DJIR-SARAI-Gastbeitrag: Europa muss der iranischen Zivilbevölkerung jetzt helfen.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) und „faz.net“ den folgenden Gastbeitrag:

Mahsa Amini. Eine junge Frau, die ihr ganzes Leben vor sich hatte, wurde mit Gewalt aus dem Leben gerissen. Ihren Tod hat ein Regime zu verantworten, das Menschenrechte mit Füßen tritt und die eigene Bevölkerung auf das Brutalste unterdrückt. Und das nur, um verzweifelt den eigenen Führungsanspruch in einer Gesellschaft sicherzustellen, die dem Regime schon lange die Legitimation entzogen hat.

In diesen Tagen sehen wir todesmutige Frauen und Männer auf iranischen Straßen, die sich endgültig von den Fesseln ihrer grausamen Unterdrücker befreien wollen. Wir sehen Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfer, die ihr Leben riskieren in ihrem Kampf um Würde, Menschenrechte und Selbstbestimmung. Was wir sehen, ist eine Revolution.

Wenn die europäische Staatengemeinschaft — die sich auf genau den Werten begründet, für die die iranische Bevölkerung von der eigenen Führung abgeschlachtet wird — weltweit glaubwürdig und unerschütterlich für Freiheit und Menschenrechte einstehen will, muss sie ins Handeln kommen. Warme Worte allein können wir nicht länger wie eine Monstranz vor uns hertragen.

Es ist klar, was nun unmittelbar passieren muss: Die brutale Repression friedlicher Demonstrationen durch das iranische Regime muss sofort eingestellt werden. Die Umstände des Todes von Mahsa Amini müssen durch unabhängige Instanzen lückenlos aufgeklärt werden. Allen bereits erfolgten gewalttätigen Akten der Sicherheitsbehörden im Iran muss unabhängig nachgegangen werden. Es wäre jedoch töricht, anzunehmen, dass das iranische Regime dem unversehens nachkommt.

Daher ist es von überragender Bedeutung, dass Europa jetzt eine konkrete Strategie für den Umgang mit der Islamischen Republik entwickelt.

Erstens müssen die europäischen Staaten der iranischen Zivilbevölkerung uneingeschränkte Unterstützung zuteilwerden lassen. Die Mullahs und ihre Revolutionswächter haben in den letzten Jahren alle Oppositionsgruppierungen im Iran fast vollständig ausgeschaltet. An der kämpferischen Frauenbewegung beißen sie sich die Zähne aus. Die Forderungen der iranischen Frauen beschränken sich nicht auf Einzel-Reformen des Systems, sondern konzentrieren sich auf das, was das Regime am meisten fürchtet: Menschenrechte, Freiheit und Demokratie. Europäische Staaten, die sich aus Überzeugung eine feministische Außenpolitik verordnet haben, dürfen diese mutigen Frauen nicht im Stich lassen.

Essentiell ist, dass die Presse- und Internetzensur im Iran beendet wird. Der gesamten Bevölkerung muss umgehend ein umfassender Zugang zu Informationskanälen eröffnet werden. Dafür muss die EU unverzüglich prüfen, welche technischen Möglichkeiten ihr zur Verfügung stehen, um den freien Zugang zu Informationen zu fördern, beispielsweise durch den Aufbau einer VPN Infrastruktur. Diejenigen, die im Iran um ihr Leben fürchten, müssen die Möglichkeit einer Antragstellung für ein humanitäres Visum in deutschen Auslandsvertretungen im Iran und in iranischen Nachbarländern erhalten.

Langfristig muss bei außenpolitischen Entscheidungen mit Bezug zum Iran eine vorherige Anhörung von freiheitlich-demokratisch orientierten iranischen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen stattfinden können, die besondere Beachtung findet.

Zweitens muss die EU schnellstens schlagkräftige Sanktionen verabschieden, die zielgerichtet die iranische Oligarchie treffen. Es darf nicht sein, dass Mitglieder der Sittenpolizei, Angehörige der Revolutionsgarde und andere Regime-Treue, die schwerste Menschenrechtsverletzungen verantworten, gleichzeitig jegliche Vorzüge der Freiheit in Europa genießen können. Entsprechend muss eine Visa-Sperre verhängt und Vermögen in Europa eingefroren werden. Sollte dieses Vorhaben kurzfristig nicht im Gleichklang aller EU-Staaten möglich sein, muss Deutschland vorangehen und die Sanktionen im Rahmen einer Allianz der dazu gewillten Länder in Europa umsetzen. Klar ist: die Sanktionen dürfen nicht die iranische Zivilbevölkerung treffen, sondern das Regime.

Drittens muss sich die EU die dringende Frage stellen, ob die Fortsetzung des Atomabkommens JCPoA mit dem Iran im Lichte der dramatischen Entwicklungen noch vertretbar ist. Verhandlungen mit einem Regime zu führen, das jegliche Legitimation eingebüßt hat, ist hochgradig problematisch. Eine Fortsetzung der Atomverhandlungen mit dem Iran ist nur dann nachvollziehbar, wenn gleichzeitig und gleichrangig über die eklatanten Menschenrechtsverletzungen gesprochen wird. Auch die äußerst konfliktäre geopolitische Rolle des Iran muss unumwunden auf den Tisch. Der Iran erschüttert den gesamten Nahen und Mittleren Osten. Ob Irak, Syrien, Libyen oder Jemen – der Iran ist in der Region verantwortlich für Destabilisierung und eklatante Menschenrechtsverletzungen. Zudem unterstützt die iranische Führung Russland im völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine mit Drohnen und verfolgt darüber hinaus das Ziel, Israel von der Landkarte zu tilgen. Ohne eine ernste und gleichwertige Berücksichtigung dieser Aspekte ist die Fortführung des Atomabkommens sinnlos.

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