DJIR-SARAI-Interview: Kein Wunschdenken in der Wirtschaftspolitik
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab der „Mediengruppe Bayern“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Mareike Kürschner und Thomas Vitzthum:
Frage: Die Grünen verbreiten die Erzählung: Die FDP will zehnspurige Autobahnen, die Grünen möchten Schienen verlegen und Brücken sanieren. Ist es so einfach?
Djir-Sarai: Als FDP unterscheiden wir nicht zwischen guter und böser Infrastruktur. Ein Land wie Deutschland braucht eine funktionierende und gut ausgebaute Infrastruktur, wenn es wettbewerbsfähig sein will. Das gilt gleichermaßen für Wasserstraßen, Autobahnen, Schienen, Radwege. Wer in Deutschland Verkehrsinfrastruktur bauen will, muss mit unglaublich langen Prozessen kämpfen. Das können wir uns nicht mehr leisten, wir brauchen die Planungsbeschleunigung auch für Straßen. Dass die Grünen hier blockieren, verstehe ich nicht. Wir haben doch nichts für den Klimaschutz gewonnen, wenn Straßen, zu deren Bau sich auch die Grünen bekannt haben, langsamer als nötig gebaut werden. Auch E-Autos brauchen Straßen. Die Grünen müssen derzeit sehr aufpassen, dass sie nicht eine vollends fortschrittsfeindliche Partei werden.
Frage: Was hindert die FDP, der Planungsbeschleunigung bei Brückensanierungen zuzustimmen?
Djir-Sarai: Verkehrsminister Wissing hat ein schlüssiges Gesamtpaket für eine Planungsbeschleunigung sämtlicher Infrastrukturvorhaben vorgelegt. Dieses Gesamtpaket werden wir nun nicht wieder aufschnüren. Wir sind da mit der SPD übrigens einer Meinung. Die Grünen müssen sich nun bewegen, nicht umgekehrt. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir in der Frage zusammenkommen werden. Das ist die Stärke dieser Koalition.
Frage: Das „Deutschland-Tempo“ war bei den LNG-Terminals möglich, weil ohne Umweltprüfungen gebaut wurde. Wird das Standard?
Djir-Sarai: Ein solches Tempo wie bei den LNG-Terminals kannten wir in Deutschland bisher nicht. Das war eine große Leistung, die wir nun zur Regel machen sollten. Wir werden aber auch künftig Umweltverträglichkeitsprüfungen bei einigen Infrastrukturprojekten haben, allein schon, weil Deutschland an europäisches Umweltrecht gebunden ist. Dort, wo es möglich ist, sollten die Prüfungen aber entfallen. Bei Ersatzneubauten von Brücken beispielsweise braucht es doch keine neue Prüfung. Die ursprüngliche Prüfung sollte einfach fortgelten.
Frage: Dafür muss hohes gesamtgesellschaftliches Interesse definiert werden. Gilt das für die A100 in Berlin, die A94 in Bayern?
Djir-Sarai: Absolut. Das sind notwendige Projekte von gesamtgesellschaftlichem Interesse. Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr wurden über 3 Milliarden Tonnen an Gütern über die Autobahn transportiert, 2023 wächst diese Zahl nochmal an. Das alles allein über die Schiene transportieren zu wollen, ist illusorisch.
Frage: Der Auto-Markt steht auch vor der Einführung der neuen Abgasnorm Euro 7. Bereitet die EU-Kommission das Aus-dem-Verkehr-Ziehen der Verbrenner vor?
Djir-Sarai: Das darf jedenfalls nicht geschehen. Ein Verbrennungsmotor kann mit synthetischen Kraftstoffen klimaneutral betrieben werden. Daher wäre es grundfalsch, den Verbrennungsmotor pauschal zu verteufeln. Außerdem würde Euro 7 in der jetzt vorliegenden Form dazu beitragen, dass Tausende Arbeitsplätze gefährdet sind und Fahrzeugpreise in die Höhe schießen. Mobilität darf aber nicht zum Luxusgut werden. Der Verbrennungsmotor kann ökologisch weiterentwickelt werden. Europa sollte hier technologieoffen unterwegs sein, denn sonst koppeln wir uns vom Rest der Welt ab und nehmen auch keine Vorbildrolle beim Klimaschutz ein, sodass uns andere Länder folgen. Wir müssen aufhören, ob nun in Europa oder in Deutschland, mit Wunschdenken Wirtschaftspolitik zu machen.
Frage: Denkt die EU-Kommission zu sehr nur noch grün?
Djir-Sarai: Dass wir unsere Wirtschaft ökonomisch und ökologisch weiterentwickeln müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, liegt auf der Hand. Das sagen die Unternehmen und Industrievertreter ja selbst. Die Frage ist, wie schaffen wir diese Transformation? Ich sage, wir müssen mehr miteinander arbeiten statt gegeneinander. Dazu gehört auch, dass wir jetzt keinen Subventionswettlauf mit den USA starten, sondern dass wir an neuen Freihandelsabkommen arbeiten. Hätten wir heute ein Handelsabkommen mit den Amerikanern, dann würden wir sogar von den Investitionen des Inflation Reduction Act profitieren können. Stattdessen wurden seinerzeit alberne Debatten über Chlorhühnchen geführt.
Frage: Der Kanzler will fünf neue Windräder am Tag. Liegt der Fokus zu einseitig auf der Windkraft?
Djir-Sarai: Den Erneuerbaren Energien gehört die Zukunft. Da sind sich alle einig. Aber neben dem Ausbau von Windrädern brauchen wir eine effiziente Energiekonzeption mit entsprechenden Speicherkapazitäten. Sonst gibt es für den Strom keine Abnehmer und die Preise verteuern sich. Niedrige Energiepreise waren mal ein Standortvorteil für Deutschland. Diesen Vorteil haben wir im Moment nicht mehr. Deshalb müssen wir alle zur Verfügung stehenden Energiekapazitäten nutzen. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien gehört dazu auch die Nutzung heimischer Gasvorkommen. Außerdem sollte eine Expertenkommission über eine Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke über den 15. April 2023 hinaus entscheiden, wie es Volker Wissing vorgeschlagen hat.
Frage: Olaf Scholz sagte am Montag in Berlin: „Die Energiekrise ist weitgehend an uns vorbei gegangen“. Würden Sie zustimmen?
Djir-Sarai: Die Horrorszenarien, die nach dem 24. Februar entworfen wurden, sind nicht eingetreten. Aber die Energiepreise spielen für unseren Wirtschaftsstandort eine zentrale Rolle. Ebenso wie weitere Rahmenbedingungen für unsere Wettbewerbsfähigkeit, die einfach besser werden müssen. Wir brauchen die angesprochene Planungsbeschleunigung bei Verkehrs- und Energieinfrastruktur, die Abgabenlast im Hochsteuerland Deutschland muss gesenkt werden, Investitionen müssen gestärkt werden, und wir brauchen dringend qualifizierte Fachkräfte durch ein modernes Einwanderungsgesetz.
Frage: Sollten Arbeitnehmer zuwandern können, die kein Deutsch, aber Englisch sprechen?
Djir-Sarai: Genau für solche Fragen soll ja es die Chancenkarte mit Punktesystem geben, die die Fachkräftezuwanderung erleichtern soll. Englisch sollte in jedem Fall für die Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt hilfreich sein. Aber im Wettbewerb um die klügsten Köpfe und die fleißigsten Hände müssen wir noch einen Schritt weitergehen. Wer Englisch spricht, darf nicht an deutschen Behörden scheitern.
Frage: Englisch-Pflicht für Behörden?
Djir-Sarai: Wir erwarten von unseren Unternehmen, dass sie für englischsprachige Bewerberinnen und Bewerber offen sind. Dann kann man auch von unseren Behörden und Verwaltungen erwarten, dass sie diesen Menschen auf Englisch die volle Serviceleistung anbieten können. Deshalb wollen wir als FDP Englisch als zweite Verwaltungssprache in Deutschland etablieren.
Frage: Am Sonntag wählt Berlin. Der FDP droht die nächste Pleite.
Djir-Sarai: Die Berliner FDP steht in den Umfragen gut da. Deutschlands Hauptstadt hat mehr verdient als die jetzige chaotische linke Landesregierung, die es noch nicht einmal schafft, eine Wahl vernünftig zu organisieren. Eine starke liberale Stimme ist für die Stadt außerordentlich wichtig.