DJIR-SARAI-Interview: Ohne eine echte Wirtschaftswende wird die Politik kaum mehr Handlungsoptionen haben
Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai MdB gab der Neuen Osnabrücker Zeitung (Samstag-Ausgabe) und „noz.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Rena Lehmann:
Frage: Herr Djir-Sarai, Christian Lindner hat einen „Herbst der Entscheidungen” angemahnt. Jetzt wird, wo man hinblickt, nichts entschieden: Rentenpaket, Haushalt, Wirtschaftspaket. Kommt da noch etwas?
Djir-Sarai: Es ist doch noch lange Herbst! Aber Scherz beiseite: Wir brauchen in der Ampel-Koalition ein gemeinsames Verständnis für die Herausforderungen im Land. Ohne eine echte Wirtschaftswende mit neuem Wachstum wird Politik in den nächsten Jahren kaum mehr Handlungsoptionen haben. Es ist deswegen die zentrale Aufgabe dieser Regierung, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Wir brauchen dafür auch eine solide Haushaltspolitik und eine Wende in der Migrationspolitik.
Frage: Gibt es denn dieses gemeinsame Verständnis?
Djir-Sarai: Das wird sich zeigen. Die Menschen müssen am Ende dieses Jahres erkennen können, dass diese Bundesregierung bei der Steuerung und Begrenzung von Migration deutliche Veränderungen vornimmt. Die Zahlen müssen erkennbar runter. Wir brauchen wirtschaftspolitische Maßnahmen, die die Wende einläuten. Wir sprechen über Reformen, die vor zehn Jahren hätten eingeleitet werden müssen. Es hilft jetzt aber nichts, darüber zu jammern. Jetzt müssen wir sie machen.
Frage: Die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent ist ein zentrales Wahlversprechen der SPD. Rolf Mützenich hat sich im Interview mit unserer Zeitung festgelegt: Das muss vor Weihnachten beschlossen werden…
Djir-Sarai: Ohne weitere Reformen werden die Rentenbeiträge in den nächsten Jahren steigen und die Menschen weniger Netto vom Brutto haben. Und selbstbewusste Parlamentarier haben zu Recht den Anspruch, Gesetze zu verbessern. Ich kenne übrigens keine Regierung, deren Gesetze nicht vom Parlament noch verändert wurden. Ich bin mir aber sicher, dass die Koalition nicht an der Rentendebatte zerbrechen wird.
Frage: Apropos höhere Beiträge: Die Zusatzbeiträge für die Krankenkassen steigen zum Jahreswechsel kräftig an. Aus dem Versprechen, für Entlastungen zu sorgen, wird also auch erst mal nichts, oder?
Djir-Sarai: Wir sind im internationalen Vergleich das Land mit den höchsten Steuern und Abgaben für die Betriebe und die Arbeitnehmer. Das ist ein Problem für den Wirtschaftsstandort. Wenn die Menschen weniger Geld haben, drückt das auch die Stimmung. Und das ist toxisch für die Volkswirtschaft. Deswegen kämpfen wir ja mit so viel Nachdruck um den vollständigen Ausgleich der Kalten Progression bei der Einkommensteuer. Wir brauchen hier zukünftig den „Tarif auf Rädern“, sodass die Inflation bei der Steuer automatisch ausgeglichen wird und die Menschen mehr netto vom brutto haben.
Frage: In der nächsten Woche kommt die Steuerschätzung. Angesichts der mauen Wirtschaftsdaten wird mit einem Einbruch gerechnet. Was heißt das für den Bundeshaushalt, den sie demnächst beschließen wollen?
Djir-Sarai: Der Gesamtstaat wird dieses Jahr voraussichtlich rund eine Billion Steuereinnahmen haben. Ich bleibe daher bei meiner Überzeugung, dass nicht die Einnahmen das Problem sind in Deutschland, sondern die Ausgaben. Wir müssen endlich darüber sprechen, ob alles, wofür der Staat Geld ausgibt, notwendig und zielführend ist.
Frage: Trotzdem ist es einsam geworden um die FDP, die auf der Schuldenbremse beharrt. Bräuchte gerade die Wirtschaft nicht das Signal, dass der Staat investiert?
Djir-Sarai: Das Bundesverfassungsgericht hat doch deutlich gemacht, wie streng die Vorgaben der Schuldenbremse einzuhalten sind. Das ist nicht nur eine deutsche, sondern inzwischen auch eine europäische Vorgabe. Ich bin froh, dass es die Schuldenbremse gibt. Sie schützt das Land vor ausgabefreudigen Politikern. Wenn sie wegfällt, fällt auch jeder Reformdruck weg. Wir haben kein Einnahmeproblem, sondern zu viele ineffiziente Ausgaben.
Frage: Zum Beispiel?
Djir-Sarai: Eine Win-Win-Situation wäre zum Beispiel, wenn wir mehr Menschen aus dem Bürgergeld in Arbeit bringen. Warum? Weil das weniger Ausgaben für die Sozialsysteme bedeutet, bei gleichzeitig steigenden Steuereinnahmen. Denn Erwerbstätige zahlen ja Steuern. Da haben wir noch ganz viel Potential.
Frage: Die SPD möchte einen Industriestrompreis einführen, um besonders energieintensive Unternehmen zu unterstützen. Wäre das eine geeignete Maßnahme?
Djir-Sarai: Ich finde es bedauerlich, dass die Politiker, die jahrelang dafür gesorgt haben, dass wir so hohe Energiepreise haben, diese jetzt lautstark beklagen und subventionieren wollen. Mit der FDP wird es keine Subventionspolitik geben, die einige Wenige auf Kosten vieler anderen besserstellt. Das wäre ungerecht und ist auch keine langfristige Lösung. Wir müssen stattdessen einen gesamteuropäischen Energiemarkt schaffen.
Frage: Die FDP hat bei den Landtagswahlen genauso verloren wie die anderen Ampelpartner, zieht im Unterschied zu SPD und Grünen aber keine personellen Konsequenzen. Warum nicht?
Djir-Sarai: Unsere Konsequenz heißt, bei der nächsten Bundestagswahl unbedingt erfolgreich zu sein. Ich bin mir sehr im Klaren darüber, wo wir stehen. Unsere Anhängerschaft fremdelt noch im dritten Jahr der Regierung mit der Ampel. Selbst gute Kompromisse mit FDP-Handschrift erreichen unsere Anhänger und Wähler nicht.
Frage: Sprechen Sie mit Christian Lindner über mögliche Szenarien, die Ampel vorzeitig zu verlassen?
Djir-Sarai: Für uns ist nur eines relevant: Sind wir als Regierung noch gemeinsam in der Lage, die Probleme des Landes anzupacken und zu lösen? Ja oder nein? Das ist die zentrale Frage.
Frage: Und wie lautet Ihre Antwort?
Djir-Sarai: Das hängt davon ab, ob wir einen Herbst der Entscheidungen erleben. Das Land braucht Klarheit. Wir reden über die Zukunft der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt. Und unsere Probleme können sogar noch größer werden. Was machen wir, wenn eine neue US-Administration sagt, der Krieg in der Ukraine ist allein Sache der Europäer? Zu glauben, dass die Amerikaner auch weiterhin unsere Sicherheitsinteressen dauerhaft vertreten werden, wäre naiv. Und damit sind wir wieder beim Anfang unseres Gesprächs. Wenn wir nicht in der Lage sind, unsere wirtschaftliche Stärke als Land wiederherzustellen, werden wir große Probleme bekommen.