LINDNER-Rede auf dem 69. FDP-Bundesparteitag
Bearbeitete Mitschrift der Rede des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner beim 69. Ord. Bundesparteitag der Freien Demokratischen Partei am 12. Mai 2018:
Liebe Freundinnen, liebe Freunde, verehrte Damen, meine Herren, in diesen Tagen stellt sich im Nahen Osten wieder die Frage von Krieg und Frieden. Die Vereinten Nationen warnen vor einem neuen Flächenbrand. Statt von freiem Welthandel zu sprechen, fürchten wir Welthandelskriege. In Syrien und darüber hinaus droht eine Konfrontation mit Russland. Die Vereinigten Staaten sind zivilisatorisch in den Unilateralismus zurückgefallen und China hat den offenen Ehrgeiz in diesem Jahrhundert, politisch und ökonomisch eine Supermacht zu werden. Abschottung, Unilateralismus, militärische Eskalation gewinnen auf der Welt an Boden. Als Liberale halten wir an Offenheit, an Multilateralismus und Diplomatie fest. Nicht weil wir naiv sind, sondern weil das die Lehre der Geschichte ist.
Liebe Freunde, auf all diese Krisen gibt es keine einfache, schnelle Antwort. Aber wir wissen doch eins: jede mögliche Antwort beginnt mit einem Wort und dieses Wort heißt Europa.
Auf dem Katholikentag gestern hat auch die Frau Bundeskanzlerin die Einheit Europas gefordert. Und sie hat dem Multilateralismus eine echte Krise attestiert. Als aber unsere Partner Frankreich und Großbritannien sich kürzlich aufgemacht haben, auf den Zivilisationsbruch eines Giftgas- Angriffs in Syrien zu reagieren, da hat Frau Merkel eine deutsche Beteiligung öffentlich ausgeschlossen. Obwohl wir nicht gefragt wurden. Obwohl nach zwölf Jahren CDU-Ministerverantwortung die Bundeswehr dazu überhaupt kaum in der Lage wäre. Das war innenpolitische Opportunität. Um es freundlich zu sagen, die Einheit des Westens und Europas darf aber nicht in Zweifel gezogen werden, um innerhalb Deutschlands beliebt zu werden.
Liebe Freundinnen und Freunde, binnen einer Woche waren der französische Präsident und die Bundeskanzlerin in Washington zu Gast. Der eine drei Tage mit militärischen Ehren. Die andere drei Stunden bei Wasser und Brot. Das war nicht nur eine protokollarische Ohrfeige. Es war der Beleg, dass Europa gegenwärtig auf der Weltbühne nicht mit einer Stimme spricht. Und dabei darf es nicht bleiben, wenn wir Einfluss behalten, wenn wir neuen Einfluss gewinnen wollen.
Deutschland sollte die Initiative zu einem EU-Sondergipfel ergreifen, damit Europa zu Iran, Syrien und Freihandel mit einer Stimme spricht. Dieser Kontinent muss seine Schockstarre überwinden.
Am Donnerstag hat der französische Präsident Macron in Aachen den Karlspreis erhalten. Und einmal mehr hat er konkret geworben für seine europäische Agenda. Frau Merkel hat dort auch gesprochen. Und einmal mehr blieb sie unkonkret und vage, was ihre und was die deutsche Position dazu ist. Es ist wahr, wir unterstützen nicht jede Idee von Macron. Damit sind wir nicht allein. Damit sind wir nicht allein, wenn ich an unsere Partner und Freunde in Europa denke, die eben hier ja auch Grußworte an uns gerichtet haben. Aber mit uns hätte Macron gewusst, woran er ist. Die Bundeskanzlerin hingegen steht zwischen CDU und SPD.
Sie fürchtet Umfragen und AfD. Der Vertrag der Großen Koalition geht einen Schritt nach vorne. In der Regierungserklärung geht sie einen Schritt zurück. Die SPD geht einen Schritt nach links. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht einen Schritt nach rechts. Deshalb bewegt sich nichts. Wenn aber Deutschland sich nicht bewegt, wird sich auch in Europa nichts bewegen und deshalb muss der durch unser Land verursachte Schwebezustand endlich überwunden werden.
Jetzt ist Leadership nötig. Frau Merkel, sagen Sie, was Sie für richtig halten, wovon Sie in der Europafrage überzeugt sind und kämpfen Sie dafür! Wenn Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher 1989 die gleiche Zögerlichkeit gehabt hätten wie Frau Merkel heute, hätte es die Deutsche Einheit niemals gegeben. Spätestens nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs leider aus der Europäischen Union wächst uns eine besondere Verantwortung zu. In dieser Zeit sind: Nein, vielleicht, später — zu wenig. Es ist jetzt langsam Zeit für das deutsche Ja zu Europa, liebe Freundinnen und Freunde.
Ja. Ja zu einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik mit einer Stimme. Ja zu einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft unter dem Dach der NATO. Ja zu einem EU-Haushalt mit Schwerpunkten bei Zukunftstechnologien. Ja zu einem digitalen Binnenmarkt. Ja zu gemeinsamer Handelspolitik. Ja zu einem europäischen FBI zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität. Ja zu gemeinsamer europäischer Energie- und Klimapolitik. Ja zu europäischem Grenzschutz und europäischer Asylpolitik. Ja zu einem europäischen Bildungsraum. Ja zu europäischer Grundlagenforschung. Ja zu einem europäischen Währungsfonds im Dienste der finanzpolitischen Eigenverantwortung. Ja zu einer schlanken EU-Kommission mit 15 Kommissaren. Es gibt nur europäische Handlungsfähigkeit oder keine Handlungsfähigkeit, liebe Freundinnen und Freunde.
Auf diese Jas sollten wir uns konzentrieren. Denn dort gibt es eine Chance auf Gemeinsamkeit, wie wir aus unseren Gesprächen mit unseren europäischen Partnern und Freunden wissen. Unser Kontinent darf jetzt sein Rendezvous mit der Geschichte nicht verpassen. Diesem Bundesparteitag liegt eine europapolitische Initiative vor, von Volker Wissing, Michael Link und den Bundesfachausschüssen vorbereitet, die unser liberales Ja zu Europa konkretisieren kann. Ich empfehle diese Initiative Ihnen und Euch für das Alex-Müller-Verfahren der besonderen Aufmerksamkeit.
Liebe Freundinnen und Freunde, wie viel uns mit Großbritannien verbindet, zeigt die große Anteilnahme in den Illustrierten an der bevorstehenden königlichen Hochzeit. Die Briten haben sich aber entschieden, die Europäischen Union zu verlassen. Bei einer Delegationsreise der FDP-Bundestagsfraktion haben wir erfahren, wie wenig planvoll der Brexit gestaltet wird und dass selbst die heutigen Entscheider in der Regierung diesen Weg ihres Landes für töricht halten. Diese Entscheidung für falsch halten.
Erinnern wir uns mal, die angeblichen Stimmen des Volkes haben seine Ängste geschürt, um das Volk danach mit dem Scherbenhaufen alleine zu lassen. Was für eine Warnung an all diejenigen, die mit Rechtspopulisten auch in Deutschland sympathisieren. Aber der Brexit wird kommen. Die Würfel sind gefallen. Mich überrascht und macht betroffen, wie wenig sich unser Land und seine Regierungen in Bund und Länder mit dieser Frage beschäftigen. Es hat nämlich enorme Auswirkungen auf die Wirtschaft, auch auf unser kulturelles Leben. Und deshalb hat die FDB-Bundestagsfraktion eine große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, weil wir detailliert wissen wollen, was sind mögliche Auswirkungen und was gedenkt die Bundesregierung zu tun. Die Referatsleiter in den Ministerien haben gestöhnt, aber diese Arbeit ist erforderlich. Sie muss jetzt geleistet werden. Und zum anderen muss das zukünftige Verhältnis zu Großbritannien geklärt werden. Für uns ist klar, dass die Integrität der Europäischen Union nicht gefährdet werden darf. Es darf keine falschen Rabatte geben. Aber genauso klar muss doch auch sein, dass das Vereinigte Königreich nicht irgendein x-beliebiger Partner auf der Welt ist, sondern dass wir eine special relationship anstreben sollten. Großbritannien verlässt die EU. Großbritannien verlässt aber nicht die Europäische Werte- und Interessengemeinschaft liebe Freundinnen und Freunde.
Auf allen Ebenen sollten wir die bilateralen Beziehungen nun stärken. Wir sollten alles tun, was verantwortbar ist und was mit unseren Interessen vereinbar ist. Dass die Briten sich mit romantischer Wehmut an die gute Zeit in der EU erinnern. Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass man auf der Insel dereinst und vielleicht noch zu meinen Lebzeiten den Mut fasst, in die Europäische Union zurückkehren zu wollen. Deshalb darf es zu keiner Entfremdung kommen.
Liebe Freunde, die Vereinigten Staaten sind unser traditioneller Verbündeter, aber ohne Zweifel werden diese Beziehungen gerade einem intensiven Stresstest ausgesetzt. Aus dem Außenministerium hört man gar das Wort von einem Bruch. Wir haben wahrgenommen, dass es über Monate eine Funkstille gegeben hat zwischen dem Weißen Haus und dem Bundeskanzleramt. Die Vereinigten Staaten sind aber nicht Trump. Dort gibt es auch eine Zivilgesellschaft. Dort gibt es im Übrigen auch eine Opposition. Die Fehler im Verhältnis mit Russland dürfen sich in Beziehungen zu den Vereinigten Staaten nicht wiederholen. Gerade dann wenn Beziehungen schwierig sind, braucht es nicht weniger Dialog, sondern gerade dann braucht es mehr Dialog. Ich wiederhole mich, aber ich bin davon überzeugt, Donald Trump seine vier oder gar acht Jahre dürfen nicht zerstören, was zuvor über Jahrzehnte aufgebaut worden ist.
Wir leisten als liberale Familie unseren bescheidenen Beitrag. In diesem Sommer wird die Friedrich-Naumann Stiftung für die Freiheit einen neuen transatlantischen Freiheitsdialog gründen, den ich zusammen mit dem künftigen Stiftungsvorsitzenden Karl-Heinz Paqué in Washington eröffnen werde. Die europäische Antwort auf die amerikanische Drohung mit einem Handelskrieg sollte der Einsatz für mehr Freihandel sein. Sprechen wir es doch mal aus. Das was Trump macht in der Handelspolitik, das war doch der Wunschtraum von SPD, Grünen und Linkspartei in Deutschland. Warum also diese Krokodilstränen. Wenn es da ein ernsthaftes Umdenken gibt bei diesen Parteien, dann ist meine Forderung, das als Symbol und mehr der Deutsche Bundestag endlich das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada ratifiziert. Endlich!
Und bieten wir den Vereinigten Staaten doch an, TTIP aus dem Eisschrank zu holen. Wenn Herr Trump sich beschwert über Handelsbarrieren, dann bieten wir als Europäer doch an, dass wir wechselseitig auf jede Form von Handelseinschränkungen verzichten, denn Arbeitsteilung
ist im Interesse der Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Vereinigten Staaten haben sich nicht erst seit, aber insbesondere seit Donald Trump, von vielen Showplätzen auf der Erde zurückgezogen. Russland hat das Vakuum genutzt. Mit vergleichsweise geringen Mittel, aber mit großer Entschlossenheit hat Putin erreicht, dass kaum eine Krise ohne oder gegen Russland gelöst werden kann. Man denke nur an Syrien. Und für uns Liberale gilt darüber hinaus, was beim Fall des Eisernen Vorhangs versprochen worden ist. Russland hat seinen Platz im Haus Europa, wenn es sich an die Hausordnung hält.
Eine Konfrontation mit Russland kann auch niemand der bei klarem Verstand ist, ernsthaft wollen. Aber genauso wenig können wir Völkerrechtsbrüche tolerieren oder die Destabilisierung westlicher Gesellschaften durch Cyberangriffe. Und liebe Freundinnen und Freunde wie autoritär gegenwärtig in Russland gedacht wird, das zeigt, dass ein anerkannter deutscher Journalist wie der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt zur unerwünschten Person erklärt wird. Ich finde das muss ein Anlass für den Bundesaußenminister sein, dem russischen Botschafter zu erklären, was wir unter Presse- und Meinungsfreiheit verstehen.
Liebe Freunde, wenn eine Eskalation verhindert werden soll, dann ist in der Russlandpolitik neues Denken nötig. Das habe ich bereits vor der Bundestagswahl mit Blick auf die Krim und mit einer gewissen öffentlichen Anteilnahme gesagt. Wir sollten uns an die deutsche Ostpolitik erinnern deren Pointe ja war, eiserne Konsequenz einerseits zu verbinden mit immer neuen Dialogangeboten andererseits. Nur diese Doppelstrategie hat es vermocht, die Ost-West-Konfrontation zu entschärfen. Heute bedeutet das, Russland wieder in den Kreis der G8, vielleicht G7 plus 1 einzuladen. Heute bedeutet das, die früher jährlich stattfindenden EU-Russlandgipfel wieder aufzunehmen. Heute bedeutet das, den Minsk-Prozess davon zu lösen, dass Putin sich immer noch mit nicht gehaltenen Zusagen der Regierung der Ukraine für eigenes Fehlverhalten entschuldigen kann. Heiko Maas hat mehr Dialog in der Vergangenheit etwa G7 plus 1 brüsk zurück gewiesen. Das ist an Ideenlosigkeit nicht zu überbieten.
Liebe Freunde, in diesen Fragen sind wir uns als Freie Demokraten völlig einig. Es gibt aber auch einen Aspekt, über den Diskussionen gewünscht wird. Thomas Kemmerich und unsere Thüringer Freunde wollen, dass der Westen einseitig und ohne eine Gegenleistung auf Sanktionen verzichtet. Und von seiner Initiative hat Thomas Kemmerich auch Wolfgang Kubicki überzeugt. Unsere Außenpolitiker raten ab, weil das den Hardlinern im Kreml in die Hände spielen würde. Der Westen, liebe Freundinnen und Freunde, erschiene defensiv und schwach, das hilft nicht. Es wäre der zweite Schritt vor dem Ersten.
Die entsprechenden Anträge befinden sich im Alex-Müller-Verfahren. Ich will das zum Anlass nehmen eins zu sagen: wir sind eine lebendige, liberale Partei. Ein Meinungsspektrum macht uns nicht schwach, sondern macht uns stark, weil wir die gemeinsamen Positionen mit geprüften Argumenten nach außen vertreten können. Niemand der hier eine am Ende unterlegene Meinung bei was auch immer vertritt, ist danach beschädigt. Durch solche Spekulationen lassen wir uns die Freude an der Kontroverse nicht nehmen liebe Freundinnen und Freunde. Ich weiß noch genau wie wir im Dezember 2013 hier genau an dieser Stelle zusammen gekommen sind, als außerparlamentarische Partei zum ersten Mal. Damals hat der Bundesparteitag Präsidium und dem Bundesvorstand den Auftrag erteilt, die Freien Demokraten zu erneuern und zurück in den Deutschen Bundestag zu führen. Heute ist der erste Bundesparteitag nach der Bundestagswahl und ich stelle fest in der Mitte unseres Parlaments gibt es wieder eine Stimme der freiheitsliebenden Menschen. Auftrag ausgeführt.
Für die wirklich freundschaftliche, offene, intensive Zusammenarbeit vor der Bundestagswahl während des Bundestagswahlkampfes und auch danach will ich mich ganz herzlich bedanken bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Präsidium, bei meinen Vizes Wolfgang Kubicki, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Katja Suding für ihre unermüdlichen Wahlkampfeinsätze. Bei unserer Generalsekretärin Nicola Beer und unserm Bundesschatzmeister Hermann Otto Solms für programmatische Impulse und kluges Wrtschaften.
Bei unserem früheren Bundesgeschäftsführer und heutigem ersten parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktion Marco Buschmann sowie dem gesamten Hans-Dietrich Genscher Haus für eine großartige Kampagne. Sein Nachfolger Marco Mendorf knüpft jetzt daran an. Ich danke den Beisitzern im Präsidium Michael Teurer, Volker Wissing, Frank Sitta, Alexander Graf Lambsdorff, Christian Dürr und Uli Rülke, denen keine Mühe im Wahlkampf zu groß und keine Debatte zu lang war, herzlichen Dank für euer Engagement. Und ich danke den beiden anderen parlamentarischen Geschäftsführern unserer Bundestagsfraktion Florian Toncar und Stefan Ruppert, die gemeinsam mit Marco Buschmann dafür gesorgt haben, dass die liberale Bundestagsfraktion nicht nur handlungsfähig ist, sondern dass wir ein echter Pionier digitaler Parlamentsarbeit geworden sind.
Und vor allem danke ich Ihnen allen unseren Ehrenamtlern und Mitgliedern und den großartigen Jungen Liberalen für das große Vertrauen, das vielfältige Engagement und die starken Nerven während der vergangenen vier Jahre. Dankeschön.
Zum ersten Mal, ist schon so lange her, aber machen wir uns das noch mal klar: Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Republik ist eine Partei, die zuvor komplett aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden ist, in das Parlament zurückgekehrt. 2013, 2014, 2015, noch 2016 hat daran kaum ein Beobachter geglaubt. Das es dennoch möglich geworden ist, liegt an Ihnen, liegt an uns und das ist für uns Grund zum Stolz und zu einem gewissen Selbstbewusstsein.
Wir waren, wir sind und wir bleiben eine Partei der Individualisten, die aber gelernt haben für gemeinsame Ziele einzutreten. Wir haben außerhalb des Parlaments Teamwork gelernt und genau daran werden wir innerhalb des Parlaments festhalten liebe Freundinnen und Freunde. Weil das unseren Erfolg mit ausgemacht hat.
Und nun schauen wir nach vorn. Die Halbwertszeit von politischen Stimmungen wird kürzer. Wer sich von ihnen abhängig macht ist verloren. Nicht Umfragen sollten Politiker regieren, sondern Politiker mit Überzeugungen sollten versuchen Umfragen zu regieren. Gerade eben noch hieß es, die Grünen hätten Konjunktur. Und dann wird in Freiburg ein grüner Oberbürgermeister abgewählt und in Jena ein freier Demokrat gewählt. Herzlichen Glückwunsch lieber Thomas Nitzsche. Die politische Landschaft ist in Bewegung geraten. Wir haben uns für einen harten und riskanten Weg entschieden, um an der Gestaltung unseres Landes mitzuwirken. Jetzt aber sprechen auch Union, SPD und Grüne von einer Neuerung, von der Notwendigkeit neuer Ideen. Von der Notwendigkeit neuer Grundsatzprogramme. Es kommen andere Köpfe, andere Programme und andere Konstellationen. Das belebt den Wettbewerb in der deutschen Demokratie und das ist auch gut so, endlich! Deshalb aber liebe Freundinnen und Freunde macht es keinen Sinn, sich an den Köpfen von heute und den Ideen von jetzt und den Konstellationen von gestern weiter abzuarbeiten. Sollen andere sich noch weiter an der FDP reiben, wir beschäftigen uns mit den Fragen des Landes und wie wir selbst besser werden können liebe Freundinnen und Freunde. Denn nach der Erneuerung der FDP ist vor der Erneuerung der FDP.
Fangen wir doch bei dem an, was uns am nächsten ist. Nämlich uns selbst. Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht. Eine Bundestagsfraktion mit 80 Abgeordneten, drei Regierungsbeteiligungen in den Ländern, die unsere politische Eigenständigkeit betonen, denn wir regieren mit Union, SPD und Grüne. Wir haben wieder über 63.000 Mitglieder. Als wir mit der Kreisvorsitzendenkonferenz im Frühjahr, ich glaube Februar 2014 in Erfurt, mit unserem Erneuerungsprozess begonnen haben. Damals war unser Ziel, eine stabile Anhängerschaft von acht Prozent zu erreichen. Das erschien zu einer Zeit, als wir bei der politischen Stimmung bei ein bis zwei Prozent standen, utopisch, aber wir haben dabei große Fortschritte erzielt. Wir sind ein besonderes politisches Angebot. Nicht jeder teilt unser Lebensgefühl, nicht jeder teilt unsere Werte, wir sind eben kein konturloses Mehrheitsprogramm. Aber es gibt viel mehr Menschen, die unser Lebensgefühl teilen, die unsere Werte unterstützen, als uns in der Vergangenheit oder gegenwärtig gewählt haben. Nicht als Selbstzweck sollten wir einen höheren Marktanteil anstreben, sondern weil wir die politische Richtung im Land beeinflussen wollen. Nach dem Comeback der vergangenen vier Jahre kommt jetzt die nächste Etappe — eine liberale Wachstumsstrategie, die diese Partei in der Mitte der Gesellschaft verankert, als eine zweistellige liberale Kraft, wie es sie anderswo in Europa gibt.
Liebe Freunde, weil wir wachsen wollen, müssen wir in unsere Kampagnenfähigkeit investieren. Wir haben in den Jahren der außerparlamentarischen Opposition seit 2013 jede Landtags- und jede Kommunalwahl zu einem Projekt der ganzen FDP gemacht. Denn bei jeder Kommunalwahl in Land A spüren wir den Einfluss der vorhergehenden Landtagswahl im Land B. In der Mediendemokratie zahlt jede Wahlentscheidung auf das Rating der gesamten FDP ein. Und das Ergebnis unserer gemeinschaftlichen Wahlkampfführung waren großartige Kampagnen, überraschende Wahlerfolge und viele Kreativpreise. Jetzt würde diese Phase planmäßig zu Ende gehen. Jeder würde auf eigene Faust arbeiten wie vorher. Wollen wir das denn? Ich rate ab. Daher begrüße ich, dass aus der Mitte der Landesverbände eine Initiative ergriffen wurde, diese Professionalität auf Dauer mit der Fortsetzung eines Kampagnenfonds der Landesverbände zu erhalten. Dabei geht es nicht um die Wahlkämpfe oder die Finanzen der Bundespartei. Die sind gesichert und solide. Es gibt auch nicht die Möglichkeit, dass die Bundespartei eintritt. Wir haben einen großen Investitionsbedarf auf der Bundesebene ebenfalls identifiziert. Etwa bei der Digitalisierung der Parteiarbeit und unser Ziel soll sein, dass wir die seit Jahrzehnten andauernde Überschuldung der Partei in den nächsten Jahren überwinden. Die Bundespartei wird es nicht übernehmen können. Es geht darum, dass wir auch bei Landtags- und Kommunalwahlen nicht hinter die Professionalität des Jahres 2015 zurückfallen. Wir sollten unseren Modernitätsvorsprung ausbauen und nicht wieder zurücknehmen liebe Freundinnen und Freunde.
Weil wir wachsen wollen, müssen wir bei Frauen stärker werden. Denn es wählen uns mehr Männer als Frauen. Seit den 1970er Jahren haben wir hier ein ungehobenes Potential. Grüne und Linke wollen tendenziell jeden Unterschied zwischen den Geschlechtern nivellieren. Und die AfD andererseits macht eine Gesellschaftspolitik der 50er Jahre mit dem Frauenbild von Kinder, Küche, Kirche inklusive der Rückkehr des Schuldprinzip im Scheidungsrecht. Beides ist auf eigene Weise ideologisch. Die Union verweigert jede Modernisierung. Beispielsweise im Strafrecht bei Paragraph 219a. Die Union, liebe Freundinnen und Freunde, verweigert sich einer Modernisierung im Strafrecht, wenn es um die schlichte Information über legale Schwangerschaftsabbrüche geht. Und sie tut das aus Angst vor der AfD und evangelikalen Christen und Abtreibungsgegnern, die dort hinwandern könnten. Angst ist aber ein schlechter Ratgeber für die Modernisierung eines Landes.
Und die SPD, Frau Nahles hat da noch angekündigt, man wolle sich dieses Mal in der Großen Koalition selbstbewusster präsentieren und auf Eigenständigkeit achten. Ja verehrte Frau Nahles, in Ihrem Koalitionsvertrag gibt es ja keine Festlegung dazu, beschließen Sie mit uns gemeinsam doch eine Modernisierung des Paragraphen 219a. Haben Sie Mut zu einer eigenen Position. Jedenfalls, die FDP ist die wirkliche Alternative für Frauen, die selbstbestimmt leben wollen, die wirtschaftliche Vernunft wollen, die eine moderne Gesellschaftspolitik wollen. Die sich aber selbst von jeder Form der Genderideologie freimachen möchten. Für die sind wir das Angebot. Der Modernisierungsbedarf, speziell bei Frauen betreffenden Themen ist unverändert groß. Ich komme später noch mal bei der Frage der Bildung darauf zurück, der frühkindlichen Betreuung. Aber wie ist es beispielsweise bei nicht-erfüllten Kinderwünschen in unserem Land? Warum ist die nicht-kommerzielle Leihmutterschaft woanders möglich? Bei uns wird noch nicht einmal darüber diskutiert. Warum haben wir, liebe Freundinnen und Freunde, warum haben wir in der Reproduktionsmedizin immer noch feste Altersgrenzen, obwohl die Menschen länger leben, länger gesund sind? Nicht das Geburtsdatum im Pass sollte entscheiden, ob eine Krankenkasse eine Kinderwunschbehandlung finanziert, sondern die individuelle Lebens- und Gesundheitslage der Frau. Das wäre moderne Gesellschaftspolitik und Individualität.
Um für Frauen attraktiver zu werden, müssen wir also unser programmatisches Profil schärfen. Wir müssen aber auch unsere Organisation auf den Prüfstand stellen. Denn wir haben mehr männliche als weibliche Mitgliede, von Führungsgremien und Fraktionen gar nicht zu reden. Das Präsidium hat daher eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die offen diskutieren soll und uns Vorschläge unterbreiten wird. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse und wir sollten doch ergebnisoffen diskutieren, was kommt. Kommt der Vorschlag, dass wir eine männliche und weibliche Doppelspitze im Vorsitz brauchen, dann diskutieren wir das und machen wir das vielleicht bei meinem Nachfolger. Im Ernst, jetzt haben die Jungen Liberalen gerade mit Ria Schröder eine neue Vorsitzende gewählt und mehr noch, die Jungen Liberalen haben ohne Quote einen mehrheitlich weiblichen Vorstand gewählt und das zeigt, die einfachsten Instrumente sind nicht immer die besten Instrumente. Davon sollten wir uns leiten lassen.
Liebe Freundinnen und Freunde, zuletzt drittens weil wir wachsen wollen, müssen wir im Osten stärker werden. Wir haben keine Parlamentsfraktion in Ostdeutschland. Dabei sind wir eine gesamtdeutsche Partei. Dabei haben Freie Demokraten über Jahrzehnte für die Deutsche Einheit gestritten. In Ostdeutschland gab es eine friedliche Freiheitsrevolution und deshalb wollen wir gemeinsam in den nächsten Jahren dafür kämpfen, dass die Partei von Hans-Dietrich Genscher auch wieder in ostdeutschen Parlamenten mitarbeiten kann. Wir müssen unsere Organisation in Ostdeutschland in der Fläche stärken. Es gibt zu viele weiße Flecken. In der Sozial-, in der Russlands- und in der Einwanderungspolitik setzen wir eigene Akzente, die in West- und Ostdeutschland zugleich von mehr Menschen geteilt werden können. Wir müssen anerkennen, dass es in Deutschland auch Mentalitätsunterschiede gibt zwischen Nord und Süd, aber auch zwischen West und Ost. Und deshalb brauchen unsere regionalen Gliederungen möglicherweise etwas mehr inhaltliche Gestaltungsfreiheit als in der Vergangenheit.
Liebe Freunde, weil wir wachsen wollen, müssen wir aber vor allen Dingen in der Sache weiter das Zukunftslabor der deutschen Politik sein. Die Welt wird mit einem atemberaubenden Tempo eine Andere. Der Philosoph Peter Sloterdijk würde wohl von einem Weltformwechsel sprechen. Anders gesagt, die alten Gleichungen gehen nicht mehr auf. Wer kann heute voraussehen, wie die Welt, wie Deutschland im Jahr 2030 aussehen werden? Aber wir haben es in der Hand, darauf Einfluss zu nehmen. Die entfesselnde Dynamik in der Internationalen Politik, den Märkten, in den Technologien. Das ist ein Appell zu handeln. Ohne Alarmismus, aber mit Entschlossenheit. Und wir sehen, dass andere auf der Welt handeln. Die einen mit heißer Leidenschaft, die anderen mit eiskaltem Kalkül. Manche Tat beeindruckt uns, andere lehnen wir ab. Aber ohne Zweifel gibt es couragierte Richtungsentscheidungen anderswo. Bei uns in Deutschland gilt dagegen: wir sind in einen gestaltungsfreien Drift geraten ohne Leidenschaft und ohne Kalkül. Wir treten dafür an, dass Deutschland nicht länger Objekt des Wandels wird, sondern wieder Gestalter des Wandels, liebe Freundinnen und Freunde.
Und das hat auch etwas mit der mentalen Verfasstheit eines Landes zu tun. Was sagt uns das? Wenn wir nicht über die Chancen der Blockchain-Technologie diskutieren, sondern ausgelassen den 200. Geburtstag von Karl Marx feiern. Für mich ist klar, ein Land dass sich mehr mit Karl Marx beschäftigt als mit Blockchain, ist dabei, den Anschluss in der Welt zu verlieren. Überhaupt, um das mal nebenbei zu sagen: Man kann sich ja nur wundern über die Elogen, die man da liest. Haben wir vergessen, dass im Namen von Karl Marx und seiner Lehre über Jahrzehnte und bis heute noch Millionen und Abermillionen Menschen in Unfreiheit gelebt haben? Das ist kein Grund zu feiern.
Auf neue Fragen kann man keine alten Antworten geben. Früher nannte man den Verzicht auf Visionen Realismus. Würde das heute noch gelten, hätten wir eine hyperrealistische Bundesregierung. Aber in einer Welt des disruptiven Wandels, da ist es nicht realistisch, nur kleine Schritte zu gehen. In einer Welt des radikalen Wandels ist es Realismus, auch große Schritte zu wagen. Weil wir Realisten sind, wenden wir uns gegen den machtvollen Status Quo, der eben keine Zukunft hat. Es ist eine Frage des Realismus.
Neulich hat der französische Präsident Macron ein vielbeachtetes Interview zur Künstlichen Intelligenz gegeben. Und zeitgleich hat der neue Infrastrukturminister Andreas Scheuer eine App vorgestellt, mit der die Menschen Funklöcher melden können. In Frankreich wurde ein Digitalministerium eingerichtet. In Deutschland hat Horst Seehofer ein Heimatministerium bekommen, vielleicht weil er in Bayern keine mehr hat.
Anderswo wird Zukunft geschaffen. Die Vereinigten Staaten und China, die einen mit autoritärer Politik, die anderen mit ihrem leistungsfähigen Kapitalmarkt, sind führend bei der zukünftigen Schlüsseltechnologie der Künstlichen Intelligenz. In Deutschland gibt es von hundert Forschungsschwerpunkten der Welt in dieser Frage gerade mal zwei oder drei und alle finden sich hinter Platz 90. Liebe Freundinnen und Freunde, unser Land ist dabei, die Grundlagen für seinen zukünftigen Wohlstand zu verspielen und merkt es noch nicht einmal. Wir möchten, dass wir wieder auf Angriff spielen in der Welt, weil das die Wohlstandsfrage ist. Deshalb haben wir diesen präzisen Antrag unter Federführung von Nicola Beer erarbeitet, weil wir mit „Innovation Nation“ die Wohlstandsfrage dieser Gesellschaft stellen. Es gibt Arbeitsplatzverluste, die befürchtet werden durch die Digitalisierung. Auf der anderen Seite sehen wir, was für riesige Arbeitgeber, was für riesige Unternehmen, die Digitalkonzerne geworden sind. Also sorgen wir doch dafür, dass solche Arbeitsplätze auch bei uns entstehen. Dann müssen die Menschen keine Angst vor dem Verlust einer Beschäftigung haben. Was tun?
Dafür brauchen wir eine ungleich andere Entschlossenheit und Mut. Wir haben 1,4 Billionen Euro privaten Kapitals. Unter Verwaltung bei Lebensversicherungen oder Versorgungswerken. 1,4 Billionen Euro. Und der Staat gibt das Kommando durch seine Anlagebestimmungen, dass dieses Geld überwiegend fließt in Steine und Staatsanleihen. Die müssen nicht gegen Risiken abgesichert werden. Das ist geradezu eine Hürde, um in hoch innovative Unternehmen zu investieren, um Startups zu finanzieren und insbesondere das Wachstum von Unternehmen zu finanzieren. Sorgen wir doch dafür, dass etwas von unserem privaten Geld nicht nur in Steine und Staatspapiere geht, sondern auch in hoch innovative Unternehmensgründungen. Wenn Mario Draghi uns keinen Zins mehr gibt, dann besorgen wir uns eben selbst Rendite durch unternehmerisches Handeln.
Liebe Freunde, alle Welt spricht vom autonomen Fahren. Das wird es auch geben in Seoul, in Tokio, in Kalifornien und New York. Bei uns in der Eifel, auch in den 20er und vielleicht auch in den 30er Jahren nicht. Selbst wenn es die Technologie gibt. Weil bei uns nämlich das breitbandige Mobilfunknetz fehlt. Was die Voraussetzung dafür ist, dass autonomer Verkehr möglich ist. Wenn das so weitergeht, dann werden wir auch die neuen Breitband-Ausbau-Ziele nicht erreichen. Die 2018er Ziele hat die Regierung bereits gerissen. Jetzt gibt es eine Chance, weil Vodafone und Unity-Media zusammengehen. Jetzt gibt es eine Chance, dass in Deutschland etwas entsteht, was uns über Jahrzehnte technologischen Fortschritt und Wohlstand gebracht hat, nämlich Wettbewerb. Und deshalb wollen wir, dass nicht länger ein Unternehmen, der von der Politik gekürte, Monopolanbieter ist bei den Filetstück-Standorten, sondern dass uns der Wettbewerb um Kunden wieder die besten Lösungen und Angebote bringt.
Liebe Freundinnen und Freunde, unternehmerische Initiative erstickt in unserem Land in Bürokratie. Und unser Wunsch ist, allen die bürokratischen Fesseln abzunehmen. Ein erster Schritt könnte aber sein, dass überall dort, wo Neues gedacht und geschaffen wird, einmal experimentell auf bürokratische Regeln zu verzichten, auf Dokumentationsverpflichtungen, beispielsweise. Das ist unsere Idee von Digitalen Freiheitszonen, wie sie mit den Digitalen Modellregionen in Nordrhein-Westfalen von einem FDP Digitalisierungsminister bereits in die Praxis umgesetzt werden. Dort soll die Möglichkeit bestehen, dass Gründerinnen und Gründer und alle, die Neues schaffen wollen, das Wertvollste, was sie haben, investieren können in Forschung und Entwicklung — und nicht für Wartezeit auf der Amtsstube. Wir wollen, dass die Menschen ihre Lebenszeit besser einsetzen können, nämlich dafür, im Leben voran zu kommen und Zukunft zu schaffen, statt Formulare auszufüllen.
Und liebe Freundinnen und Freunde, machen wir uns bitte klar, dass die besten und auch vielleicht die grundstürzenden Ideen oft genug von den Rändern der Gesellschaft kommen. Nicht unbedingt von den Etablierten, nicht unbedingt aus den Konzernen, sondern vielleicht vom Außenseiter, vom Abweichler. Nicht jeder dieser Menschen hat die Möglichkeit, seine eigene Idee auch wirklich umzusetzen. Denn bevor ich einen Geschäftsplan habe und zur Bank gehe oder einen Business Angel suche oder mich um Chancenkapital bewerbe, davor steht eine Phase, überhaupt erst einen Geschäftsplan zu konkretisieren. Deshalb machen wir uns stark für ein Gründerstipendium, das nicht fließen soll in die betrieblichen Aufwendungen und Kosten, denn es gibt ja noch keinen Betrieb. Sondern das gründungswilligen Menschen einfach die Sorge davor nimmt, wie der Kühlschrank gefüllt ist in den Monaten, die sie brauchen, bis sie ein Unternehmen gründen können. In Nordrhein-Westfalen setzen wir es in der Praxis um, weil wir möchten, dass nicht der Wohlstand der eigenen Familie und dass man schon vorher unternehmerisch tätig war, entscheidet über Erfolg, sondern nur die Qualität der Idee, die ein Mensch hat. Liebe Freundinnen und Freunde, das erst schafft Unternehmergeist.
Wenn wir nach vorne schauen und gestalten, wollen wir Einfluss behalten. Dann müssen wir aber auch bei der Digitalisierung erkennen, dass vielleicht der größte Innovationsbedarf bei ihren Regeln besteht. Im Bundestagswahlkampf gab es ein Plakat — Digital first, Bedenken second — und ich muss sagen, das Plakat war wohl doch etwas im Überschwang gestaltet. Denn kritische Reflektion ist nötig, Bedenken dürfen nur nicht zu Stillstand führen, Bedenken und kritische Reflektion sind eine Handlungsanweisung und so wollen wir es verstanden wissen.
Warum sage ich das? Weil ich an dieses Plakat denken musste, als ich mir die Videomitschnitte angesehen habe, dieser Anhörung des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg vor den US-Kongress. Diese Sprachlosigkeit, diese Verständigungslosigkeit zwischen Herrn Zuckerberg und den Mitgliedern des Kongresses, die er offensichtlich als uninformiert oder infantil empfinden musste. Und er hat sie auch so beantwortet, in so einem Singsang. In so einem Singsang als wendete man sich an kleine Kinder. Das kennen wir so sonst nur von Frau von der Leyens Auftritten oder aus der Sendung mit der Maus. Verstehen Sie worauf ich hinaus will? Dereinst könnte man vielleicht in der Rückschau sagen, dass war die Zäsur. Da saßen sich die alte Ordnung Staat, Politik und Recht und die neue Ordnung, ein machtvoller Silicon Valley Plattform-Kapitalismus gegenüber. Da ging die Macht über von der alten Governance in die neue Governance. Das finde ich bedenklich, weil sich damit etwas verändert für die Offenheit von Wirtschaft und Gesellschaft. Zuckerberg sagte bei dieser Gelegenheit: Er habe sich in den letzten zwölf Jahren mit seinem Unternehmen darauf konzentriert, ein machtvolles Tool zu schaffen. Und jetzt in den nächsten zwölf Jahren ginge es darum, dass mit diesem Tool Gutes bewirkt wird.
Und dann sprach er davon, dass es zukünftig möglich sein soll, mit Künstlicher Intelligenz automatisch wirksame Filter zu schaffen, die Hatespeech erkennen und ohne Eingriff des Menschen löschen könnten. Und das empfindet er als gut. Aber was und wer entscheidet, wie dieser Algorithmus programmiert ist? Und was macht das mit uns, wenn ein kommerzielles, privates Unternehmen in den USA entscheidet, welche Meinung wir äußern dürfen und welche nicht. Liebe Freundinnen und Freunde, natürlich gibt es eine verrohte Debatte in den Sozialen Medien, in unserer Öffentlichkeit. Aber das ist nicht Aufgabe eines kommerziellen Anbieters, dort Schiedsrichter zu sein. Es ist unsere Aufgabe als Zivilgesellschaft und es gibt auch einen Strafrechtsanspruch des Rechtsstaates, den wir nicht abgeben dürfen an irgendwelche Private, die keiner Kontrolle unterworfen sind.
Liebe Freunde, also zur Innovation Nation gehört eben auch innovatives Recht für die Shared-Economy, für die Plattform-Ökonomie. Ein Recht, das sicherstellt, dass nicht einzelne Spieler so stark werden, dass sie automatisch stark bleiben. Soziale Marktwirtschaft lebt davon, dass der Starke eben nicht automatisch stark ist, sondern dass er sich immer wieder auch dem Wettbewerb mit Newcomern und Außenseitern stellen muss. Soziale Marktwirtschaft lebt von der Fairness und der Offenheit des Wettbewerbes. So wie unsere Gesellschaft lebt von unserer individuellen Privatheit und unserem Recht auf freie Meinungsäußerung. Wir wollen keine Zensur und wir wollen ein Datenrecht, das dafür sorgt, dass kein Mensch zur gläsernen Bürgerin oder zum gläsernen Bürger wider Willen wird.
Liebe Freunde, das soziale Versprechen unserer Gesellschaft ist, dass Leistung sozialen Aufstieg ermöglicht. Dieses Versprechen wird gebrochen. Die sozialen Unterschiede bei uns werden größer. Das ist übrigens auch eine Frage und auch eine Folge von Migration. Und darauf gibt es jetzt in der Politik zwei Reaktionen: Die erste Reaktion ist Verzicht auf Leistung in der Bildung, Streben nach Gleichheit, Schreiben nach Gehör. Verzicht auf Sanktionen bei Hartz IV, so dass manche denken, dass sei ein vom Staat garantiertes Renteneinkommen. Das bedingungslose Grundeinkommen, bei dem jetzt auch die Grünen leuchtende Augen bekommen. All das mag gut gemeint sein, und das mögen auch edle Motive sein, aber es ist zu gering vom Individuum und vom einzelnen Menschen her gedacht. Nicht ein Leben im Orbit des Wohlfahrtsstaats ist erfüllend, sondern der Stolz auf die eigene Leistung, liebe Freundinnen und Freunde. Deshalb stehen wir für den anderen Weg. Wir wollen individuelle Leistung fördern aber auch fordern, weil die Forderung den Horizont erweitert, wenn man an die eigenen Grenzen stößt. Wir wollen, dass alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland einen Abschluss erhalten. Danach streben wir, da wo wir bildungspolitische Verantwortung tragen. Aber unser Weg ist nicht, dafür die Standards zu senken, sondern die Qualität der Bildung zu verbessern. Und das fängt ganz früh an. Es fängt an der Basis des Bildungssystems an.
Volker Wissing hat in Rheinland-Pfalz seinen Landtagswahlkampf damit bestritten, in die frühkindliche Bildung zu investieren und in Regierungsverantwortung der FDP ist das erfolgt. In Nordrhein-Westfalen stellen wir den zuständigen Minister und dessen erste Amtshandlung nach der Ablösung von Rot-Grün war, erst einmal mit 500.000 Euro öffentlichen Geldes dafür zu sorgen, dass nicht die Kindertageseinrichtungen wegen Unterfinanzierungen dichtmachen müssen. Das zeigt den Unterschied zwischen sozialen Absichten und sozialen Taten, liebe Freundinnen und Freunde. Und ich freue mich sehr, dass René Rock sein Herzensanliegen — ich kenne ihn lange und weiß das — und Martin Hagen das ebenfalls zu einem Thema in Hessen wie auch in Bayern machen. Die frühkindliche Förderung in Kindertageseinrichtungen, das ist nicht Verwahrung, sondern das ist der Beginn einer lebenslangen Bildungsbiographie. Da geht es nicht darum, dass die Kinder schon Lesen, Rechnen, Schreiben können, aber es geht um Persönlichkeitsentwicklung. Es geht um den Erwerb der deutschen Sprache. Kinder, die schon vor der Einschulung den Anschluss verloren haben, werden das später nur schwer wieder aufholen können. Deshalb wollen wir früh investieren, denn das ist die höchste Bildungsrendite.
Liebe Freunde, unverändert geht es um die Modernisierung der Schulen, geht es um die Digitalisierung der Schulen. Das werden Länder und Kommunen alleine nicht schaffen. Deshalb werben wir ja schon länger dafür, den Bildungsföderalismus zu reformieren. Das war auch für uns ein weiter Weg. Ich erinnere mich an den Bundesparteitag 2011. Aber heute hat es ein gutes Gespräch der Fraktionsvorsitzendenkonferenz vor diesem Bundesparteitag gegeben. Und ich darf sagen: Von allen Parteien in Deutschland, sind wir die erste und einzige Partei, die — und zwar von der Ebene des Bundes, der Bundestagsfraktion bis auf die Ebene der Länder, der Landtagsfraktionen und Landesregierungen — dafür eintritt, den historischen Irrtum eines Verbots der Kooperation in Bildungsfragen von Bund und Ländern aufzuheben, denn die müssen zusammenwirken bei dieser wichtigen Frage.
Da gibt es nun auch Bewegung bei der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat angekündigt, sie will einen Digitalpakt für die Schulen beschließen mit 3,5 Milliarden Euro. Diese 3,5 Milliarden Euro sind aber noch nicht im Haushalt abgesichert in der Finanzplanung von Olaf Scholz. Es soll finanziert werden aus den möglichen Erlösen einer Versteigerung der Mobilfunklizenzen der fünften Generation. Das ist nicht sicher. Sicher aber sind die Ausgaben in die Rente, 14 Milliarden Euro. Jetzt sagt die Große Koalition, ihre Überschrift sei „Zusammenhalt stärken“. Liebe Freundinnen und Freunde, wenn viermal mehr Geld in die Rente fließt als in Bildung, stärkt das nicht den Zusammenhalt der Gesellschaft. Das spielt die Großmütter gegen ihre Enkel aus, liebe Freundinnen und Freunde.
Die Große Koalition braucht dafür eine Änderung des Grundgesetzes für die sie keine eigene Mehrheit hat. Der zuständige Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat mich deshalb vorige Tage zu einem Gedankenaustausch gebeten. Das was die Große Koalition plant bei der Veränderung des Grundgesetzes, ist nicht der große Wurf. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, deshalb sind wir auch bereit darüber zu sprechen, denn der bildungspolitische Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Und Länder und Kommunen brauchen das. Aber wir haben auch Anforderungen an die Vorhaben der Großen Koalition. Wie ist die Qualität der Bildung gesichert? Und vor allen Dingen, ist es eine langfristig geplante, dauerhaft geplante Unterstützung von Ländern und Kommunen oder ist es nur ein Strohfeuer, um Länder und Kommunen dann mit den Aufgaben mit den Aufgaben allein zu lassen? Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass eben nicht nur in Stein und Tabletts investiert werden kann, sondern auch in Personal in den Bildungseinrichtungen. Denn am Ende sind es Lehrerinnen und Lehrer, die Bildung schaffen und nicht technische Geräte.
Der Umgang mit Langzeitarbeitslosen und die Sorge um den Arbeitsplatzverlust durch die Digitalisierung führt bei uns zu einer merkwürdigen Debatte über ein solidarisches Grundeinkommen oder gar ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und nehmen wir doch diese Auseinandersetzung in der Sache an. Nehmen wir doch die Chance auf einen Ideenwettbewerb an. Die einen wollen sich jetzt öffnen im Zuge des Grundsatzprogrammprozesses, Bündnis 90/Die Grünen, für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und setzen wir doch etwas dagegen. Setzen wir dagegen doch nicht eine Stillhalte-Prämie, eine Stillegungs-Prämie, die wir bedingungsloses Grundeinkommen nennen. Sondern setzen wir doch etwas Anderes dagegen, nämlich ein komplett neues, zweites Bildungssystem. Arbeitsplätze entstehen auf der einen Seite, wenn sie woanders verschwinden.
Unsere Aufgabe ist nur, dass Menschen von dem einen in den anderen Job auch Mitten im Leben wechseln können. Deshalb öffnen wir auch Schulen, Berufsschulen, Fachschulen, überbetriebliche Ausbildungseinrichtungen des Handwerks, Fachhochschulen und Universitäten dafür, dass Menschen auch in der Mitte des Lebens dorthin zurückkehren können, um vielleicht auch in Modulen etwas Neues zu lernen, dass sie für einen nächsten, einen anderen, einen besseren Job brauchen. Sorgen wir dafür, dass die Menschen nicht nach Hause geschickt werden und ruhig gestellt werden, sondern durch eine Zertifizierung des Weiterbildungsmarktes, durch Bildungssparen, durch Mitlife-Bafög dafür, dass keine Biographie eine Sackgasse wird, aus der Menschen sich mit Fleiß und gutem Willen nicht selbst befreien können. Das ist unsere Antwort.
Und wickeln wir doch endlich Hartz IV ab und ersetzen es durch ein Bürgergeld, das dafür sorgt, dass sich für jeden jede Stunde Mehrarbeit lohnt. Hartz IV ist für viele doch ein Magnet geworden, wenn man in einem Minijob arbeitet, man ab einer gewissen Einkommensschwelle plötzlich von jedem zusätzlich verdienten Euro 80 Cent an den Staat abgibt. Da darf man sich doch nicht wundern, wenn jemand arbeitet, und er kommt dann abends in die Kneipe und trifft seinen Kollegen und der wird gefragt, warum arbeitest Du denn, wenn Du nichts davon hast. Das ist nicht nur eine Frage der Leistungsgerechtigkeit, es ist auch eine Frage der Mentalität. Und der Fairness, dass jeder der arbeitet auch in solchen kleinen Jobs, in denen man noch nicht zufrieden ist, jede Stunde Mehrarbeit persönlich beim Netto spürt, denn sonst werden die Menschen festgehalten.
Und vergessen wir bitte nicht die Mitte der Gesellschaft, auf deren Schultern wir stehen. Das Umfeld verändert sich. Donald Trump und Emmanuel Macron betreiben eine neue Steuerpolitik: Massive Entlastungen, die auch Auswirkungen auf uns haben. Bei uns wird die Abgeltungsteuer abgeschafft von der Großen Koalition. Und mancher bei uns freut sich darüber. Es ist aber keine Steuerentlastung, sondern eine Steuererhöhung. Die Steuern, die Macron senkt, werden bei uns erhöht. Und Herr Scholz sagt trotz Einnahmerekord, für eine umfängliche größere Steuerentlastung sei das Geld nicht da. Das können wir uns nicht leisten. Ich glaube gerade das Gegenteil ist richtig. Es ist nicht so, dass wir uns eine Steuerentlastung nicht erlauben können. Wir können uns nicht leisten, irgendwann die höchsten Belastungen weltweit zu haben, denn das schlägt unserer Exportwirtschaft ins Kontor.
Nun gibt es, liebe Freundinnen und Freunde, endlich einmal gute Nachrichten aus Washington. Denn der Internationale Währungsfonds hat gestern erklärt, er empfehle Deutschland nicht weitere, höhere, öffentliche Investitionen, sondern insbesondere eine Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen. Um die privaten Investitionen anzuschieben und dafür zu sorgen, dass wir auch Konsum im Inland haben. Das ist eine gute Nachricht, denn unser Staat hat ein Einnahmeproblem. Das Einnahmeproblem unseres Staates ist, Sie sind zu hoch, weil das Politiker zu Kamelle-Politik verführt wie Herrn Söder in Bayern.
1.400 Milliarden Euro wird Olaf Scholz in den nächsten vier Jahren ausgeben. Die geplante Entlastung sind 9,08 Milliarden Euro, dafür gibt es nur ein Wort: Das ist Kleptomanie. Man kann nicht nur Politik für die Ränder machen. Sondern man muss auch an die Mitte der Gesellschaft denken und deshalb brauchen wir jetzt einen Spitzensteuersatz, der später anfängt. Ein Sonderabschreibungsprogramm für Digitale Güter, eine Dämpfung der kalten Progression. Ein Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer und die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages für alle. Und das geht. Das geht.
Liebe Freunde, beim Soli ist es nicht nur eine Frage der ökonomischen Klugheit. Es ist nicht nur eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit, weil alle Parteien es versprochen haben. Inzwischen gibt es Rechtsgutachten, die belegen, dass diese Abschaffung des Solidaritätszuschlages nach Gutdünken unserer Verfassung widerspricht. Und deshalb, wenn am 1.1.2020 der Solidaritätszuschlag weiter erhoben werden sollte, dann werden wir alle Rechtsmittel ausschöpfen, um das in Karlsruhe einer rechtlichen Kontrolle unterziehen zu lassen.
Mein letztes Thema: Die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik spaltet unsere Gesellschaft. Überall zu allen Zeiten haben Wanderungsbewegungen, hat Migration dazu geführt, dass Gesellschaften unter Spannung gesetzt worden sind. Die große Aufgabe der deutschen Politik und darüber hinaus wird sein, Zuwanderung klug zu managen und dafür zu sorgen, dass unsere Gesellschaft, die multikulturell und multireligiös wird, befriedet bleibt. Die große Gefahr, liebe Freundinnen und Freunde, das sind Hasstiraden wie wir sie gelesen haben von Karl Lagerfeld. Bei aller Kritik an der Flüchtlingspolitik von Frau Merkel. Gegen diese Verrohung der Gesellschaft müssen wir uns als Liberale wenden. Die Befriedung dieses Großkonflikts, das ist die Schlüsselaufgabe dieser kommenden Jahre. Und unsere Antwort ist eine weltoffene, liberale und deshalb auch fordernde Integrations- und Einwanderungspolitik. Niemand kann sich integrieren, wenn er nicht weiß, wohin er kommt und was von ihm erwartet wird. Integration, das ist nicht zuerst unsere Aufgabe, die wir als aufnehmende Gesellschaft leisten müssen. Integration, das ist zuerst die Erwartung gegenüber denjenigen, die zu uns kommen, liebe Freundinnen und Freunde.
Und die Befriedung dieses Großkonflikts setzt voraus, dass die Mehrheit in unserem Land die Politik und ihre Regeln versteht. Einwanderungspolitik muss sich messen lassen an den Kategorien der praktischen Alltagsvernunft. Integrations- und Einwanderungspolitik darf sich nicht beeinflussen lassen von Ressentiments und von Angst, aber sie muss bei gutem Willen mit praktischer Alltagsvernunft verstanden werden. Das nennt man übrigens Verantwortungsethik. Gemessen an diesem Maßstab ist das, was die Große Koalition zum Familiennachzug jetzt beschlossen hat, niemanden zu erklären. Für wen machen sie Politik, wenn der Familiennachzug sogar früheren Gefährdern gestattet wird. Was ist das für eine Politik, liebe Freunde, was ist das für eine Politik, Kontingente von 1000 Personen im Monat zu beschließen. Machen wir uns klar, bis 2011 gab es in unserem Land für subsidiär geschützte überhaupt gar keinen Familiennachzug. Das gibt es erst seit wenigen Jahren. Denn klar ist ja, wenn jemand keine dauerhafte Bleibeperspektive hat, warum soll er noch zusätzliche Familienmitglieder mitbringen. Warum 1000, warum nicht 2000, warum nicht 500? Es kann nur eine Regel geben, die der praktischen Alltagsvernunft genügt. Der Familiennachzug findet nur statt bei dauerhafter Bleibeperspektive, ansonsten ist es eine Frage des Härte- und Einzelfalls. Eine Frage des Härte- und Einzelfalls individuell.
Eine andere Integrations-, eine andere, auch fordernde Einwanderungspolitik ist übrigens im Interesse der Zuwanderer selbst und auch im Interesse derjenigen, die wir überhaupt noch einladen wollen, zu uns zu kommen. Machen wir uns klar: Unser Land braucht qualifizierte Zuwanderung. Der Sachverständigenrat hat die Zahlen gerade genannt. In der Zukunft gilt, entweder 500.000 qualifizierte Zuwanderer im Jahr oder Rente mit 70. Das ist die Entscheidung, wovor diese Gesellschaft steht. Ich ahne, dass wir das kombinieren werden. Wir werden aber qualifizierte Einwanderung brauchen und dafür müssen wir ein weltoffenes Land bleiben. Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenen Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler Künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer.
Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen, und Angst vor ihm haben, sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich auch legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und nur gebrochen Deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt. Das ist die Aufgabe einer fordernden, liberalen rechtsstaatlichen Einwanderungspolitik. Und dafür müssen, liebe Freundinnen und Freunde, Länder, der Bund und Gemeinden zusammenarbeiten. Da geht es um anderes Recht und besseres Management.
Herr Seehofer hat jetzt die Ankerzentren vorgeschlagen. Das entspricht auch den Ideen, die wir vor der Bundestagswahl in die Debatte eingebracht haben. Aber Herr Seehofer sucht nicht das Gespräch mit Ländern und Kommunen, um seine Idee wirklich umzusetzen. Er nutzt diese Debatte, um Temperatur in den bayrischen Landtagswahlkampf zu bringen, aber er ist nicht an den wirklichen Veränderungen interessiert. Und deshalb hat unser liberaler Integrationsminister aus Nordrhein-Westfalen ihn aufgefordert, endlich einen Migrationsgipfel von Bund, Ländern und Gemeinden einzuberufen, weil es jetzt nicht mehr um Worte geht, jetzt müssen Taten folgen.
Und wir erwarten von Herrn Seehofer, dass er Licht ins Dunkel bringt. Auch bei den Vorgängen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Was wir da hören, noch sind es ja nur Spekulationen und Medienberichte, das dort Recht gebeugt worden ist aus edlen Motiven. Aber das Recht gebeugt worden, dass spielt doch den Verschwörungstheoretikern in die Hände, die die Mär von der angeblich geplanten „Umvolkung“ in Deutschland betreiben. Wer denen, den Boden entziehen will, muss Transparenz schaffen. Eine Robin Hood-Mentalität auf Steuerzahlerkosten und gegen den Rechtsstaat, muss im Verantwortungsbereich von Herrn Seehofer aufgedeckt werden.
Liebe Freundinnen und Freunde, all das läuft doch darauf hinaus, dass die CSU den bayerischen Landtagswahlkampf beeinflussen will durch dieses Migrationsthema. Auch durch die vom Zaun gebrochene halb amtliche Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört. Ein liberaler Rechtsstaat interessiert sich nicht für individuelle Glaubensbekenntnisse. Der liberale Rechtsstaat interessiert sich, ob seine Angehörigen rechtstreu sind. Das sollte ein Verfassungsminister wissen, was in der Verfassung steht. Der liberale Rechtsstaat ist weltanschaulich neutral. Nur dann ist er mit seinem Recht in der Lage, auch Konflikte in der Gesellschaft zu befrieden. Das Gegenteil von weltanschaulicher Neutralität ist, wenn in Behörden wieder Kreuze angebracht werden. Denn das spaltet die Gesellschaft. Und was ist das überhaupt für eine Politik, die versucht, aus religiösen Gefühlen politisches Kapital in einem Wahlkampf zu schlagen. Und ich bin kein schadenfroher Mensch, aber völlig zu Recht ist dieser geplante Wahlkampfcoup von Markus Söder nach hinten losgegangen. Das muss man erst mal schaffen, sich mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und säkularen Bürgerinnen und Bürgern gleichzeitig zu überwerfen. Das geschieht denen Recht.
Die CSU liebe Freundinnen und Freunde, die CSU geht den Weg von Orbán. Statt Orbán aus der EVP auszuschließen für seine antiliberale Politik, kopiert die CSU Orbán. Sie profanieren ein christliches Symbol zu einem Symbol des Staats und machen es wie Kardinal Reinhard Marx gesagt hat, damit zu einem Symbol der Spaltung. Wer das auch als gläubiger Christ ablehnt, der darf die CSU mit einem Kreuz bei der Wahl nicht belohnen.
Am gestrigen Tag gab es eine große Demonstration in München gegen das Polizeiaufgabengesetz. Mit der Möglichkeit einer präventiven Ingewahrsamnahme von Menschen, die nur eine gefährdete Prognose haben. Mit einer sehr niedrigen Hürde. Unsere Freundinnen und Freunde in Nordrhein-Westfalen machen ebenso gerade ein Polizeigesetz mit einer wesentlich höheren, rechtsstaatlichen Hürde für solche polizeilichen Maßnahmen. In Bayern gab es eine große Demonstration, die gezeigt hat, dass das demokratische Immunsystem im Freistaat bei den Menschen funktioniert. Das es anschlägt bei einer autoritären Gefahr. Denn wenn der Staat in der Lage ist mit niedriger Hürde, Menschen in Gewahrsam zu nehmen, dann ist es dabei, die Grenze vom Rechtsstaat in Richtung Polizeistaat zu überschreiten, liebe Freundinnen und Freunde.
Also die CSU warnt in Bayern vor der Wahl der FDP, weil sie mit uns im Maximilianeum nicht mehr die absolute Mehrheit hat. Das stimmt. Mögen sie das bis zum Wahltag jeden Tag an jeder Stelle sagen. Denn es ist zugleich ein Hinweis darauf, wer die absolute Macht in den Händen von Markus Söder fürchtet, der muss die Freien Demokraten in Bayern ins Maximilianeum wählen.
Liebe Freunde, ganz zum Schluss dieser Tage wird von Beobachtern die Frage aufgeworfen, ob die FDP auserzählt sei, und was unser Narrativ sei. Und damit sind in der politischen Metasprache sinnstiftende Überbauten gesucht, die sich Parteien geben, um Menschen für sich zu gewinnen. Und nicht ohne Zufall erinnern diese Begriffe an das Showbusiness. Aber ist doch eines zu sehen, dass nämlich weltweit liberale Werte durch autoritäre in Frage gestellt werden. Auch bei uns, wie gerade gesehen. Abschottung gegen Offenheit. Status Quo gegen Fortschritt. Mut gegen Angst. Wir stehen an der Schwelle einer Epoche, die den Einzelnen emanzipieren kann zu mehr Selbstbestimmung und Freiheit oder in der die Einzelnen dem Bürokratismus, machtvollen Interessen oder einer Shitstorm-Kultur unterworfen werden. Liberalismus, das war zu jeder Zeit die umfassende Antwort auf jede Form der Unfreiheit. Wir brauchen kein neues Narrativ, denn wir haben bereits eine Überzeugung, liebe Freundinnen und Freunde.