Antragsbuch für den 75. Ordentlichen Bundesparteitag

LV Baden-Württemberg

Weniger Zettel, mehr Wirtschaft - Bürokratieabbau als Treiber der Wirtschaftswende weiter beschleunigen

Weniger Zettel, mehr Wirtschaft - Bürokratieabbau als Treiber der Wirtschaftswende weiter beschleunigen 

Die Freien Demokraten haben 2021 mit dem Eintritt in die Bundesregierung ein überbürokratisiertes Land übernommen. Zu oft wurden von Vorgängerregierungen lediglich Lippenbekenntnisse einer angeblichen „Chefsache Bürokratieabbau“ abgegeben, anstatt tatkräftig überbordende Bürokratie abzubauen. Deutschland leidet deshalb unter einem Bürokratie-Burnout, der unseren Wohlstand und Innovationen gefährdet.

Als FDP in der Bundesregierung gehen wir diesen Bürokratie-Burnout aktiv an und bringen das größte Bürokratieabbaupaket in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg. Mit dem Meseberger Entbürokratisierungspaket entlasten wir unsere Unternehmen um mehr als 3 Milliarden Euro Erfüllungsaufwand - jedes Jahr. Das Bürokratieentlastungsgesetz IV (BEG IV) ist Teil dieses Pakets, mit dem wir vor allem gegen die Zettelwirtschaft vorgehen: Wir verkürzen die handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege von zehn auf acht Jahre. Die Hotelmeldepflicht und das lästige Ausfüllen von Meldescheinen für deutsche Staatsangehörige entfallen. Schriftformerfordernisse schaffen wir in vielen Bereichen ab oder stufen sie etwa auf die Textform herab. Zusätzlich entlasten wir kleine und mittlere Unternehmen durch eine Schwellenwertanhebung bei der Bilanzierung und Rechnungslegung um weitere 650 Millionen Euro pro Jahr. Auch das Wachstumschancengesetz wird für die Wirtschaft einen spürbaren Beitrag zum Bürokratieabbau in Höhe von 1,4 Milliarden jährlich Euro leisten.

Klar ist aber auch: Mit diesen Maßnahmen gehen wir einen wichtigen, aber nicht den einzigen Schritt zu weniger Bürokratie und mehr Freiräumen. Dringend notwendig ist weiterer Bürokratieabbau als Teil einer Wirtschaftswende, um Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen das Leben in Deutschland leichter und unbürokratischer zu machen.

1. Deregulierung konsequent vorantreiben


Ein wichtiger Bestandteil eines effektiven Bürokratieabbaus ist das konsequente Streichen überflüssiger Normen sowie das Vereinfachen notwendiger Regulierungen. Deregulierung führt dazu, dass Bürokratieabbau im Alltag der Menschen spürbar wird. Der Gesetzgeber muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass er durch Gesetze Einzelfallgerechtigkeit schaffen kann. Wir brauchen in Deutschland ein größeres Vertrauen in die Verantwortungs- und Leistungsbereitschaft des Einzelnen.

Deshalb schlagen wir Freie Demokraten über die bereits im Meseberger Entbürokratisierungspaket vereinbarten Maßnahmen hinaus vor,

  • die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung praxistauglicher zu gestalten, indem beispielsweise diese künftig proaktiv von der Krankenkasse an den Arbeitgeber weitergeleitet wird;
  • das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz abzuschaffen. Sollte dies nicht mehrheitsfähig sein, muss es zumindest dergestalt verändert werden, dass die Normadressaten ihre Verpflichtungen aus dem Gesetz nicht auf kleine Zulieferbetriebe abwälzen können;
  • das Vergaberecht umfassend novellieren, um den Aufwand für Unternehmen und Kommunen deutlich zu reduzieren und gleichzeitig durch eine zentrale digitale Plattform radikal zu vereinfachen;
  • die Bonpflicht abzuschaffen;
  • die allgemeine Hotelmeldepflicht als Ganzes abzuschaffen;
  • den Arbeitgebern die Möglichkeit einräumen, die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit den Beschäftigten verbindlich zu übertragen;
  • die Dokumentationspflichten beim Mindestlohn vereinfachen und auf das Monatsende zu verlegen;
  • das Statusfeststellungsverfahren zu reformieren und durch die Feststellung von klaren Positivkriterien zugleich zu digitalisieren, transparent zu gestalten und auf die Schutzwürdigkeit auszurichten;
  • die Kleinbetriebsklausel bei der Dokumentationspflicht im Arbeitsschutz wieder einzuführen;
  • das deutsche Arbeitszeitgesetz auf Basis der entsprechenden EU-Arbeitszeitrichtlinie zu reformieren, um durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit neue und flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen;
  • eine Bagatellgrenze für die Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren Energien einzuführen;
  • eine elektronische Gesundheitskarte für Überweisungen, Rezepte, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Medikationspläne einführen, die auch als App verfügbar ist;
  • bürokratische Hürden bei der Anerkennung von ausländischen Führerscheinen und Berufskraftfahrerqualifikationen, insbesondere aus Drittstaaten abzubauen.

2. Bürokratieabbau auf europäischer Ebene endlich angehen


57 Prozent der bürokratischen Belastung in Deutschland basieren auf europäischem Recht. Die Kommission unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat trotz entgegenstehender Ankündigungen die Bürokratie in den letzten Jahren massiv ansteigen lassen. Jüngstes Negativbeispiel ist die von ihr und ihrer Kommission massiv vorangetriebene europäische Lieferkettenrichtlinie. Europa braucht deshalb weniger von der Leyen und mehr von der Freiheit!

Bestehende europäische Regulierung ist aber kein Schicksal. Sie kann auch wieder durch das Parlament und die Mitgliedstaaten verändert werden. Die FDP begrüßt ausdrücklich die von der deutschen Bundesregierung im letzten Jahr angestoßene deutsch-französische Initiative zum Bürokratieabbau auf europäischer Ebene.

Aufbauend auf dieser Initiative sollte mit weiteren Mitgliedsstaaten eine europaweite Allianz für Bürokratieabbau geschmiedet werden, um den erforderlichen Druck auf die kommende EU-Kommission auszuüben. Bürokratieabbau muss eine der Top-Prioritäten in der kommenden Wahlperiode des Europäischen Parlaments werden.

Neben der erstmaligen Einführung bewährter Messinstrumente zur Bürokratie auf europäischer Ebene, muss konkret auch das europäisches Recht verändert werden, welches sich in der Praxis als zu bürokratisch erwiesen hat. Neben der Reform der A1-Bescheinigung sowie der Schaffung von Bereichsausnahmen für kleine und mittlere Unternehmen sowie von Vereinen in der Datenschutzgrundverordnung tritt die FDP dafür ein, die Ökodesign-Verordnung, die Chemikalienverordnung REACH und die Industrieemissionsrichtline deutlich zu verschlanken. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit.

3. Eine moderne und digitalisierte Verwaltung, die es einfach macht


Bürgerinnen und Bürger dürfen zu Recht eine handlungsfähige, modernisierte und digitalisierte Verwaltung erwarten, die zügig konkrete Entscheidungen auf Basis bestehender Gesetze trifft. Leider wird diese Erwartung im Alltag der Menschen in Deutschland allzu oft enttäuscht. Viele Kommunen sind mittlerweile personell nicht mehr in der Lage, die ihnen übertragenen Aufgaben vollständig und in einer angemessenen Zeit umzusetzen. Anstatt nach immer mehr Personalstellen in den Ministerien und der Verwaltung zu rufen, setzen wir Freie Demokraten neben einer umfassenden Aufgabenkritik insbesondere auf die Chancen der Digitalisierung.

Mit der kürzlich durch die Koalition im Bundestag verabschiedeten Reform des Onlinezugangsgesetzes sowie der anstehenden Registermodernisierung gehen wir als FDP in Regierungsverantwortung einen wichtigen Schritt, das sogenannte Once-Only-Prinzip endlich mit Leben zu erfüllen. Dadurch geben die Bürgerinnen und Bürger einmal dem Staat ihre Daten, der diese dann anlassbezogen für Verwaltungsvorgänge verwenden darf. Über ein Datenschutz-Cockpit kann jeder nachvollziehen, wann für welche Verwaltungsvorgänge der Staat Daten abgefragt hat. Wir begrüßen als Freie Demokraten diesen Schritt ausdrücklich. Automatisierung und der Einsatz Künstlicher Intelligenz sind für eine handlungsfähige Verwaltung perspektivisch unerlässlich.

Darüber hinaus fordert die FDP eine weitere Verankerung von Genehmigungsfiktionen in den entsprechenden Fachgesetzen. Für standardisierte Verwaltungsdienstleistungen, deren übliche Genehmigungslaufzeiten definiert werden können und die zudem nicht besonderen Sicherheitserfordernissen genügen müssen, soll eine Genehmigungsfiktion gelten, im Rahmen derer ein Antrag automatisch als bewilligt gilt, sofern bestimmte, in Abhängigkeit von der regulären Laufzeit zu definierende Fristen von der Verwaltungsbehörde überschritten wurden und der Antrag nicht explizit abgelehnt wurde.

Bei vielen Entscheidungen räumen bestehende Gesetze den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern einen Ermessensspielraum ein. Dieser Spielraum sollte verstärkter im Sinne des Ermöglichens neuer Ideen und der Wünsche der Bürgerinnen und Bürger genutzt werden. Entscheidend hierfür ist auch, welche Führungskultur in einer Behörde gelebt wird. Wir Freie Demokraten fordern deshalb, die bestehenden Fortbildungsangebote der Verwaltungsakademien von Bund und Ländern kritisch zu überprüfen, ob diese in ausreichendem Maß auch Aspekte moderner Mitarbeiterführung erfassen.

4. Weniger ist mehr – bessere Gesetzgebung als Baustein für Bürokratieabbau


Gesetze regeln die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft zusammenleben, und sie sollen zugleich der Vielfalt der Lebensentwürfe in Deutschland gerecht werden. Entscheidend ist deshalb, dass bereits beim Entstehen neuer Gesetze Qualitätssicherungsmechanismen konsequent beachtet und fortentwickelt werden. Mit der Einführung eines Digitalchecks für neue Gesetze sowie einer verstärkten Einbindung von Betroffenen bereits am Anfang des Entstehungsprozesses neuer Regulierung durch Praxischecks hat die von der FDP getragene Bundesregierung wichtige neue Instrumente besserer Gesetzgebung verankert.

Darüber hinaus schlägt die FDP vor,

  • im Rahmen der Berechnung des sogenannten Erfüllungsaufwands künftig auch europäisches Recht zu berücksichtigen;
  • die One in, one Out-Regel perspektivisch zu einer One in, two Out-Regel fortzuentwickeln und den einmalig anfallenden Erfüllungsaufwand (beispielsweise durch die Einrichtung neuer IT-Systeme) in den Anwendungsbereich der One in, One out-Regel zu integrieren;
  • auf Basis der gesammelten Erfahrungen den Digitalcheck konsequent fortzuentwickeln, damit die Chancen der Digitalisierung bei jedem neuen Gesetz konsequent mitgedacht werden;
  • auf die überschießende Umsetzung europäischer Richtlinien (sogenanntes Gold Plating) konsequent zu verzichten und nur ausnahmsweise dort durchzuführen, wo es nachweislich zu weniger Bürokratie in Deutschland führen wird.

Begründung:

Antrag auf Initiative von Benjamin Strasser.

Begründung erfolgt mündlich.

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