal die Achse Deutschland-Frankreich der europäische Motor? Wer die Zeiten von Schmidt-Giscard oder Kohl-Mitterand noch vor Augen hat, muss vor Verzweiflung in die Tischkante beißen, wenn er diese dynamischen Duos mit Scholz-Macron vergleicht. Anderen Staaten sprechen unsere Regierungsvertreter schon aus emotionalen Gründen gleich die Gesprächsfähigkeit ab, weil diese angeblich von undemokratischen, rechten oder sonst wie sinistren Gestalten regiert werden. Dabei handelt es sich zum Beispiel bei den Niederlanden, bei Italien, Polen oder Tschechien um wirklich lupenreine Demokratien, die ihre Wahlen immer noch auf einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Grundlage abhalten. Wäre dies nicht so, wären sie nicht in der EU.

Diese freche, ungerechtfertigte nationale Hochnäsigkeit fällt in eine Zeit, in der bei uns auch mal „Freiheit“ zur Floskel des Jahres gekürt wird, oder die bereits genannte Angela Merkel ihre Memoiren so betitelt. Nun kann man über das Lebenswerk der gebürtigen Hamburgerin sagen, was man möchte (es war ja nicht alles schlecht), aber vom Gedanken der Freiheit waren die Coronamaßnahmen am Ende ihrer Amtszeit jedenfalls selten befruchtet. Wer von den brutalen gesellschaftlichen Ausgrenzungen durch 2G betroffen war, mag ein grundlegend anderes Verständnis vom Freiheitsbegriff haben als die einstige Regierungschefin.

Doch die Bundeskanzlerin war mit ihrer coronären Freiheitsaversion beileibe nicht allein. Rechtswissenschaftler prägten in dieser Zeit den Begriff der „kollektiven Freiheit“, die der individuellen gegenübersteht und dieser eigentlich überlegen sei. Die echte Freiheit sei demnach die Freiheit, sich für ein Kollektiv einzuschränken. Aber, so fragte ich mich: Was passiert, wenn ich eine andere als die kollektiv beschlossene Freiheit haben wollte? Wollte man mich zwingen?

In meinem durchaus bewegten Leben habe ich bisher vielmehr gelernt: Die Grenzen der Freiheit zieht zuerst die Vernunft. Wer vernünftig ist, braucht kaum eine weitere Grenzlinie. Und wenn in einer Zeit die Vernunft nicht wohlgelitten ist, wenn Infantilität Prägekraft entfaltet und zum Teil in höchste Staatsämter einzieht, wenn Ideologie die Einsicht überrumpelt, dann hat die Freiheit im Land einen schweren Stand.

Angst wird dann zum Instrument. So drohen mittlerweile die Mächtigen dem kritischen kleinen Mann – nicht nur im Wahlkampf mit der Warnung vor Atomkrieg, vor dem sicheren Ertrinken oder Verbrennen wegen des Klimawandels, sondern sogar davor, Kritik zu üben. Wer im Rahmen seiner sprachlichen Möglichkeiten von der Machtkritik Gebrauch machen und seinem Frust über tief empfundenen regierungsamtlichen Dilettantismus Luft verschaffen will, der darf sich mittlerweile nicht wundern, wenn eines Morgens die Staatsmacht an der Türe klingelt. Wo sind wir hingekommen, wenn harmloses Anraunzen (wozu ich „Schwachkopf“ durchaus zählen würde), wenn die Frage, ob der Wirtschaftsminister überhaupt bis drei zählen könne, das Ziehen der vollen Palette der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten veranlasst? So könnte fast jeder, der Machtkritik äußert, der Delegitimierung des Staates bezichtigt werden.

Mit welcher Ehrpusseligkeit selbst Vizekanzler gedanklich unterwegs sind, konnten wir schließlich in der Zeit lesen. Auf die Frage, mit welchen schlimmen Anwürfen die Büros zugemailt werden, bekam man unter anderem folgendes Beispiel präsentiert: „Ich hoffe, dass sie bald abgewählt werden. Dem Frieden auf Erden wegen, Sie gefährlicher KINDERBUCHAUTOR“. Ja, bei solch schwerem Geschütz denkt man auch als verhinderter Literaturnobelpreisträger schon mal über erzieherische Strafmaßnahmen nach.

Auch wenn die Zitierung von Rosa Luxemburg von manchem vielleicht mit Naserümpfen quittiert werden könnte – ihr Satz ist aber richtig: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“ Wenn diese aber ausschließlich frei denken, diese Gedanken aber nicht aussprechen dürfen, wenn sie also nicht mehr frei meinen dürfen, dann ist es keine Freiheit. Natürlich sind Verleumdungen und Bedrohungen nicht in Ordnung und müssen strafrechtlich verfolgt werden. Und selbstverständlich gibt es Beleidigungen, die man nicht hinnehmen muss. Wer sich aber beim leisesten Windhauch schon auf den Schlips getreten fühlt, sollte es sich vielleicht genauer überlegen, ob er für ein öffentliches Amt geeignet ist.

So komme ich wieder zum Anfang. „Wir wählen die Freiheit“ ist in unserer Zeit eine durchaus relevante Frage geworden. Wie erwähnt steht heute zum Glück nicht mehr die Sklaverei als Alternative zur Wahl, sondern unterschiedliche Schattierungen der Freiheit selbst. Manch eine politische Kraft stellt Freiheit unter Bedingungen. Etwas überspitzt: „Erst wenn alle Menschen gleich sind, sind sie frei.“ Oder auch: „Erst wenn man ökologisch denkt und handelt, fühlt man die wirkliche Freiheit.“

Ich halte von solchen Bedingungen nichts. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, Freiheit als die Möglichkeit zu verstehen, sich nach seinen Neigungen und Fähigkeiten bestmöglich entfalten zu können. Freiheit ist die Möglichkeit, zwischen Alternativen zu entscheiden. Freiheit ist, die Gleichwertigkeit von Menschen nicht mit Gleichheit zu verwechseln. Freiheit ist, gleiche Startchancen mit einer Ungleichheit im Ergebnis zu ermöglichen. Das ist die Grundlage des Aufstiegsversprechens, das unser Gemeinwesen abgibt. Diese Freiheit wähle ich.

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