BUSCHMANN-Interview: Die Koalition ist besser als ihr Ruf
FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann gab der „Frankfurter Rundschau“ (Samstag) und „FR.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Markus Decker und Eva Quadbeck.
Frage: Herr Buschmann, die Klimakleber von der „Letzten Generation“ machen zunehmend auf sich aufmerksam. Wie schätzen Sie diese Szene ein? Wird sie noch größer und aktiver?
Buschmann: Bei der „Letzten Generation“ handelt es sich um Leute, die bereit sind, zur Erreichung eines politischen Ziels Straftaten zu begehen. Damit stellen sie sich ins Abseits. Das Gesetz gilt für alle. Von Vergleichen mit der RAF halte ich aber nichts. Die RAF hat Menschen umgebracht und Kaufhäuser angezündet. Bislang haben Mitglieder der „Letzten Generation“ solch schwere Straftaten nicht begangen. Das ändert aber nichts daran, dass Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und Nötigung völlig inakzeptabel sind. Das darf niemals ein Instrument der politischen Auseinandersetzung sein.
Frage: Geht von den Aktivist:innen trotzdem eine Gefahr für den Staat aus?
Buschmann: Man sollte nicht so tun, als wären Straftaten dann eine Kleinigkeit, wenn sie nicht sofort den Staat aus den Angeln heben. Wenn wir aber einmal anfangen, das zu akzeptieren, können Straftaten als Mittel der politischen Auseinandersetzung Schule machen. Dann werden sich auch Querdenker, Rechtsextreme und wer sonst noch auf sogenannten zivilen Ungehorsam berufen. Wir dürfen hier unsere Maßstäbe nicht verschieben.
Frage: Schöpft der Rechtsstaat seine Mittel gegen die Klimakleber denn aus?
Buschmann: Als Bundesjustizminister tut man nicht gut daran, einzelne Urteile mit Noten zu versehen. Das ist nicht im Sinne der Gewaltenteilung. Was sich aber zeigt, ist, dass sich die Praxis der ausgesprochenen Strafen in den Bundesländern stark unterscheidet. Wichtig ist mir vor allem, dass aus jeder strafrechtlichen Verurteilung die klare Botschaft hervorgeht: Egal, wie sympathisch oder unsympathisch man die Motivation findet – Straftaten wie zum Beispiel Sachbeschädigung, Nötigung, Hausfriedensbruch oder ein gefährlicher Eingriff in den Luftverkehr sind in der Demokratie kein legitimes Instrument der politischen Auseinandersetzung.
Frage: Stehen neben strafrechtlichen nicht auch zivilrechtliche Konsequenzen an?
Buschmann: Wer Flughäfen blockiert, der muss wissen, dass er zum Teil erhebliche wirtschaftliche Schäden verursacht. Da kommen sehr große Geldbeträge zusammen. Wenn die Geschädigten die Schäden gegenüber den Verursachern geltend machen, dann werden sie diese Schäden unter Umständen ein Leben lang abzutragen haben. Deshalb sollte jeder die Finger davonlassen, sich unbefugt Zutritt auf Flugfelder zu verschaffen. Denn das hat nicht nur eine strafrechtliche, sondern auch eine zivilrechtliche Dimension.
Frage: Wie bewerten Sie die in Bayern praktizierte Vorbeugehaft? Das Polizeigesetz sieht sie ja eigentlich für die Terrorabwehr vor.
Buschmann: Das bayerische Polizeirecht erlaubt den Präventivgewahrsam nicht nur für die Terrorabwehr. Ich glaube dennoch, dass die Praxis in Bayern ein Stück weit übers Ziel hinausschießt. Denn hier muss jemand, der nur womöglich etwas tun will, mit dem Präventivgewahrsam einen Freiheitsentzug erdulden, während der, von dem schon feststeht, dass er etwas getan hat, dafür womöglich lediglich mit einer Geldstrafe sanktioniert wird. Ich sehe darin eine Unwucht. Es gibt bei vielen Juristen ein Störgefühl, was die Verhältnismäßigkeit dieser Praxis angeht. Aber wir sind ein Rechtsstaat. Betroffene, die sich ungerecht behandelt fühlen, können den Rechtsweg beschreiten.
Frage: Strittig bleibt auch die Vorratsdatenspeicherung. Sie soll nur bei schweren Verbrechen zum Zuge kommen, könnte bei geringfügigeren Delikten aber ebenfalls zweckentfremdet werden. Sind Sie deshalb dagegen?
Buschmann: Das zentrale Argument gegen die Vorratsdatenspeicherung ist, dass Millionen Bürger, die sich nie etwas zuschulden kommen lassen, unter Generalverdacht gestellt werden und einen Eingriff in ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht erdulden sollen. Das alte Gesetz in Deutschland zu dieser anlasslosen Massen-Speicherung ist grundrechtswidrig und wird nicht angewandt. Ich schlage stattdessen das Quick-Freeze-Verfahren vor. Dabei werden Daten in dem Moment eingefroren, in dem ein konkreter Verdacht für eine schwere Straftat besteht. Wenn dieser sich konkretisiert, können sie genutzt werden. Wir wollen eben nicht 83 Millionen Menschen in Deutschland anlasslos unter Generalverdacht stellen.
Frage: In der Frage gibt es ein anhaltendes Gerangel mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Wie wollen Sie das denn auflösen?
Buschmann: Wir haben diese Frage bereits im Koalitionsvertrag beantwortet. Dort steht, dass Daten anlassbezogen und mit Richtervorbehalt gespeichert werden können. Das sieht das Quick-Freeze-Modell vor. Wenn wir uns auf der Ministerebene dennoch nicht einigen können, dann wird sich wohl der Koalitionsausschuss mit dem Thema befassen müssen. Ich sehe nicht, dass die Formulierungen des Koalitionsvertrages da viel Spielraum lassen. Eines ist mir aber besonders wichtig: Die Debatte um die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist ungefähr 20 Jahre und zahlreiche Urteile gegen sie alt. Eine Regelung, die konform ist mit dem Grundgesetz und der Europäischen Grundrechtecharta, ist überfällig. Damit könnten wir einen Schlussstrich ziehen und den Ermittlern endlich ein rechtssicheres Instrument an die Hand geben. Alle sind sich einig, dass Quick Freeze genau das leisten könnte.
Frage: International steht weiterhin die Rechtsfrage im Raum, wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine geahndet werden kann. Denn der Angriff selbst kann vom Internationalen Strafgerichtshof nicht verfolgt werden. Nun schlägt die Ukraine dafür ein Sondertribunal vor. Was halten Sie davon?
Buschmann: Es finden bereits jetzt Ermittlungen statt, was Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine angeht. Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt. Der Generalbundesanwalt ermittelt. Viele andere Länder ermitteln ebenfalls. Insbesondere ermittelt der Generalstaatsanwalt der Ukraine. Allein er hat fast 50 000 Fälle dokumentiert. Oft geht es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es gibt aber einen Straftatbestand, dessentwegen der Internationale Strafgerichtshof nicht ermitteln kann: das ist der Angriffskrieg gegen die Ukraine an und für sich. Das würde sich nur ändern, wenn Russland eine Überweisung des Falles an den Internationalen Strafgerichtshof durch den UN-Sicherheitsrat mittragen würde oder den völkerrechtlichen Vertrag zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes ratifizieren würde. Beides wird Russland nicht tun. Nun hat die Ukraine ein Sondertribunal vorgeschlagen. Es gibt andere Ideen. Wir sind für die Debatte offen. Wir müssen aber auf eines achten: Wir dürfen den Internationalen Strafgerichtshof auf keinen Fall schwächen. Denn diese Institution ist eine Errungenschaft.
Frage: Würde ein Sondertribunal zu einer solchen Schwächung führen?
Buschmann: Die Sorge hat nicht zuletzt der Internationale Strafgerichtshof selbst geäußert. Die Sorge gibt es aber auch bei den Vereinten Nationen. Viele Staaten des globalen Südens sind skeptisch. Denn der Großteil der Fälle, mit denen sich der Internationale Strafgerichtshof befasst hat und befasst, betrafen Afrika. Dort darf nicht der Eindruck entstehen, für Afrika sei der Strafgerichtshof gut genug, aber sobald etwas in Europa passiert, wird eine besondere Institution geschaffen.
Frage: Kriegsverbrechen können, wie Sie sagen, vom Strafgerichtshof verfolgt werden. Rechnen Sie damit, dass dies auch geschieht? Und wird es Ermittlungen gegen Präsident Wladimir Putin geben?
Buschmann: Man muss hier zwischen der nationalen und der internationalen Gerichtsbarkeit unterscheiden: Der Generalbundesanwalt kann in Deutschland gegen Herrn Putin nicht ermitteln. Er ist Staatsoberhaupt und genießt deshalb Immunität. Der Internationale Strafgerichtshof kann gegen Herrn Putin ermitteln – etwa wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und das ist kein hypothetischer Fall. Denn das, was wir in der Ukraine sehen, könnte von Gerichten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet werden – also, wenn Menschen durch gezielte Vernichtung ziviler Infrastruktur ohne Strom und Heizung einem Winter mit Temperaturen von minus 30 Grad ausgesetzt werden. Ein Indiz dafür, dass Herr Putin direkt dafür verantwortlich ist, könnten etwa seine Fernsehansprachen sein, in denen er erklärt, dass dies eine gewünschte Taktik sei.
Frage: Zum Schluss zur Ampelkoalition. Sie hat im ersten Jahr vor allem gestritten. Bleibt das so? Oder zieht die Ampel künftig mehr an einem Strang?
Buschmann: Natürlich wünschen wir uns alle mehr Harmonie und noch mehr Tempo. Aber ich bezweifle, dass die letzte große Koalition weniger gestritten hat. Und damals waren die Zeiten viel ruhiger als heute. Wir bilden eine Koalition, die es so noch nicht gegeben hat, und die sofort einer Kombination mehrerer Krisen gleichzeitig gegenüberstand, wie sie dieses Land bisher noch nicht erlebt hat. Entscheidend ist, dass wir für große Probleme gute Lösungen gefunden haben. Die Lage im Land ist doch deutlich stabiler, als es viele noch im Spätsommer erwartet hatten. In der internationalen Presse schwingt mitunter große Achtung mit vor der Leistung dieser Regierung. Insofern ist die Ampel in ihren Ergebnissen besser als ihr Ruf.
Frage: Und was ist mit der FDP? Sie sackt in den Umfragen ab. Müssen Sie mehr „FDP pur“ wagen, wie etwa Wolfgang Kubicki fordert?
Buschmann: Ich bin seit 1994 Mitglied der Freien Demokratischen Partei. Dabei gab es immer Aufs und Abs. Damit muss man umgehen können. Der Hinweis von Wolfgang Kubicki, dass unsere Koalitionspartner immer wieder Konflikte anstoßen über Fragen, die im Koalitionsvertrag längst geregelt sind, ist im Übrigen berechtigt. Wir haben den Koalitionsvertrag schließlich geschlossen, um Konflikte zu regeln, und nicht, um sie immer wieder neu auszutragen. Sich am Koalitionsvertrag zu orientieren, könnte ein guter Beitrag zu einem besseren Klima sein – und zu einer noch besseren Regierungsarbeit.