Besser nicht regieren, als falsch
Einen Monat lang haben die Jamaika-Parteien um die Bildung einer Regierung gerungen. Für die FDP hat sich herausgestellt, dass die vier Gesprächspartner keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung des Landes haben.
„Wir haben Stunden, Tage und Wochen miteinander gerungen. Heute am Tage länger, als wir uns vorgenommen hatten.
Wir haben als Freie Demokraten zahlreiche Angebote zum Kompromiss unterbreitet: unter anderem in der Steuer-, der Europa-, der Einwanderungs- und der Bildungspolitik. Denn wir wissen, dass Politik vom Ausgleich lebt. Mit knapp elf Prozent kann man nicht den Kurs einer ganzen Republik diktieren. Unsere Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln zeigen wir ja übrigens auch in Regierungsbeteiligungen mit Union, SPD und Grünen in den Ländern.
Nach Wochen liegt aber heute unverändert ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor. Dort, wo es Übereinkünfte gibt, sind sie oft erkauft mit viel Geld der Bürger oder mit Formelkompromissen.
Wir haben gelernt, dass auch durchaus gravierende Unterschiede zwischen CDU/CSU und FDP überbrückbar gewesen wären. Es ist da auch eine neue politische Nähe, auch menschliche Nähe gewachsen Aber am heutigen Tag wurde keine neue, keine weitere Bewegung erreicht, sondern es wurden Rückschritte gemacht, weil auch erzielte Kompromisse noch einmal in Frage gestellt worden sind.
Es hat sich gezeigt, dass die vier Gesprächspartner keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung unseres Landes und vor allen Dingen keine gemeinsame Vertrauensbasis entwickeln konnten. Eine Vertrauensbasis und eine gemeinsam geteilte Idee wären aber die Voraussetzung für stabiles Regieren. Wir wissen nicht, was in den nächsten Jahren auf Deutschland in Europa und der Welt zukommt. Aber wenn dann vier Partner schon nicht in der Lage sind, schon bei dem Absehbaren einen gemeinsamen Plan zu entwickeln nach so langer Zeit und so intensivem Ringen, ist das keine Voraussetzung, dass auch auf das Unvorhersehbare angemessen reagiert werden kann.
Wir werfen ausdrücklich niemandem vor, keinem unserer drei Gesprächspartner, dass er für seine Prinzipien einsteht. Wir tun es aber auch für unsere Prinzipien, für unsere Haltung. Unser Einsatz für die Freiheit des Einzelnen in einer dynamischen Gesellschaft, die auf ihn vertraut, die war nicht hinreichend repräsentiert in diesem Papier. Und wir haben heute, an diesem bescheidenen Tag, nicht den Eindruck gewonnen, obwohl allen die Dramatik der Situation bewusst war, dass dieser Geist grundlegend veränderbar gewesen wäre.
Die Freien Demokraten sind für Trendwenden gewählt worden. Und wer sich dieses Dokument ansieht: Es war nicht zu ambitioniert, es war nicht unrealistisch, sondern maßvoll. Wir sind für diese Trendwenden gewählt worden, aber sie waren nicht erreichbar, nicht in der Bildungspolitik, nicht bei der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, nicht bei der Flexibilisierung unserer Gesellschaft, nicht bei der Stärkung der Marktwirtschaft – und bis zur Stunde auch nicht bei einer geordneten Einwanderungspolitik.
Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten. Viele der diskutierten Maßnahmen halten wir sogar für schädlich. Wir wären gezwungen, unsere Grundsätze aufzugeben und all das, wofür wir Jahre gearbeitet haben. Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind.
Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.
Auf Wiedersehen.“